Ankommen – Advent. Das gehört zusammen. Ankommen im Alltag, im Studium, im Beruf, in der aktuellen Gefühlslage – all dies setzt etwas anderes voraus. Helga Kohler-Spiegel hat dazu Hinweise in einem adventlichen Bibeltext gefunden.
Advent – die Zeit des „Ankommen“, das ist bekannt. Ich habe beruflich viel mit „Ankommen“ zu tun, wenn Studierende am Beginn ihres Studiums an der Hochschule ankommen, äußerlich und irgendwann in den ersten Studienmonaten auch innerlich, in ihrer neuen Rolle als Studentinnen und Studenten, in ihrer neuen Zugehörigkeit und ihren neuen Aufgaben, im neuen kommunikativen und sozialen Umgang sowie in neuen Spielregeln an der Hochschule. Ein pädagogisch praktisches Studium in der Lehrer*innenbildung bedeutet, auch in der Rolle als (angehende) Lehrperson anzukommen, später dann im Beruf, an der jeweiligen Schule mit allen Ansprüchen, Verpflichtungen und Herausforderungen als junge Lehrerin bzw. Lehrer.
Auch in Psychotherapie und Coaching ist das immer wieder Thema: Ankommen – ankommen in der Beratung und Psychotherapie, ankommen in der Herausforderung, der Entwicklungsaufgabe, ankommen im Schmerz oder der Trauer, der Zuversicht und dem Mut. Und hoffentlich, vor allem: ankommen bei sich selbst.
Ankommen als spirituelle Haltung
Bei all diesem „Ankommen“ bin ich auf die Suche gegangen, was es denn mit der spirituellen Haltung des Ankommens auf sich hat. Bei einer traditionell vorweihnachtlich angesiedelten Überlieferung wurde ich fündig, ziemlich genau in der Mitte zwischen „Verheißung bzw. Verkündigung“ und „Geburt“ von Johannes und Jesus ist die Begegnung der beiden Frauen Elisabeth und Maria angesiedelt (Lukas 1,39-45).
Die ältere Frau
Die ältere Frau, Elisabeth – ihr Name bedeutet: „Gott hat einen Eid gegeben“, Gott hat sein Wort gegeben. Für Elisabeth muss ihr Name manchmal wie Hohn getönt haben. Schon lange wartet sie auf ein Kind, so heißt es, viele Frauen hören irgendwann auf zu warten und zu hoffen, damit es weniger weh tut. Mir nicht ganz unbekannt, Menschen sind weniger verletzbar, wenn sie gelernt haben, sich mit den Wünschen und Hoffnungen auch die Enttäuschungen zu ersparen.
Aufhören zu warten und zu hoffen, damit es weniger weh tut.
Elisabeth, die ältere Frau, ist – so überliefert Lukas – recht vor Gott, „gerecht“, sagt die Bibel dazu, aber das Leben ist ungerecht zu ihr. Bis es eines Tages ihrem Mann die Sprache verschlägt, bis alles anders wird (Lukas 1,5-25). Es gibt sie also noch, diese „Geschichten mit unerwartet guten Ausgang“, wie Thomas Meurer die Wundergeschichten der Bibel nennt. Elisabeth hat sich, so erzählt Lukas, fünf Monate lang zurückgezogen…
Die jüngere Frau
Da ist Maria, die junge Frau, verlobt. Ihre Widerrede im Gespräch mit dem Engel, der sichtbaren Seite Gottes, wird akzeptiert. In der sogenannten Verkündigungsszene (Lukas 1, 26-38) versucht Maria zu verstehen, was ihr bevorsteht, bis sie sagen kann: „Ja, ich bin Prophetin, Knechtin Gottes, wie Elija und Jesaja und Jeremia und Mirjam und Hanna vor mir.“ So oder ähnlich – es sind unerhörte Worte aus dem Mund eines jungen Mädchens.
„Ja, ich bin Prophetin, Knechtin Gottes.“
„Mit Eile“ – so überliefert das Lukasevangelium – geht die jüngere Frau zur älteren Frau, drei Monate verbringen sie gemeinsam, was sie dabei erlebt haben, bringt Lukas in die Worte: „Jubel und Freude, erfüllt und gesegnet.“
Und Maria singt, sie singt (wie vor ihr die Prophetin Hanna in 1 Sam 2, 1-10) diesem Gott, den/die sie als Aufbruch und als Leben in sich erfährt: „Es preist meine Seele Gott den Herrn und in Jubel geraten ist mein Geist über Gott meinen Retter…“ Maria singt von dieser Zusage Gottes, von einem Leben nach den Spielregeln Gottes. Entgegen der Welt von Kaisern und Herrschern, von Augustus und Herodes wird etwas Neues in die Welt kommen.
Gott – in der Begegnung von zwei Freundinnen
In dieser Begegnung zwischen zwei schwangeren Frauen zeigt sich, was Christinnen und Christen „Gott“ nennen. Danach kann die Niederkunft, die Ankunft folgen. Advent heißt Ankommen. Dem Ankommen aber geht ein Aufbrechen voraus.
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Helga Kohler-Spiegel ist Professorin für Human- und Bildungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg und Redakteurin von feinschwarz.net.
Bild: Relief am Dom von Orvieto – Georges Jansoone auf Wikimedia Commons.
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