In den Evangelien ist mehrfach vom Umgang mit Geld die Rede. Aleksandra Brand über den „Preis des Lebens“
An einer zentralen Stelle des Markusevangeliums, des wahrscheinlich ältesten Evangeliums, geht es in einer kurzen Passage um einen „Preis“:
Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten. Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis könnte ein Mensch sein Leben zurückkaufen? (Mk 8,35–37)
Dieses Wort steht oft im Schatten der Aufmerksamkeit, weil die Forderungen der Kreuzesnachfolge und des Bekenntnisses zum Menschensohn, die es rahmen, brisanter zu sein scheinen. Doch gerade deshalb ist es wichtig! Und bei genauerem Hinsehen ist die Stelle zentral, weil sie ganz zu Beginn der Jesustradition verortet und dort an einem kritischen Punkt der Evangelienerzählung festgemacht ist: sie steht im Zeichen des Weges Jesu nach Jerusalem, wo er leiden und sterben wird.
Der „Preis des Lebens“ im Kontext der Nachfolge
Und genau an dieser Schnittstelle wird ein wichtiges Problem identifiziert und für die Ethik geöffnet: Die Frage nach dem „Preis des Lebens“ im Kontext der Nachfolge; dem Jackpot. Aber: Was ist das für ein Preis? Und warum wird etwas zurückgekauft?
Die Verschränkung von Preis(-logik) und Nachfolge ist ein wiederkehrendes Thema in der synoptischen Literatur. Meist wird sie über Geld gestaltet, sie spielt mit dem Motiv des ambivalenten Gewinnstrebens und der dialektischen Nutzenorientierung.
Diakonie kostet. Politik kostet. Gerechtigkeit kostet.
Am Beispiel des Barmherzigen Samariters wird dessen caritative Handlung besonders durch die Nutzung von Münzen qualifiziert (Lk 10,25–37). Diakonie kostet. Leben in einem Staat bedeutet Teil eines komplexen Verwaltungssystems zu sein, an der Perikope zur Frage nach der Zahlung der Steuer an den Kaiser wird diese klar affirmiert (Mk 12,13–17; Mt 22,15–22; Lk 20,20–26). Politik kostet.
Die Verwendung des Geldes spielt auch bei der Frage nach dem Ewigen eine Rolle (Lk 16,1–13). Aber nicht so, dass es abgekoppelt ist vom Leben im Hier und Jetzt. Hier müssen Entscheidungen getroffen werden. Auch in dem oft ungerechten wirtschaftlichen System, von dem Lukas im 16. Kapitel schreibt. Gerechtigkeit kostet. Es erweist sich sogar als vorbildhaft, mit Schläue zu agieren, weil nicht Ethik das Letzte ist, sondern die Gemeinschaft mit Gott, die (effektive und kluge) Handlungen nötig macht: So ist der „ungerechte Verwalter“ oder der „Verwalter (in) der Ungerechtigkeit“ berühmt geworden.
… welchen Lauf die Geschichten nehmen, wenn Geld oder Besitz zum Mittelpunkt des Lebens werden …
Über die Figur des „Mammon“, der als personifiziertes Geld eine antigöttliche Macht bildet, lässt sich auf einer narrativen Ebene aber auch beobachten, welchen Lauf die Geschichten nehmen, wenn Geld oder Besitz zum Mittelpunkt des Lebens werden (Mt 6,24// Lk 16,13); (aber nicht ohne auch seinen Nutzen zu nennen (Lk 16,9)).
Das Portrait des reichen Kornbauern (Lk 12,16–21) illustriert diese „List des Geldes“: Die eigene Lebenserhaltung wird nicht durch Besitz und Geld gesichert, sondern ist geschenkt.
Der schöpfungstheologisch qualifizierte Wert des Lebens kann durch die Fokussierung auf das Geld übersehen werden; dass die Angst, nichts zu haben, Reiche und Arme gleichermaßen betrifft, reflektieren die Texte ebenfalls (Mt 6,25–31).
Dabei kommt eine entscheidende Ebene hinzu: Der Wert des Lebens wird – biblisch gesehen – in den Horizont der Glaubensfrage gestellt und von dort eine Anthropologie entworfen, die den Menschen in eine Vertrauensbeziehung zu seinem Schöpfer stellt.
Der Wert des Lebens wird – biblisch gesehen – in den Horizont der Glaubensfrage gestellt.
Wie schwierig aber die Abgrenzung vom Mammon – auch für Menschen in der Nachfolge Jesu – ist, zeigt das Beispiel von der gescheiterten Nachfolge (Mk 10,17–22; Mt 19,16–22; Lk 18,18–25), bei der die Abgabe des Besitzes das letzte (unüberwindliche) Hindernis in der Nachfolge bildet. Der reiche Mann fragt Jesus nach dem „ewigen Leben“. Jesus zeigt es ihm auf: Er soll die Gebote halten, seinen Besitz verkaufen und den Erlös spenden. Aber: Der Mann kann sich nicht von seinem Vermögen trennen und geht „traurig davon“. Verurteilt wird jedoch nicht der Besitz, sondern die Unfähigkeit, sich von diesem zu trennen. Ein Mensch, der nicht loslassen kann, lebt in Traurigkeit.
Verurteilt wird nicht der Besitz, sondern die Unfähigkeit, sich von diesem zu trennen.
Der „Preis“ ist in all diesen Beispielen das zentrale Motiv. Gefragt wird nach dem Leben und wie es „gewonnen“ werden kann: Wie kann man den Preis erlangen, wenn er nicht erkauft werden kann? Wie gelangt der Reiche in die Nachfolge mit Jesus? Die Metanoia – „Umkehr“ – ist über das ganze Evangelium der Schlüssel und wird auch hier verhandelt.
Jesus verkündet einen Jackpot, der zum Greifen nah ist und das Leben in der Gemeinschaft mit Jesus bedeutet hätte – Leben mit Gott; der „Schatz im Himmel“ (Mk 10,21). Aber die Unfähigkeit diesen letzten Schritt zu gehen und den Wert des Lebens nicht von Besitztümern abhängig zu machen, ist offenbar das Schwerste. Es bildet das Paradigma im Rahmen einer Jüngerbelehrung, das den Gewinn des Lebens der Gemeinschaft mit dem vielfachen Gewinn bei erfolgreichem Ernteertrag korreliert (Mk 4,1–34; Mk 10,29–30).
Das heißt, dass der Gegenwert des Lebens nicht ohne den Tod zu haben ist, weil es der Weg zu Gott ist.
Durch die spannungsvolle Dynamik von „Gewinnen“ und „Verlieren“ wird das Logion vom Preis des Lebens in seiner anthropologischen Begründungslinie nun deutlich: Das Loslassen ist in einer paradoxalen Struktur als anthropologisches Grundaxiom eingeführt, auch als Begriff der Selbstverleugnung. Orientiert ist das Logion einerseits auf das Evangelium, das als Begriff eine herausragende Stellung bei Markus hat. Denn im Evangelium Jesu Christi (Mk 1,1) kommt das „Evangelium vom Reich Gottes“ zur Sprache (Mk 1,14f), aber als Frohe Botschaft steht es für die Verkündigung Jesu selbst (vgl. Mk 10,29; 13,10; 14,9). Das Logion fängt nämlich ein, was die Jünger nicht einsehen wollen, dass das Leiden Jesu ein wesentlicher Bestandteil seines Lebens ist: Das heißt, dass der Gegenwert des Lebens nicht ohne den Tod zu haben ist, weil es der Weg zu Gott ist. Es ist der Weg, den die Menschen gehen müssen, weil sie sterblich sind. Und als Mensch muss Jesus diesen Weg gehen, der durch den Tod führt.
Gewinn im Leben bedeutet nicht auch Gewinn bei Gott.
Es wird deutlich, dass die Fragen nach den Werterelationen und Preisfeststellungen entscheidend sind. Der Wert des Lebens wird insofern konstituiert und relativiert, als dass der Gewinn im Leben nicht auch Gewinn bei Gott bedeutet, und dass Selbstrettung nicht bedeutet, auch bei Gott Rettung zu erfahren. Der Grund ist anthropologischer Natur: Kein Preis, kein Tausch- oder Gegenwert kann das Leben ersetzen. Die Unermesslichkeit des menschlichen Lebens wird in der rhetorischen Frage deutlich, die unbeantwortet bleibt, aber deutlich macht, wie die Antwort aussehen wird: Die zweifache Orientierung an Jesus und an dem Evangelium besagt, dass gerettet wird, wer zu verlieren bereit ist. Die rhetorische Frage dient als Reflexionsgrundlage und hat Auswirkungen auf den Wert des Lebens im Vergleich zum Wert des Geldes.
Die Frage nach dem Preis ist theologisch erstaunlich ergiebig. Entscheidend ist der Wert. Geld beziffert, es kommt aber nicht für das Leben auf. Deshalb kann mit Geld ethisch umgegangen werden: diakonisch, politisch und wirtschaftlich.
Aleksandra Brand: Seit 2020 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Neues Testament der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Ruhr-Universität Bochum und seit 2023 Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Neues Testament der Theologischen Fakultät an der Universität Luzern, Studium der Katholischen Theologie, Germanistik und Erziehungswissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal und Ruhr-Universität Bochum. 2023 Abgabe der Promotionsschrift zum Wert des Geldes im Neuen Testament.
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