Hans-Joachim Sander, Dogmatiker in Salzburg, stellt sich angesichts der US-Präsidentenwahlen die Frage, warum uns das nicht kalt lassen kann. Denn darin zeige sich eine Veränderung, der wir uns zu stellen haben.
Wir wissen noch nicht, was am Ende des Tages, dem 8. November, sein wird. Möglicherweise wird gar nichts passieren und die vier apokalyptischen Reiter finden einfach keine Pferde in den himmlischen Ställen. Und sie müssen dort bleiben, wo sie eigentlich auch hingehören, also im himmlischen Reich der Fantasie. Aber so ganz trauen wir der Sache nicht – wie auch. Das FBI war in die Wahlkampagne um die US-Präsidentschaft eingetreten und arbeitete kräftig daran, wenigstens die Umfragewerte von Donald Trump zu verbessern. Sollte er gewinnen, ist die Zukunft wahrlich ungewiss. Alles ist möglich und vieles darunter wird Unmögliches sein. Sollte er die Wahl verlieren, ist wahrlich gewiss, dass er das Ergebnis ignorieren, wenn nicht sogar anzweifeln wird.
Möglicherweise müssen wir dann alle wieder die Apokalypse lesen.
Und möglicherweise müssen wir dann alle wieder die Apokalypse lesen und stoßen auf den schrägen Hinweis, dass die enthüllende Buchrolle innen und außen beschrieben ist. Da stoßen zwei Buchstabenfolgen, grammas, aufeinander, deren Grammatiken einander verkehren. Wenn man die eine Seite liest und sich an sie klammert, kann man nicht anders, als sich die andere vorzustellen – und die Menschheitsängste vor den potentiell extremen Ereignissen, so wissenschaftlich gewiss sie auch sein mögen, sind die Kontaktzone dazwischen. So kommt uns eben auch die bevorstehende US-Wahl vor, die wir noch nicht einmal selbst beeinflussen können. Die Logik des demokratischen Wählens macht sie einerseits extrem ungewiss, obwohl Extremes andererseits grammatologisch wegen der Macht, um die es geht, gewiss ist, wenn sie vergangen sein wird.
Warum können wir das nicht ignorieren und uns gottvertrauend theologisch davon abschotten? Immerhin ist Gott der Herr der Geschichte und deren Ausgang deshalb gewiss, während Wahlkandidaten bloß Herren von zweifelhaften Geschichten mit langfristig ungewissem Ausgang sind. Warum beruhigt uns der Glauben hier nicht, sondern gießt auch noch apokalyptisches Öl ins Feuer der Bilder? Ein Grund ist natürlich, dass die USA seit nun schon fast hundert Jahren die beherrschende Macht auf dem Planeten sind, die politisch und auf den Finanzmärkten, mit populären Kulturen und militärisch, aber auch religiös und durch global beschworene Lebensstile den Ton angibt, wenn es darauf ankommt. Unsere Ordnung der Alltagsdinge ist so sehr mit den USA verstrickt, dass keine Wahl dort uns kalt lassen könnte.
Mit Trump … kommt ein Konglomerat aus allem, was die urbane Zivilisation so dunkel und abstoßend macht, zusammen auf uns zu.
Aber dieses Mal ist es doch nochmals anders. Mit Trump tritt ja keine Dressur aus dem üblichen Politzirkus auf. Hier kommt ein Konglomerat aus allem, was die urbane Zivilisation so dunkel und abstoßend macht, zusammen auf uns zu. Alle Gespenster des Urbanen scheinen sich vereinigt zu haben: Ein kalter Profiteur eines extrem ungerecht verteilten Reichtums und selbst verliebter Immobilienblasen, ein sexistischer Medienclown, dessen Horror leider nicht Halloween spezifisch ist, sondern das große Rad des Ressentiments derer dreht, die von den Eliten abgehängt sind oder sich nur so vorkommen, ein gieriger Lehrling des McCarthy-Anwalts Roy Cohn, der trotz abgehalftertem Verschwörungswahn und gerichtlich verhängtem Berufsverbot im Staat New York wegen unethischen Verhaltens auch dann noch mit öffentlichen Gegenattacken wie ‚Leberkrebs‘ auftrat, als Aids ihn bereits dahinraffte. Es begegnet uns ein übergriffiger Schwätzer, der so lange dreist lügt, bis seine Sprüche diejenigen, die sich früher einmal als Mehrheit fühlten, mehr interessieren als seine eigenen Niederlagen, die er damit weg redet – eben weil sie dieses Suchtgefühl „Mehrheit“ unbedingt wieder haben wollen..
Uns dämmert, dass in einer global verstädterten Zivilisation die Pforten dieser Unterwelten nicht bloß im Babel New Yorks lauern. Sie können sich überall auftun und sie verschwinden nicht mit den US-Wahlen. Und dann? Wo bleibt die Hoffnung? Im ländlichen Idyll katholischer Wahrheiten wie „Abtreibung!“, die in den USA bloß zur Selbstverzwergung der katholischen Hierarchie geführt haben? Im kommunikativ verhandelten Utopia einer kritisch handelnden Öffentlichkeit, die den modernen Freiheitsfortschritt schlussendlich immer über die Freiheit des Kapitals erhaben hält? Wer das glaubt, wird sicher nicht selig, sondern hat die theologischen Talente vergraben, die in den Unvereinbarkeiten ausgeteilt worden sind, die aber in der urbanen Landschaft gleichzeitig im Raum stehen. Wie kann man mit ihnen wuchern und auf die Renditen kommen, die Lk 19 anpreist?
„Gott ist Veränderung“
Octavia Butler, die aus Entwicklungen, wie sie mit „Make America great again!“ gegenwärtig zu beobachten sind, schon vor 20 Jahren eine extrem hellsichtige Parabel von den Talenten gemacht hat, schlägt einen anderen Gott vor, der kühl besagt „Gott ist Veränderung“. Die Frau war gefeierte science-fiction-Autorin, keine Theologin am Rande des Kulturbetriebs. Aber das kann uns nicht beruhigen. Denn die Welt hat sich gravierend verändert und die bevorstehende US-Wahl ist ein global signifikanter Hinweis. Was das bedeutet, wissen wir noch nicht. Aber wir müssen es dringend herausfinden, weil niemand der Veränderung entgehen wird. Theologisch zwingt uns tatsächlich Gott dazu, der, selbst wenn er keine Veränderung sein sollte, in den Extremen lokalisierbar ist, und die bedeuten unweigerlich Veränderung. Wer da nicht kühl hinschaut, den wird es heiß erwischen, wenn er oder sie das Talent wieder auspacken muss.
Hans-Joachim Sander lehrt Dogmatik an der Universität Salzburg.
Foto: http://www.focus.de/fotos/donald-trump_id_5545997.html