In einem guten Sachbuch erfährt man wirklich Neues, wird man in das Thema hineingezogen, und, ganz besonders selten: Es ist pfiffig geschrieben! Theresia Heimerls Buch ist ein gutes Sachbuch und hält zudem auch noch – bei diesem Thema! – ein Quantum Trost bereit. Das war für mich das Überraschendste. Doch dazu später mehr.
Worum geht es? Heimerls Buch handelt davon, was das katholische Lehramt von 1963 – 2015 zu den Frauen, genauer zu „der Frau“, genauer „zum Wesen der Frau“ sagt. Darüber ein pfiffiges Buch zu schreiben, ist allein schon eine Kunst.
Theresia Heimerl, Professorin für Religionswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz, Kennerin der Spätantike, der zeitgenössischen Medienkultur und ausgewiesene Feministin, geht im Ganzen recht verständnisvoll mit den klerikalen Männern um, die nach einem kurzen Aufflackern eines unverstellten Blickes auf die Wirklichkeit von Frauen bei Johannes XXIII danach in ungebrochenem Essentialismus wieder ziemlich genau wissen, was das „Wesen der Frau“ so ausmacht, woher auch immer.
Dass dies Wesen nun nicht (mehr) das Böse, das Verführerische, das Erotische, wie in früheren Zeiten, sondern das Mütterliche, Gütige und Demütige ist, dass man zudem das „Wesen der Frau“ just in jenem Moment zu verteidigen beginnt, wo sich die realen Frauen von solchen Zuschreibungen nach und nach befreien, dass dabei plötzlich, Mitte des 20. Jahrhunderts, „die Frau“ vor allem als „schutzbedürftiges Wesen“ gezeichnet wird, das man sowohl vor der offenbar unstillbaren sexuellen Gier des Mannes wie auch ihren eigenen Machtambitionen schützen muss, das stellt Heimerl nicht nur leicht verwundert fest, nein, sie empfiehlt es nicht ohne ironische Brechung, „mit viel mütterlichem Verständnis für männliche Ängste und Wünsche“ (119) zu lesen. Schließlich sei das zwar alles ziemlich „retro, aber aus der Distanz nicht ganz unromantisch“ (85). Aus der bürgerlichen Romantik stamme es schließlich auch.
Dass dies alles männliche „Rückzugsphantasien“ seien, die man brauche, gerade weil Frauen im westlichen Teil der Welt nicht mehr abhängige, schützenswerte, schwache Wesen sind, das notiert Heimerl natürlich auch und zu Recht, und dass die nachkonziliare Spiritualisierung der Ehe daran nichts wirklich verbessert hat, eher im Gegenteil, ebenfalls. Soviel Ideologiekritik muss sein.
Nur einmal wird Heimerl streng, ja harsch, es fällt gar das Wort „armselig“. Armselig nennt sie es, das Verbot der Frauenordination auf Jesus zu schieben nach dem Motto (Originalzitat):
„Wir würden ja eh, und seid’s uns bitte nicht böse, aber Jesus wollte halt nicht“.
Das sei einfach unehrlich, man solle doch zugeben, dass es um Macht geht und darum, keine Konkurrentinnen haben zu wollen und keinen Ärger mit Frauen.
Es gibt wahre Kabinettsstückchen in diesem Buch. Etwa der Exkurs „Thomas von Aquin meets Judith Butler.“ Wenn man eine knappe, verständliche (!) und präzise Einführung in das haben möchte, was „gender“ wirklich meint, inklusive nochmal der Butlerschen Dekonstruktion der gender–sex Unterscheidung, und das Ganze dann auch noch demonstriert an der Defizienztheorie des Weiblichen bei Thomas von Aquin: Hier bekommt man es.
Und der Trost? Ein römisches Dokument, ausgerechnet, führt Theresia Heimerl da ins Feld: das Instrumentum laboris für die Bischofssynode 2015. Da werde nicht mehr vom Wesen der Frau, sondern „mit Deutlichkeit und Wut“ von den Not- und Problemlagen der Frauen und der Männer in der postmodernen Welt gesprochen, da werde hingeschaut, statt geurteilt, da werde zur Hilfe aufgerufen, statt verurteilt. Ein epochaler Fortschritt, noch nicht genug, aber angesichts der römischen essentialistischen Tradition doch recht viel sei das.
So weit so gut. Dann aber kommt die eigentliche, die weiterführende Frage der Kulturwissenschaftlerin an die Theologie, auf Seite 149, die Frage jenseits aller nahe liegenden, freilich nicht allzu ungewöhnlichen Kritik an der römischen Lehrverkündigung: Inwiefern braucht die (katholische) Theologie notwendig Ordnungskategorien einer vergangenen Periode, um ihre Anliegen zu vertreten? Kann sie jenseits dieser Kategorien an die Tradition anschließen und zugleich an die Gegenwart?
Man kann diese Frage noch radikalisieren: Muss sich Theologie überhaupt vor allem in Ordnungskategorien formatieren? Nein, das muss sie nicht. Denn genau das steht an: Jenseits klassischer oder neoklassischer Ordnungskategorien, Denkformen geerbt aus anderen Zeiten und Kulturen, Theologie zu treiben. Nicht nur die Kirche hat sich als Herrschaftssystem etabliert, das nun zerbrochen ist, auch die Theologie, ihr Denken hat es getan. Kirche lebte nicht nur die konstantinische Formation, sie dachte auch in ihr. Mit der aber ist es vorbei.
An Gott zu glauben und von ihm zu reden, aber baut nicht heillos an Ordnungen in der liquid modernity der Postmoderne, sondern traut sich aufs offene Meer situativen Wagnisses des Christlichen: im Leben wie im Denken. „Kein Meer“ aber, das wusste schon Udo Jürgens, wie Heimerl Österreicher und auch er ohne Zweifel eine Autorität in Sachen Frauen, „ist so wild wie die Liebe!“.
Theresia Heimerl, Andere Wesen. Frauen in der Kirche, Graz 2015
Rainer Bucher, Graz