Im Interview mit Wolfgang Beck erläutern die Theologen Jan Niklas Collet und Georg Sauerwein, warum sie sich als Umweltaktivisten an den Protesten gegen den Braunkohletagebau und an den Demonstrationen um den Ort Lützerath beteiligen.
Während wir sprechen, sind sie bereits bei dem Klima-Camp in der Nähe des Dorfes Lützerath bei Aachen. Und die Vorbereitungen für eine große Demonstration beginnen gerade. Seit Tagen wird die Räumung der Protestcamps durch die Polizei vorbereitet und durchgeführt. Mit ihnen wird ein Kompromiss der Landesregierung umgesetzt, der einen schnelleren Ausstieg aus der Braunkohleverstromung und eine Rettung einiger Dörfer in der Region um Aachen möglich machen soll. Die Theologen Jan Niklas Collet und Georg Sauerwein beteiligen sich seit langem an den Protesten und ordnen sie in ihr christliches Selbstverständnis und die Anliegen Politischer Theologie ein.
Feinschwarz: Sie sind heute morgen sehr früh angekommen und kämpfen gerade etwas mit dem Wetter. Können Sie einmal schildern, worum es Ihnen geht und was Ihnen bei den Protesten wichtig ist?
Wir verteidigen die Klimaziele der Regierung
gegen die Regierung.
Collet: Es gibt die verbreitete Erzählung, dass es bei Lützerath doch gar nicht mehr um viel geht. Es sei gar kein richtiges Dorf mehr und eigentlich ‚nur‘ ein Symbol. Aber der Grund, weshalb dieses Dorf von der Klimabewegung in den letzten drei Jahren wiederbelebt worden ist, liegt ja darin, dass unter diesem Dorf eben Braunkohle legt. Wenn diese mind. 280 Mio. Tonnen verfeuert werden, dann lassen sich die Pariser Klimaziele nicht erreichen. Das wurde in den letzten Tagen noch mal gut von David Dresen (ADB) dargestellt: dann werden diese Klimaziele um das Vierzehnfache gerissen und verfehlt. Das ist der Grund, weshalb die Klimabewegung auch um dieses Dorf gekämpft hat, auch als eben feststand, dass fünf andere Dörfer nicht umgesiedelt werden und erhalten bleiben. Wer in der letzten Zeit dieses Dorf besucht hat, kann außerdem nicht sagen, dass es sich nicht um ‚richtiges‘ Dorf handelt. Da haben in den letzten drei Jahren viele Menschen auch um dieses Dorf Lützerath gekämpft und dort auch gelebt. Die haben dort ihr Leben geführt, mit Konzerten und mit anderen kulturellen Angeboten. Da gab es alles, was es auch in jedem anderen Dorf oder manchen Städten gibt. Jetzt haben sich Menschen unter sehr großen Belastungen entschieden, vor Ort zu bleiben. Und die Demo ist deshalb auch eine Solidaritätsaktion, eine Unterstützung. Das Dorf ist mittlerweile durch einen doppelten Zaun, wie bei einer Grenzanlage, abgeschirmt. Ganz schön hat das eine Sprecherin der Bewegung „Ende Gelände“ neulich gesagt: Wir verteidigen die Klimaziele der Regierung gegen die Regierung selbst. Das ist mir da ganz wichtig. Ich bin selbst in den letzten drei Jahren immer wieder vor Ort und war aktiv bei der Initiative „Kirche im Dorf lassen“ und bin der Bewegung sehr verbunden. Viele Menschen haben in Lützerath auch Gottesdienste gefeiert und gebetet und ihrem Glauben an Gott Ausdruck verliehen. Das ist der Ort, an dem wir einen Glauben an Gott bezeugen, der den Schrei der Armen und der Erde gehört hat! Das sind meine persönlichen Gründe, heute hier vor Ort zu sein und auch nachher weiter an dieser Perspektive für ein gutes Leben für alle Menschen und Geschöpfe festzuhalten.
Feinschwarz: Warum ist der Matsch, in dem sie rund um Lützerath gerade stehen, für sie ein Ort, an dem Theolog*innen stehen sollten?
Die Antworten auf die Klimakrise
als Zeichen der Zeit.
Sauerwein: Wir bauen auf der Grundhaltung von „Gaudium et spes“ auf, also der grundlegenden Solidarität der Jünger*innen Christi mit den Armen und Bedrängten. Die Klimakrise ist das prägende Element unserer Zeit, es ist Zeichen der Zeit, da es alles, was auf der Welt geschieht, prägt. Man kann natürlich diskutieren, ob die Klimabewegung eher das „Zeichen der Zeit“ ist als die Antwort auf die Klimakrise… Die Debatten um die Klimakrise sind zudem auch eine Frage der Klimagerechtigkeit. Das Abbaggern des Dorfes und der Braunkohle schadet ja nicht nur den Menschen in der Region vor Ort, sondern betrifft weltweit unzählige Menschen, die vielfach diskriminiert sind und gar nichts zur Klimakrise beigetragen haben. Da ist es ein ethisches Problem, ein Muss, sich dagegen als Christ*in und Theolog*in einzusetzen.
feinschwarz: Der politische Kompromiss der NRW-Regierung, an dem ja die Partei der Grünen maßgeblich beteiligt ist, sieht vor, eine Reihe von Dörfern zu erhalten und einen früheren Braunkohleausstieg zu bewirken. Weshalb sagen Sie, dass das für Sie kein tragender Kompromiss ist? Weshalb können Sie das nicht mittragen?
ein schlechter Kompromiss
Collet: Der Kompromiss besteht darin, dass der Ausstieg vorgezogen wird. Aber in der verbleibenden Zeit gibt es keine Begrenzung für die Verfeuerung von Kohle. Und es wird mit dem Abriss von Lützerath und der Verstromung der Braunkohle immer noch zu viel Kohle verfeuert. Also der vorgezogene Ausstieg, das Jahr 2030 ist eigentlich ein schlechter Kompromiss, weil er die notwendigen Schritte zur Bearbeitung der Klimakrise nicht erfüllt. Nur deshalb konnte der Energiekonzern RWE diesem Kompromiss ja überhaupt zustimmen. Denn der gefährdet die wirtschaftlichen Interessen gar nicht. Deswegen ist es aus Sicht der Klimabewegung und aus meiner Sicht kein sinnvoller Kompromiss. Und den angeblich so rechtstaatlich zustande gekommenen Kompromiss frage ich außerdem an, weil die Verantwortlichen für die Verhandlungen in den damaligen Hinterzimmern verhandelt haben, politische Verantwortliche heute als Lobbyisten tätig sind und das eben kein gesellschaftlicher Kompromiss geworden ist, der gesamtgesellschaftlich tragfähig ist. Deshalb ist der Kompromiss so problematisch. Das haben in den letzten Tagen auch die „Scientists for future“ unterstrichen und gefordert, so einen Kompromiss noch einmal aufzuschnüren.
feinschwarz: An diesem Wochenende gibt es eine Großdemonstration rund um Lützerath. Können sie mal aus Ihrer Perspektive einordnen, wie Sie die kirchlichen Autoritäten in Ihrer Unterstützung dabei erleben?
Häufig ein sehr eindimensionales
Verständnis von Gewalt.
Sauerwein: Der Diözesanrat der Diözese Aachen macht eigentlich sehr gute Arbeit zusammen mit dem evangelischen Superintendenten der beiden Kirchenkreise. Genauso fordert auch Misereor das Moratorium und verweist auf die Partnerorganisationen im globalen Süden. Denn die sind ja von der Klimakrise in besonderer Weise betroffen. Genauso haben die katholischen Jugendorganisationen BDKJ und KJB zusammen mit vielen anderen kirchlichen Organisationen eine Forderung für ein Moratorium veröffentlicht. Und es gab eine gute und hilfreiche Stellungnahme von Anna Heinrich, der Präses der Synode der EKD. Gleichzeitig haben sich der Bischof von Aachen und die Präses der Ev. Kirche im Rheinland geäußert. Die betonen auch, dass der Braunkohleabbau möglichst schnell beendet werden muss. Aber dann gibt es eine Schwäche, die oft in kirchlichen Positionierungen erkennbar wird: Die Machtdynamiken und die Verantwortlichkeiten werden dann manchmal nicht ordentlich reflektiert. Dann werden Beschlüsse dargestellt, ohne dass dabei problematisiert wird, wer eigentlich auf welche Weise an der Beschlussfindung beteiligt war – und wer eben nicht. Und dann gibt es häufig ein sehr eindimensionales Verständnis von Gewalt, bei dem kaum vorkommt, dass die Ausweitung des Tagebaus an sich Gewalt gegen Menschen im globalen Süden darstellt.
Ein problematischer Umgang
mit Grundrechten
Collet: Ich war sehr froh über das Statement von Anna Heinrich als Präses der Synode der EKD. Ich fürchte einfach, da gibt es in kirchlichen Verlautbarungen häufig scheinbar so eine Art „false balance“. Dagegen ist zu sagen: Die Kohle, die verheizt wird, ist ja nicht weg, die schwebt quasi über uns und fällt uns irgendwann und vielen anderen schon heute auf die Füße. Das ist eigentlich unmittelbare Gewaltausübung, was wir mit der Kohleverstromung machen. Auch hier bei den Protesten gibt es problematische Gewaltformen, weil Sanitäter*innen kein Zugang zu den Demonstrationen gewährt wird. Wenn eine Journalistin festgenommen wird oder ein Gottesdienst nachträglich als politische Versammlung deklariert wird. Das ist ein problematischer Umgang mit den Grundrechten und dem Recht auf freie Religionsausübung. Das muss man da sehen, wenn von „friedlicher Räumung“ gesprochen wird: Gewalt geht aus von den Verantwortlichen des Tagebaus und den Kräften der Polizei.
Sauerwein: Es kommt bei den Polizeieinsätzen übrigens auch nicht einfach zu einem Wegtragen von Demonstrant*innen, sondern zum Zufügen von körperlichen Schmerzen. Es gäbe weniger gewaltvolle Formen, Demonstranten wegzutragen. Das ist eine sehr problematische Entwicklung. Man sieht deutlich häufiger Kopfverletzungen von Demonstrant*innen.
Grundlagen für Proteste
aus christlicher Perspektive
Collet: Ja, und das ist auch der Grund, warum Sanitärer*innen teilweise der Zugang zur Räumung verwehrt wird: damit die nicht dokumentiert werden können. So gibt es hinterher nur noch nicht belegbare, mündliche Berichte von Betroffenen. Aus all diesen Gründen ist es sehr problematisch, die Gewalt der Polizei und einzelne Aktionen von Aktivist*innen, die es ja auch geben mag, gleichzusetzen. Das vermeidet das unterstützende Statement von EKD-Synodenpräses Anna Heinrich, darüber habe ich mich sehr gefreut. Zuletzt: Wir fordern in besonderer Weise auf, dass die Klimakrise auch in die theologische Arbeit stärker Eingang finden muss und bearbeitet wird. Das Revolutionärste, was der christliche Glaube zu bieten hat, liegt ja in der Annahme, dass das Dasein, das Leben, im Grunde gut ist. Das stellt die Grundlage für solche Proteste aus christlicher Perspektive dar. Bei den Gottesdiensten hier finden sie Menschen, die sie nie in einem normalen Gemeindegottesdienst sehen werden. Die gestalten hier Gottesdienste und die geben von ihrem christlichen Glauben Auskunft und geben ein Glaubenszeugnis. Was dieser Konflikt, der eigentlich ein Stellvertreterkonflikt darüber ist, wie wir Gegenwart und Zukunft gestalten wollen, das theologisch ins Wort zu bringen, vermisse ich bei kirchlichen Verlautbarungen und auch von theologischer Seite. Ich glaube, da ist noch viel Arbeit nötig, für die das Statement von Anna Heinrich hilfreich sein kann. Da würde ich mir deutlich mehr von solchen klaren und auch theologisch gesättigten Worten wünschen.
mit Gruppen solidarisch sein.
Sauerwein: Bei mir es so, dass ich vor ca. drei Jahren erstmals mit von dem Tagebau betroffenen Menschen zu tun hatte, die sich von den Kirchen ziemlich allein gelassen gefühlt haben. Wir haben als Christians for Future immer wieder Onlineandachten gemacht und versucht, die Menschen vor Ort mit unserer bundesweiten Vernetzung zu unterstützen. Da geht es darum, mit diesen Gruppen solidarisch zu sein, z.B. mit der Initiative „Kirche im Dorf lassen“.
Feinschwarz: Vermutlich gibt es über diesen Tag hinaus nicht nur die Aufgabe, Dinge nachzubearbeiten. Und dazu gehört ja dann auch die Frage, welche theologische Nachbearbeitung nötig sein könnte und welche Impulse sich für die Theologie ergeben. Vielen Dank für das Gespräch!
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Offener Brief von Theolog*innen zur Solidarisierung mit den Protesten.
Georg Sauerwein ist Theologe und Physiker. Er ist Doktorand an der Universität Innsbruck und engagiert sich als Klimaaktivist bei „Christians for Future“. Er ist zusammen mit Kathrin Fingerle Herausgeber von „Trösten. Hoffen. Handeln: Gottesdienste und Andachten im Angesicht der Klimakrise“ im Neukirchener Verlag.
Jan Niklas Collet ist freier Theologe und Mitarbeiter des Ökumenischen Netzwerks Asyl in der Kirche in NRW e.V. Im Frühjahr 2024 erscheint seine Dissertationsschrift „Die Theologie der Befreiung weiterschreiben. Ignacio Ellauría im Gespräch mit dem dekolonialen und postkolonialen Feminismus“ im Verlag Friedrich Pustet.
Wolfgang Beck ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der PTH Sankt Georgen, Frankfurt/M. und Redaktionsmitglied von feinschwarz.net.
Foto: PTH Sankt Georgen
Bilder: Jan-Niklas Collet & Georg Sauerwein
Link: https://y-nachten.de/2023/01/offener_brief_luetzerath/