Eine interdisziplinäre, ökumenisch orientierte Theologie – das gab es schon einmal, zumindest als Projekt: das Bielefelder Institut für Theologie, das Ende der 1970er Jahre von Johann B. Metz und Trutz Rendtorff konzipiert worden ist. Worum es dabei ging und warum es nie seine Arbeit aufnahm, berichtet Norbert Mette. Eine Erinnerung an die Zukunft der Theologie?
Angesichts der Tatsache, dass wir nicht nur in einer Zeit von Veränderungen, sondern in einem regelrechten Epochenwandel („no sólo una época de cambios, sino un verdadero cambio de época“) mit Symptomen eines Bruchs leben, ist nach Papst Franziskus innerhalb der Wissenschaften ein radikaler Paradigmenwechsel erforderlich, um alternative und zukunftsträchtige Inspirationen und Orientierungen zu erkunden. Daran müsse sich, so fordert er in seiner Apostolischen Konstitution „Veritatis Gaudium“ (8. 12. 2017), auch die Theologie beteiligen, wolle sie auf der Höhe der Zeit sein und als Partnerin im Diskurs der Wissenschaften ernst genommen werden, beteiligen.
Der Papst regt die Gründung von Forschungseinrichtungen an, „die sich auf das Studium der epochalen Probleme, welche die Menschheit heute bedrücken, spezialisieren und geeignete, realistische Lösungsvorschläge machen“ (ebd. Nr. 4d). Er ist sich bewusst, dass das anders als in einer inter- und transdiziplinären Kooperation nicht zu bewerkstelligen ist (vgl.ebd. Nr.4c). In diesem Sinne sollen in den von ihm vorgeschlagenen Forschungszentren „Wissenschaftler mit unterschiedlichem religiösen Hintergrund und aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit verantwortungsvoller Freiheit und gegenseitiger Transparenz interagieren können…, um `einen Dialog miteinander aufzunehmen, der auf die Schonung der Natur, die Verteidigung der Armen und den Aufbau eines Netzes der gegenseitigen Achtung und Geschwisterlichkeit ausgerichtet ist´“ (ebd., Nr.5).
Die Bedeutung solcher interdisziplinären Zentren für Gesellschaft und Kirche hebt der Papst wie folgt hervor: Sie sind dazu da, „um die Entwicklung fortgeschrittener Technologien, die Qualifizierung der Humanressourcen und die Integrationsprogramme zu begleiten. Auch kirchliche Studien im Geiste einer Kirche ‚im Aufbruch‘ sollen mit Fachzentren ausgestattet werden, die den Dialog mit den verschiedenen Wissenschaftsbereichen vertiefen.“ (ebd.).
Interdisziplinäre Theologie an der Reformuniversität
Diese Ermutigung des Papstes zu einer inter- und transdiziplinär ausgerichteten Theologie lässt ein Projekt in Erinnerung rufen, das bereits in den 1960/70er Jahren mit viel Elan und intensiver Arbeit in Angriff genommen worden ist, dann aber aufgrund des Einspruchs seitens der katholischen Kirche nicht weitergeführt werden konnte. Es handelt sich um das Projekt des „Theologischen Instituts der Universität Bielefeld“. Worin bestand es?
Nach längerer Planungsphase wurde 1969 die Universität Bielfeld ausdrücklich als „Reformuniversität“ gegründet. Eines ihrer Kennzeichen sollte die interdisziplinäre Kooperation der an dieser Universität angesiedelten Wissenschaften sein. Zur Institutionalisierung dessen sollte das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZIF) dienen, das sich seit seiner Einrichtung hohes internationales Renommee erworben hat.
Bemerkenswert ist, dass von Anfang geplant war, die Theologie in diesen interdisziplinären Diskurs einzubinden. Der Gründungs-Erstbeauftragte für die Universität Bielefeld Helmut Schelsky hatte Johann Baptist Metz als Mitglied in den „Gründungsausschuss“ berufen. Mit seiner neuen politischen Theologie hatte Metz ein Verständnis von Theologie ausgearbeitet, für das die Öffnung zu anderen Wissenschaften und der Austausch mit ihnen ein konstitutives Element bildet.
Bikonfessionelle Forschungseinrichtung
Genau diese interdisziplinäre Ausrichtung war dann für die Errichtung eines Theologischen Instituts an der Bielefelder Universität leitend. Nach Abwägung verschiedener Modelle wurde vom Gründungsausschuss „ein Theologisches Institut mit forschungsintensiver Theologie vor allem aus den Fachgebieten der Systematischen und Praktischen Theologie unter Einbeziehung historisch orientierter Forschungsrichtungen, in grundsätzlicher interdisziplinärer Lehr- und Forschungsausrichtung, auf bikonfessioneller Basis“ empfohlen und von der nordrheinwestfälischen Landesregierung gebilligt . Damit sind die entscheidenden Merkmale des geplanten Instituts genannt:
- Es sollte schwerpunktmäßig eine Forschungseinrichtung sein. Entsprechend sollte auch die dort betriebene Lehre forschungsintensiv sein, also aufseiten der Studierenden ein bereits abgeschlossenes Theologiestudium voraussetzen.
- Vorgesehen war nicht eine Ausstattung im Umfang der klassischen theologischen Fakultäten, aber doch eine für die Ziel- und Aufgabenstellung des Instituts angemessene Personalstärke.
- Als Forschungseinrichtung sollte das Theologische Institut bikonfessionell ausgerichtet sein und interkonfessionell besetzt werden.
„Die grundsätzliche interdisziplinäre Lehr- und Forschungsausrichtung der `Bielefelder Theologie´“, so charakterisiert Helmuth Rolfes die interdisziplinäre Ausrichtung des Instituts, „berücksichtigt nicht nur den Umstand, daß Grundlagenprobleme und materiale Einzelfragen der Theologie immer mehr den interdisziplinären Kontakt erfordern. Sie versteht die Theologie zugleich als gefragten und (in seinem historischen und systematischen Verständnis) herausgeforderten Partner sowohl für jene Grundlagenfragen heutiger Wissenschaft, die nur im interdisziplinären Raisonement zureichend erörtert werden können, wie für jene Probleme der Einzelwissenschaften, die theologische Grundfragen einschließen.“
Vorangetrieben wurde die Aufbauarbeit durch die Einrichtung einer Arbeitsstelle mitsamt zwei Assistentenstellen, die Bildung einer Aufbaukommission und den Aufbau einer Fachbibliothek. Im September 1970 fand eine prominent zusammengesetzte Tagung zur „Theologie in der interdisziplinären Forschung“ statt, auf der Vertreter der verschiedenen theologischen Disziplinen zum Vorhaben des Instituts Stellung nahmen. Ab 1976 wurden vom Institut innerhalb des Zentrums für interdisziplinäre Forschung Seminare und Kolloquien angeboten.
Innerkirchlicher Gegenwind
Die endgültige Gründung des Instituts verzögerte sich jedoch erheblich, weil in immer neuen Anläufen zur Klärung von Einwürfen vornehmlich juristischer Art Satzungen und Ordnungen überarbeitet und den zuständigen Kirchen (Erzbistum Paderborn und Evangelische Landeskirche von Westfalen) zum Einvernehmen vorgelegt werden mussten. Der schwierigere Verhandlungspartner war die katholische Seite. Allerdings konnten von ihr vorgebrachte Bedenken gesprächsweise immer wieder geklärt werden, so dass es keine Anzeichen dafür gab, dass das Theologische Institut der Universität Bielefeld kirchlicherseits auf Ablehnung stoßen würde.
Heftig agitiert wurde allerdings gegen das Institut in einem 1970 in der (damals eher konservativ-katholisch gewordenen) Kulturzeitschrift „Hochland“ erschienenen Kommentar mit der Überschrift „Bielefelder Theologie“. Sein Verfasser, der Chefredakteur Franz Greiner, sah die Gefahr, dass mit dem Institut eine Entwicklung in Gang gesetzt würde, in der seitens der akademischen Theologie die Nähe zum kirchlichen Lehramt aufgegeben würde. Bestimmte Kreise im deutschen Katholizismus, die dem Institut und der in ihm favorisierten Theologie misstrauisch, wenn nicht ablehnend gegenüberstanden, fühlten sich durch diesen Beitrag in ihrer Einstellung bestärkt und wirkten offensichtlich massiv im Hintergrund gegen das Zustandekommen des Instituts. So kam es schließlich, dass mit Schreiben vom 16. Juni 1979 der Nuntius dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen mitteilte, dass eine Zustimmung seitens der Katholischen Kirche aus grundsätzlichen Erwägungen nicht erteilt werden könne.
Zurückgreifen und weiterdenken
Zwar ist seitdem und in den letzten Jahren das Bewusstsein innerhalb der Theologie für eine inter- und transdisziplinäre Ausrichtung erheblich gewachsen und sind vielfältige entsprechende Projekte in Forschung und Lehre in Gang gesetzt worden. Aber ein solches für die Theologie und den gesamten Wissenschaftsbetrieb zukunftsweisendes Forschungszentrum gibt es bis heute zumindest im deutschsprachigen Raum nicht.
Im Zusammenhang mit dem Bielefelder Institut sind viele grundlegende Fragen und Probleme, die sich mit Blick auf eine interdisziplinäre Ausrichtung der Theologie stellen, aufgeworfen und erörtert worden, wie z.B. die Frage nach der Theoriefähigkeit der Theologie und ihrer Theoriebildung, der Universalitätsanspruch der Theologie sowie ihre Kirchlichkeit. Nachdem nun auch katholischerseits Papst Franziskus stärkere Inter- und Transdisziplinarität von der Theologie eingefordert hat, legt es sich nahe, auf die von damals vorliegenden Überlegungen und Ansätze zurückzugreifen und sie weiterzudenken.
Norbert Mette ist emeritierter Professor für Praktische Theologie.
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