Unter Donald Trump verändern sich die Zusammensetzungen religiöser und politischer Verschränkungen. Der unliebsame Erlöser erweist sich selbst als unberechenbarer Mitspieler. Andreas G. Weiß zur anstehenden Midterm-Wahl in den USA.
Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hatte Auswirkungen – auf die Menschen, auf die Gesellschaft, aber auch auf jene Politik, in deren Fahrwasser Trump selbst hervorgegangen ist. Was man vor Jahrzehnten noch für unmöglich gehalten hatte, scheint nicht mehr ausgeschlossen zu sein.
Die Vereinigten Staaten haben sich zwei Jahre nach dem republikanischen Erfolg ihres auch parteiintern höchst umstrittenen Zugpferdes gewandelt. Scheinbar hat man sich vielerorts schon an den neuen Politstil in Twitter-Meldungen mit 144-Zeichen gewöhnt. Doch die lethargische Akzeptanz trügt.
Der Faktor „Trump“ lähmt so manche althergebrachten Pakte.
Sogar unter der Oberfläche republikanisch zur Schau gestellter Einhelligkeit herrscht parteiintern tiefe Unsicherheit vor. Das Eis der konservativen Interessensvernetzungen in der vormals mächtigen Parteipolitik wird zunehmend dünner. Es wirkt, als könnten alle jahrzehntelang geltenden Verschwiegenheiten, Abmachungen und Allianzen mit jedem Augenblick ihre Gültigkeit verlieren. Entwicklungen wie diese haben in zunehmendem Maße auch nachhaltige Auswirkungen auf die US-amerikanische Religionspolitik.
Der Faktor „Trump“ lähmt so manche althergebrachten Pakte: So könnte gerade die freikirchliche Stimmung für den amtierenden US-Präsidenten bei den bevorstehenden Midterm-Wahlen zu einem nicht kalkulierbaren Risiko werden, welches seine politische Stabilität ernsthaft gefährden könnte.
Trump spielt mit den einstmals einflussreichen Parteigranden.
Lange Zeit konnten sich die republikanischen US-Präsidenten auf ein evangelikales Bollwerk hinter ihrem Rücken verlassen, solange sie nur in ihren Entscheidungen möglichst restriktiv blieben. Donald Trump verändert diese Machtverhältnisse zunehmend, er spielt mit den einstmals einflussreichen Parteigranden.
Konservative Richterbesetzungen – wie etwa kürzlich von Brett Kavanaugh – konnten konservative Kreise zwar eine Zeitlang wieder etwas beruhigen, doch haben Trumps politische Fettnäpfchen ebenso wie seine persönlichen Skandale den Argwohn vieler Beobachter geschürt. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung war die aus allen politischen und kirchlichen Lagern kommende Kritik, die Trumps Auftritt beim bilateralen Gipfel mit Russlands Präsident Wladimir Putin heftig beanstandet haben. Dass sich Donald Trump freundschaftlich, ja unterwürfig mit dem politischen Führer des einstmaligen Erzfeindes zeigt, ließ die Stimmung selbst in der treuesten Gefolgschaft überkochen. Die USA als Handlanger eines altsowjetischen Machthabers? Der Präsident als Marionette des russisch-orthodoxen Staatskirchentums?
Pastoren, TheologInnen und auch Gläubige diskutieren, wie man Trump innerhalb der freikirchlichen Struktur begegnen solle.
Beobachtet man die sonst so starken Identitäten der evangelikalen US-Freikirchen, bemerkt man einen Wandel: Auf „Christianity Today“, der wichtigsten evangelikalen Plattform, diskutieren bereits seit November 2016 Pastoren, TheologInnen und auch Gläubige unterschiedlicher Gemeinden, wie man innerhalb der freikirchlichen Struktur dem politischen Phänomen namens Trump begegnen solle.1
Dabei bewegt sich die Stimmungslage zwischen Extremen: Auf der einen Seite sind VertreterInnen der evangelikalen Kirchen immer noch geprägt von euphorischer Hoffnung in den selbsternannten Patrioten, der die Vereinigten Staaten wieder zum sichtbaren „Licht für die Völker“ machen möchte. Daneben werden immer mehr Stimmen laut, welche die religiös motivierte Unterstützung der republikanischen Partei am besten vollständig aufkündigen wollen.
Trump repräsentiert so gut wie alles, was in den moralischen Ansprüchen vieler Evangelikaler lange verteufelt wurde.
Dieses lange Zeit unhinterfragte Bewusstsein wird mit dem amtierenden US-Präsidenten auf eine harte Probe gestellt. Trump repräsentiert so gut wie alles, was in den moralischen Ansprüchen vieler Evangelikaler lange verteufelt wurde: Scheidungen, Affären, öffentliche Lügen, Machtgier, Habgier, Neid, usw. Man kann über die konservativen Freikirchen in den USA denken, was man will. Aber: Wenn es um ihre ethische Integrität geht, nehmen sie es ganz genau. Jetzt soll ausgerechnet diese Person die USA nach acht Jahren Obama wieder auf den geraden Pfad christlicher Erwählung bringen?
Diese lethargische Orientierungslosigkeit, welche die sonst so starke evangelikale Gruppierung in den USA bereits seit mehr als zwei Jahren nachhaltig hemmt, macht deutlich, dass die einstmals so festgefahrenen Rollenbilder selbst in der traditionalistischen Perspektive vieler US-Evangelikaler nicht mehr unhinterfragt Geltung besitzen.2 Maßstäbe ändern sich, Ideale werden oftmals aus pragmatischen Gründen überformt, Allianzen abgebrochen und neue Bündnisse geschmiedet.
Die politische Annäherung zwischen den republikanischen Strategien und der katholischen Kirchengemeinschaft wird auf eine harte Probe gestellt.
Dies musste der Präsident besonders durch den nicht geplanten Widerstand katholischer Bischöfe zu seinen Einwanderungsdekreten schmerzlich bemerken: Nachdem Trump das Aus für Obamas „Deferred Action for Childhood Arrivals“ (DACA) verkündet hatte und damit dem besonderen Schutz für Kinder von illegal in die USA eingewanderten Familien (Dreamer) eine Deadline von sechs Monaten setzte, ließ der landesweite Widerstand nicht lange auf sich warten. Nicht zuletzt stellte sich auch der Erzbischof von New York, Kardinal Timothy Dolan, öffentlich gegen die Pläne von Donald Trump und mit ihm weite Teile der katholischen Amtskirche, aber auch der Gläubigen in den USA.
Damit aber wurde die jahrzehntelange politische Annäherung zwischen den republikanischen Strategien und der katholischen Kirchengemeinschaft auf eine harte Probe gestellt. Der Vorstoß der Bischöfe war nicht ohne Risiko. Für sie stand vieles auf dem Spiel: Nicht nur politisch, sondern auch unter ihren Gläubigen. Sie mussten zu dieser Entscheidung Trumps Stellung beziehen, sie konnten angesichts der politischen Direktive nicht schweigen. Dies rührte an den Kern US-katholischer Identität.
Politische Allianzen oder die Glaubwürdigkeit unter den Gläubigen? Eine Politikkrise wird zu einer religiösen Bewusstseinswahl.
Am gesellschaftspolitischen Ort der DACA-Entscheidung von Donald Trump wurden die Bischöfe vor eine Richtungsentscheidung gestellt: Politische Allianzen oder die Glaubwürdigkeit unter den Gläubigen? Diese Alternative ist auch theologisch höchst brisant. Die US-Bischöfe fanden sich am Nullpunkt ihres eigenen Verkündigungsauftrages wieder, den sie zu vertreten hatten.
Diese Politkrise wurde für die Glaubenshirten zu einer religiösen Bewusstseinswahl. Sie forderte ihnen schlichtweg alles ab, wofür sie öffentlich in der Kirche und in der Gesellschaft einzustehen hatten. Unter den Vorzeichen der Trump-Entscheidung wurden sie zu einer Neubestimmung gedrängt, der sie nicht ausweichen konnten.
Scheinbar in Stein gemeißelte Ideale müssen sich an Trump bewähren.
Ungeachtet der politischen Konsequenzen für die gegenwärtige US-Regierung wird an diesen Entwicklungen sichtbar, dass genau jene schwarz-weiß-Optik, die Trump in seinem Wahlkampf so stark gemacht hat, durch die eindeutige Rollenzuschreibung von Freund und Feind zu einem Bumerang-Effekt werden könnte. Trumps Präsidentschaft hat sich zu einem Ereignis in der US-Politik entwickelt, in dem die althergebrachten Allianzen fraglich geworden sind.
Seine Person wird mehr und mehr zu einem Prüfstein, an dem sich scheinbar in Stein gemeißelte Ideale bewähren müssen. Diesem Trump-Ereignis kann man nicht einfach entkommen. Ignoranz oder Flucht würden das Problem verschärfen. Der offensive Politstil Trumps beschwört Gegenstimmen. Diese werden zu Gradmessern einer selbstbewussten Gesellschaft, die sich mit ihren problematisch gewordenen Allianzen auseinandersetzen muss.
Die Trump-Präsidentschaft erweist sich immer mehr als der Prüfstein für eine wirksame und authentische Verkündigung des Evangeliums.
Ebenso zeigt sich daran aber auch die Prioritätensetzung einer christlichen Verkündigung, die sich an den realpolitischen Differenzen zu ihrer Sendung abarbeiten muss. Man hat sich zu positionieren. Daran hängt nicht zuletzt die eigene Authentizität. An Donald Trump entscheidet sich damit nicht nur die politische Dimension der religiösen Stimmen in den USA, sondern insbesondere deren religiöse Glaubwürdigkeit – unten den Gläubigen, aber auch in Bezug auf die Sendung, die sie in der Öffentlichkeit vertreten wollen.
Die politische Dimension der Trump-Präsidentschaft erweist sich damit auch immer mehr als der Prüfstein für eine wirksame und authentische Verkündigung des Evangeliums. Diese Verhältnisbestimmung ist äußerst prekär. Die bevorstehenden Midterm-Wahlen werden sich als eine Richtungswahl erweisen, in der sich das Bewusstsein einer Nation im Angesicht des unfassbaren Ereignisses widerspiegelt.
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Andreas G. Weiß ist kath. Theologe, Religionswissenschaftler und Philosoph in Salzburg. Als freier Autor schreibt er für die Wochenzeitung „Die Furche“ in den Bereichen „US-Religionspolitik“, Religion & Gesellschaft, sowie zum Verhältnis von Religion und Staat.
Bild: Ausschnitt vom Buchcover von: Andreas G. Weiß, Trump. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben, Ostfildern 2019. (in Vorbereitung).
- Vgl. etwa: Lankford, James, On Being An Evangelical Senator During the Trump Presidency, https://www.christianitytoday.com/ct/2018/march-web-only/james-lankford-senator-oklahoma-evangelical-trump.html(Zugriff am 18.10.2018). ↩
- Vgl. Gushee, David P., Why Trump And What Next? An (Ex-)Evangelical Response, http://rsn.aarweb.org/spotlight-on/theo-ed/american-monotheisms/why-trump-an-ex-evangelical-response(Zugriff, am 26.09.2018). ↩