Auf einem international besetzten interreligiösen Podium zum Thema „Gleichberechtigung in den Religionen“ ist Julia Enxing abermals deutlich geworden, wie ängstlich und engstirnig die Debatten in der deutschen Katholischen Kirche ablaufen.
Die Debatte um die die sogenannte „Frauenfrage“ in der Katholischen Kirche trägt mittlerweile einen Bart – nein, keinen Damenbart. Immer wieder werden die gleichen Argumente aus der Mottenkiste geholt und durchgesetzt, überzeugt haben sie deshalb noch lange nicht.
Die Frauenfrage trägt einen Bart – nein, keinen Damenbart.
Zwei der Einwände gegen die Öffnung der Weiheämter für das nicht-männliche Geschlecht lauten: „Wir sind beauftragt, die Einheit der Kirche zu bewahren“ und „Wir sind Teil einer Weltkirche – ein ‚deutscher Sonderweg‘ kommt nicht in Frage“.
Höre ich den Einwand
- „Wir wollen die Einheit der Kirche bewahren, viele Gläubige sind gegen das Frauendiakonat und/oder Frauenpriestertum, eine Spaltung gilt es um jeden Preis zu verhindern“,
stellt sich mir die Frage, weshalb die „vielen Gläubigen“, die aufgrund der strukturellen Diskriminierung von Frauen in der Katholischen Kirche diese bisher verlassen haben, so wenig „auf der Agenda“ sind (vgl. das Interview mit Doris Strahm). Sorgt man sich – wenn überhaupt – wirklich nur um Kirchenaustrittszahlen (aufgrund der ausbleibenden Kirchensteuer)? Übersieht man vor lauter Angst vor einem „großen Schisma“ die vielen kleinen Schritte hinaus aus dieser Kirche? Müsste nicht vielmehr auch eine Aufmerksamkeit für jene Menschen den Diskurs lenken, die trotz Glauben und trotz Überzeugung und trotz Zahlungsbereitschaft die Kirche verlassen? Die gehen, weil sie es schlicht nicht mehr aushalten in einer Kirche, in der sie – wie es kürzlich eine Studentin von mir formulierte – „noch nicht mal mehr die Chance haben zu kämpfen“? Wo Einsätze (etwa theologisch-dogmatischer oder kirchenrechtlicher Art) mit Sanktionen und der Androhung des Nihil-obstat-Entzugs geahndet werden (vgl. Dorothea Sattler)?
blind vor Angst vor einem „großen Schisma“
Sind die vielen emanzipierten Frauen, die kurz vor dem kollektiven Exodus stehen, wirklich so egal für diese Kirche, die die Einheit ihrer selbst zu ihrem Wesensmerkmal erklärt hat? Dogmatisch gesprochen: Selbst, wenn die kirchliche Tradition so ausgelegt wird, dass bisher nur männliche Bischöfe in der Apostolischen Sukzession standen, kann dann wirklich die „Apostolizität“ gegen die „Einheit“ und die „Katholizität“ (i. S. v. „allumfassend“) ausgespielt werden? Müsste es nicht gerade um der Einheit willen darum gehen, eine größere Pluralität zuzulassen und allen, die die Einheit konstituieren, das Recht zugesprochen werden, auf allen Ebenen auch angemessen repräsentiert zu sein? Die Argumente gegen die Öffnung der Weiheämter haben längst eine theologische Ebene verlassen, die „Frauenfrage“ ist zur Stellvertreterdebatte für das Thema „Macht“ in der Kirche geworden. Dass es hierbei wirklich noch um die Einheit gehen soll, scheint konstruiert vor dem Hintergrund all jener, für die die „Frauenfrage“ keine „Frage“ ist.
Der zweite Einwand lautet:
- „Aber die Weltkirche! Besonderheit der Katholischen Kirche ist es doch, eine umfassende Weltkirche zu sein und weltweit sind Frauen und Männer längst nicht überall so emanzipiert und gleichberechtigt wie hier in Deutschland. Auf dem afrikanischen und lateinamerikanischen Kontinent wäre es sehr befremdlich, sich Frauen in der Rolle einer Diakonin oder Priesterin vorzustellen. Wir können keinen ‚deutschen Sonderweg‘ gehen.“
Teil des „Katholischen“ dieser deutschen Katholischen Kirche ist es, Teil einer Weltkirche zu sein. Das klingt international, offen, global, klingt nach weitgereist, vernetzt und „schon mal was anderes gesehen“, klingt nach „weitem Blick“. In der deutschen Debatte gegen das Frauenpriestertum ist der Verweis auf die „Weltkirche“ aber gerade kein Ausdruck der Offenheit. Gerade im Blick auf „die Frau“ ist ein eurozentrischer Tunnelblick zu bemerken, weshalb auch deutlich wird, dass dieses „wir sind hier vielleicht emanzipiert, aber weltweit …!“ ebenfalls ein Scheinargument in einer Debatte ist, der es gerade nicht um die Weltkirche geht und die einen weiteren argumentativ-kümmerlichen Versuch darstellt, die letzte Bastion des Patriarchats zu retten.
eurozentrischer Tunnelblick
Der Hinweis auf das Weltkirchliche scheint zudem weit hergeholt, wenn man sich die deutsche Theologie und die hier geführten Debatten vergegenwärtigt – ebenso die Publikationen der Bischöfe. Als ob man hier den Blick über den eigenen, deutschen Tellerrand hinauswagen würde! Viele fachwissenschaftliche theologische Debatten hinken weit hinter der internationalen Theologie hinterher, hüllen sich in den weichen Mantel der Selbstgenügsamkeit, den die „großen deutschen Theologen“ einst ausgebreitet hatten. Wer jedoch auf internationalen Konferenzen zu Besuch ist, dem wird schnell klar: diskursbestimmend sind „wir“ nicht.
Rabbinerinnen, Imaminnen, Pastorinnen
Auf einem interreligiösen Podium zu „Gleichberechtigung in den Religionen“ Ende September 2020 (organisiert vom KDFB Berlin und Maria 2.0) ist mir dies kürzlich nochmals besonders deutlich geworden. Die Moderatorin fragte uns Podiumsteilnehmende nach unseren Vorbildern. Helene Braun, eine junge Jüdin, die gerade inmitten ihrer Studien für das Rabbinat steckt, erzählte von Regina Jonas, die 1935 zur Rabbinerin ordiniert wurde. Die Muslimin Lana Sirri, Juniorprofessorin für Gender und Religion am Centre for Gender and Diversity der Universität von Maastricht, berichtete davon, wie sie vor vielen Jahren in Kapstadt war und dort Imaminnen erlebt habe, die Moscheen leiteten und wie absurd sie es fand, als in Deutschland 2017 ein Medien-Hype um die erste von einer Imamin, Seyran Ateş, in Deutschland gegründete Moschee entfachte. Damals klopfte sich Deutschland auf die Schulter: „Wir haben es geschafft, wir haben den Islam emanzipiert, wir sind einen Schritt weiter im Kampf gegen die Unterdrückung der Frau im Islam.“ Auf dem Podium konnten wir alle darüber lachen, auch darüber.
Das Lachen verging mir, als ich gefragt wurde, wer so meine weiblichen Vorbilder seien. Vorbeterinnen im Islam – schon sehr lange, die erste Pfarrerin in der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich 1918, die erste Rabbinerin 1935, 1996 die ersten Priesterinnenweihen in der Altkatholischen Kirche … mir fielen viele Frauen ein, die sich für eine Anerkennung des gleichen Rechts – für eine Gleichberechtigung – aller Geschlechter in der Katholischen Kirche eingesetzt haben. Die Geschichte der ersten Priesterin (die nicht exkommuniziert wurde) konnte ich nicht erzählen. Werde ich sie je erzählen können, frage ich mich?
Neulich teilte mir eine Studierende mit, dass auch sie so gerne Priesterin wäre. Sie könne sich das richtig gut vorstellen und ob ich glaube, dass sich da in den nächsten Jahren etwas tue, jetzt, wo wir doch „den Synodalen Weg haben“. Ich schluckte.
Wagt euch hinaus!
Dieser Blick in die Welt der Religionen verdeutlicht, dass die Idee, dass nicht-katholische Gläubige weltweit auf dem Vormarsch in Sachen Frauenordination sind, aber die Katholische Kirche mit Blick auf dieselbe Welt für ihre Gläubigen die Anerkennung gleicher Rechte für Frauen und Männer als spalterisches Gedankengut tituliert. Liebe Bischöfe, fragt doch mal die „Frauen der Weltkirche“, ob sie wirklich etwas dagegen hätten, wenn auch die Katholische Kirche Diakoninnen und Priesterinnen kennen würde. Fragt sie doch mal. Unterhaltet euch mal mit jungen Menschen weltweit, informiert euch über all jene Bereiche, wo das Nicht-Männliche die Welt mitgestaltet; seid zu Gast in den Hauskirchen im Amazonas, bei denen Frauen dem Gottesdienst vorstehen; seid zu Gast bei queeren Gemeinden und lernt von ihnen; wagt euch hinaus in die Welt der Religionen und lernt, die eigne Starrheit zu hinterfragen. Wer nur die (alten) Männer fragt, der bekommt die ewig gleiche Antwort: „Frauenweihe? Wo kämen wir denn da hin?“
Julia Enxing ist Professorin für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der TU Dresden. Sie ist Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net
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