Eine synodale Kirche fördert die Beteiligung marginalisierter Stimmen – Arme, Frauen, nicht-westliche Kulturen und LGBTQ. Gilt das auch für die Stimmen der Theologie? In diesem Beitrag geht Jos Moons der Frage nach, was Theolog:innen auf der Grundlage der jüngsten Forschung zum synodalen Prozess beitragen können.
Synodalität bedeutet, gemeinsam zu erkennen, was der Heilige Geist den Kirchen im konkreten Heute sagen will (cf. Offb 2,7). Voraussetzung dafür ist „ein wechselseitiges Anhören, bei dem jeder etwas zu lernen hat“, so Papst Franziskus 2015.[i] Mit „jeder“ sind natürlich auch Akademiker*innen gemeint. Dennoch werden ihre Stimmen manchmal überhört und als „schwierig“ oder gar als eine Bedrohung für sogenannte traditionelle Ansichten gesehen. Dieser Beitrag rückt die theologischen Stimmen ins Licht and fragt, was Theolog*innen zum synodalen Prozess beitragen können.
Der Text basiert auf den „Theologischen Tischvorlagen für die Synode 2023“: eine Reihe relativ kurzer (3-5 Seiten) Präsentationen, die in einem leicht zugänglichen Format die akademische Diskussion über Themen, die im Zusammenhang mit der Synode stehen, zusammenfassen. Diese Tischvorlagen gründen sich auf deutsch-, englisch-, französisch- und spanischsprachige theologische Literatur aus den Jahren 2013-2023. Im Folgenden werden einige Highlights aus diesem Projekt vorgestellt.
Der Bischof und sein Volk
Der Bischof ist ein Hauptthema der wissenschaftlichen Literatur, welche die Grundlage für die Tischvorlagen bildete. Nicht weniger als 97 % der Textquellen (634 von 651) nutzen das Wort „Bischof“ oder „bischöflich“ und über 180 Dokumente enthalten 50 oder mehr Verweise auf diese Begriffe.
Unter Wissenschaftler*innen herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass die Rolle des Bischofs (und ganz allgemein die der Priester und Diakone) neu überdacht werden muss. In der lehramtlichen Theologie wird der Bischof vertikal gedacht als vom Papst ernannt und von Christus beauftragt, um Hirte einer Diözese zu sein. Lumen Gentium 22 definiert den Bischof als jemanden, der „Glied der Körperschaft der Bischöfe wird durch die sakramentale Weihe und die hierarchische Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Kollegiums“. Doch was ist mit der Gemeinschaft, der er angehört? Wenn Augustinus von sich selbst als vobis sum episcopus vobiscom christianus – für euch Bischof, mit euch Christ – sprach, hatte er eher die Gemeinschaft im Blick. Die Rolle der Gläubigen bei der Auswahl geeigneter Bischöfe zu verstärken, ist nur ein Element des Überdenkens des Bischofs im Lichte des „kirchlichen Wir“.
Ähnliches gilt für die Liturgie. Theolog*innen erinnern daran, dass das Gebet eine Artikulation des Glaubens ist – lex orandi lex credendi – und weisen darauf hin, dass die Liturgie oft nicht die Gemeinschaft hervorhebt, die den Glauben feiert, sondern eher die Unterscheidung zwischen Zelebranten und „Volk“ betont. Konkrete Praktiken, die die Überzeugung, dass die Gemeinschaft ihren Glauben feiert, sichtbar machen würden, wären die Laienpredigt oder das gemeinsame Stehen um den Altar (vgl. die circumstantes – die Herumstehenden – in Eucharistischem Hochgebet 1).
Die Konzentration auf den Bischof und das Weiheamt kennzeichnet auch das Kirchenrecht in seiner heutigen Form. So bestimmt der Kodex, wie Myriam Wijlens feststellt, im Hinblick auf die Ausübung des Lehramts die Art und Weise, in der die Gläubigen „zum Gehorsam oder zur Unterwerfung verpflichtet [sind], ohne dass gleichzeitig eine Verpflichtung der Bischöfe besteht, den sensus fidei fidelium zu ermitteln“.[ii] Kurzum: Nach Ansicht von Theolog*innen, Liturgiewissenschaftlern und Kanonisten brauchen wir eine andere Theorie und Praxis, die die Rolle der Gläubigen mehr würdigt.
Sensus fidelium
Bemerkenswert und bedauerlich ist daher der Mangel an Aufmerksamkeit für den sensus fidelium in den offiziellen Dokumenten zur Synode. Mit Ausnahme des Dokuments zum sensus fidei der Internationalen Theologischen Kommission (2014) ist das Thema in den nachkonziliaren lehramtlichen Dokumenten, einschließlich der Dokumente für die Synode, marginal. Das Instrumentum Laboris zum Beispiel hat eine magere Anzahl von neun Verweisen, was sich von 66 Verweisen auf das Volk Gottes und 52 Verweisen auf die Taufe deutlich abhebt. In der theologischen Forschung aus dem Zeitraum 2013-2023 steht der Begriff jedoch auf der gleichen Stufe wie die Taufe.[iii]
Setzen die offiziellen Dokumente damit die Linie des nach-konziliaren Lehramts fort, die das Thema ebenfalls weitgehend ignorierte und sich stattdessen auf den Gehorsam konzentrierte? Oder ist der sensus fidelium ein schwieriger, technischer Begriff, und sprechen die offiziellen Dokumente deshalb eher vom Hinhören und Unterscheiden? In jedem Fall ist der sensus fidelium als grundlegend für die Aussage, dass „jeder etwas zu lernen hat“ im synodalen Prozess.
Marginalisierte Stimmen
Überraschenderweise ist die Beteiligung von Frauen kein wichtiges Forschungsthema in der Theologische Reflexion über Synodalität der letzten Jahre. Vielleicht liegt das daran, dass die Argumente eigentlich klar sind, aber oft ignoriert oder tabuisiert werden. In einer begrenzten Anzahl von Beiträgen jedoch findet man starke Plädoyers für die Überwindung klerikaler, männerdominierter Strukturen, Prozesse und Denkweisen. Man spürt die Frustration über vergangene und gegenwärtige Frauenfeindlichkeit, Ausgrenzung, Stereotypen und das langsame Tempo der Veränderungen. Die Weihe von Frauen (zum Diakonat und/oder zum Priesteramt) wird zwar angesprochen, ist aber nicht das Hauptthema.
Soziale Gerechtigkeit in einer Vielzahl von Formen ist auch ein kleines Thema: Inkulturation, Lernen von den Armen, Dienst an den Armen. Diese soziale Gerechtigkeit kann auch allgemeiner verstanden werden als die ständige Herausforderung, neokoloniales Denken zu überwinden und Interesse für die Umwelt, Migranten, die Betroffenen sexuellen Missbrauchs (in der Kirche), abweichende Stimmen in der Kirche und, wieder einmal, Frauen, zu wecken und diesen Gruppen und Themen Raum zu geben. Sowohl die offiziellen Dokumente als auch die wissenschaftliche Literatur haben gerade erst begonnen, diese Themen zu behandeln.
Die Praxis der Synodalität
Wenn es um die Praxis der Synodalität geht, ist die wissenschaftliche Literatur bemerkenswert oberflächlich. Bei Quellen mit praxisorientierten Titeln handelt es sich in der Regel eigentlich um ekklesiologische Konzepte, wie z.B. Hervé Legrands Artikel „Synodalität als Praxis“ (Concilium 2021) oder Rafael Lucianis Buch über Synodalität als A New Way of Proceeding in the Church (2022).
Wenn man sich auf zentrale Aspekte der Praxis der Synodalität konzentriert, stellt man einen ähnlichen Trend fest. Nur ein einziger von 651 Beiträgen beschreibt Aspekte der komplexen Praxis des Zuhörens wie Demut, Schweigen, im Reinen sein mit der eigenen Innerlichkeit, die Bereitschaft zur Bekehrung, und so weiter.[iv] In ähnlicher Weise wird die Unterscheidung – obwohl sie eine Schlüsseltugend für die Synodalität ist – gewöhnlich erwähnt, ohne näher ausgeführt zu werden. Dass die Ausbildung von entscheidender Bedeutung ist, wird zwar weitgehend anerkannt, aber nur 15 (von 651) Artikeln widmen ihr etwas Aufmerksamkeit.
Was die Praxis der Synodalität anbelangt, können die Theolog*innen sicherlich selbst noch dazulernen. So zeigt sich, dass in einer synodalen Kirche alle lehren sowie auch lernen können!
[i] Papst Franziskus, “Ansprache zum fünfzigsten Jahrestag der Einrichtung der Bischofssynode” (17. Oktober 2015), online at vatican.va.
[ii] Myriam Wijlens, “Theologische und kirchenrechtliche Herausforderungen zur Synode 2021–2023,” in Synodalisierung. Eine Zerreißprobe für die katholische Weltkirche?, hrsg. von Paul Zulehner und anderen (Grünewald, 2022), 433-461.
[iii] Vgl. die folgende Tabelle. Für eine ausführlichere Fassung siehe https://www.synodresources.org/de/258512/.
Instrumentum laboris:
Anzahl der Verweise |
Akademische Literatur:
Treffer in 651 Dokumenten |
|
Teilnehmer (partiz/cip*) | 95 | 6,190 Treffer in 568 Dokumenten |
Volk Gottes | 66 | 5,223 Treffer in 550 Dokumenten |
Sensus fidei/fidelium | 9 | 2,625 Treffer in 339 Dokumenten |
Getauft/Taufe | 52 | 2,376 Treffer in 474 Dokumenten |
[iv] Michael Plattig, “Gehorsam. Grundhaltung für synodale Prozesse,” in Synodalisierung. Eine Zerreißprobe für die katholische Weltkirche?, 87-104.
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Dr. Jos Moons, Jesuit, KU Leuven (Belgien), beschäftigt sich seit 2022 mit dem Projekt Mapping Synodality. Er erstellte eine internationale wissenschaftliche Bibliografie zur Synodalität 2013-2023, auf deren Grundlage er Theologische Tischvorlagen für die Synode 2023 verfasste. Zu seine sonstigen Publikationen gehören “The Holy Spirit as the Protagonist of the Synod. Pope Francis’s Creative Reception of the Second Vatican Council” (Theological Studies, 2023) und The Holy Spirit, the Church, and Pneumatological Renewal. Mystici Corporis, Lumen Gentium and Beyond (Brill, 2022).
Titelbild: Petra Bork