Am kommenden Sonntag feiert die katholische Kirche Christkönig. Ein durchaus ambivalentes politisches Fest, wie Franca Spies verdeutlicht.
Es gehört zu den jüngeren der katholischen Feste, doch sein theologisches Erbe ist brisant: Seit 98 Jahren feiert die katholische Kirche das Christkönigsfest. Dessen Einsetzung geht zurück auf die Enzyklika „Quas Primas“ von Pius XI.; der Papst stellt darin heraus, inwiefern Christus als König des öffentlichen und privaten Lebens zu gelten hat. In dieser theopolitischen Spitzenaussage konvergieren einige Interessen, die auf die Situation der römisch-katholischen Kirche im Jahr 1925 reagieren. Dabei darf das proklamierte Königtum Christi bestenfalls als antifaschistische Aussage begriffen werden, die den ersten drei Jahren der Mussolini-Regierung etwas entgegenzusetzen versucht.
Allerdings wird man Pius XI. wohl keine allzu großen ideologiekritischen Absichten unterstellen dürfen, denn das Christkönigsfest richtete sich seinem Ansinnen nach in erster Linie gegen den zunehmend aufkommenden Laizismus; es steht somit zweifelsohne in der Kontinuität des kirchlichen Antimodernismus. Denn obwohl die Enzyklika „Quas Primas“ zunächst zugesteht, dass das Königtum Christi hinsichtlich seiner geistlichen Qualität zu verstehen sei (vgl. DH 3678), führt sie anschließend aus, inwiefern es sich dennoch auf staatliche, gesellschaftliche und häusliche Belange erstreckt. Christus ist „in der Tat die Quelle des privaten und allgemeinen Heils: ‚Und in keinem anderen ist Heil; noch ist den Menschen ein anderer Name unter dem Himmel gegeben, in dem wir gerettet werden sollen‘“ (DH 3679). Den Gehorsam gegenüber Christus bezeichnet der Papst schließlich gar als öffentliche Pflicht der Regierenden.
Erblast
Es gibt zahlreiche und schwerwiegende theologische Gründe (von demokratietheoretischen ganz zu schweigen), die regelrecht theokratische Haltung Pius’ XI. gegenüber säkularen Staaten abzulehnen. Nur das wohl wichtigste Argument sei genannt: Der christologische Triumphalismus, der eben nicht nur in religiösen, sondern auch in gesellschaftlichen Fragen beansprucht wird, lässt sich offenbarungstheologisch sicherlich nicht durchhalten – dies haben auch Texte des Lehramts längst aufgearbeitet. Gerade im Zuge des Zweiten Vaticanums hat die römisch-katholische Kirche ihr geschichtlich-gesellschaftliches (Selbst-)Bewusstsein geschärft. In diesem Zusammenhang musste die Identifikation der Kirche mit dem Reich Gottes auf Erden einer hermeneutisch vorsichtigeren konstitutiven Bezugnahme auf Jesus Christus weichen, die der Metapher der „pilgernden Kirche“ zugrunde liegt. Die Offenbarung ist gemäß der Konzilskonstitution „Dei Verbum“ in der Kirche – fast möchte man sagen: nur – als „Spiegel“ vorhanden, „in dem die Kirche Gott, von dem sie alles empfängt, auf ihrer irdischen Pilgerschaft anschaut, bis sie hingeführt wird, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, so wie er ist“ (DV 7).
Reine Selbstver-un-gewisserung
Aus dieser kirchlichen Selbstrelativierung folgen einige weitere theologische Einsichten, welche die Erblast des Christkönigsfestes zumindest ein wenig erleichtern können: Denn eine Pilgerin wie die Kirche strebt ihrem Ziel entgegen, dessen Beschaffenheit sie mehr erhofft denn kennt; sie kann folgerichtig weder für sich noch für andere eine letzte Gewissheits- und Gehorsamsforderung stellen.[1] Es gibt somit keinen triftigen Grund, im Feiern von Christkönig jene problematische Verflechtung von Religion und Politik zu propagieren, die bei Pius XI. angedacht war.
Mehr noch: Die ausdrückliche Vorläufigkeit der Kirche erlaubt eigentlich eine Befreiung von religiösen und gesellschaftlichen Deutungsmachtansprüchen, die ein Eintreten in einen ergebnisoffenen politischen Dialog ermöglicht und nahelegt. Und dies gilt, um es noch einmal zu betonen, aus einem katholisch-theologischen Argumentationsrahmen heraus. Aus alledem darf wohl gefolgert werden, dass der kommende Sonntag aus kirchlicher Sicht erst einmal mit Ansprüchen an sich selbst und nicht an die außerkirchliche Welt einhergeht. Unter der Maßgabe der eschatologischen Spannung, die mit dem Bild der pilgernden Kirche zum Ausdruck kommt, stellt das Christkönigsfest allerdings mindestens so sehr ein Fest der Ungewissheit wie der Selbstvergewisserung dar.
Schöpfung und Reich Gottes
Wenn das Christkönigsfest in der Vergegenwärtigung eschatologischer Ungewissheit kirchliche Selbstansprüche thematisiert, bedeutet das noch lange nicht, dass es – im Sinne einer alternativen Ordnung des Königtums von einer anderen Welt – eine Absonderung der Kirche und ihren Rückzug ins Apolitische impliziert. (Letzterem läge allein das Missverständnis zugrunde, dass ein Raushalten aus gesellschaftspolitischen Fragen nicht seinerseits politisch wäre. Vermeintliche Neutralität stabilisiert bestehende Machtverhältnisse und ist damit zutiefst politisch.) Die Hoffnung auf ein endzeitliches Königtum Christi dispensiert gerade nicht von gesellschaftspolitischem Engagement, sondern begründet und motiviert es.
Doch welche theologische Grundhaltung darf hier gefordert werden, wenn doch feststehen muss, dass die hegemonialen Ansprüche von Pius XI. zugunsten einer Deutungsoffenheit von Kirche und Gesellschaft überholt sind? In der Ausrichtung auf das Reich Gottes erhält ein gesellschaftspolitisch engagiertes Christentum klare Konturen: Der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu liegt der Schöpfungsglaube zugrunde, denn „Gott ist für die Gesamtheit des Lebens des Menschen die schöpferische und tragende Kraft.“[2] Das Kommen des Reiches Gottes artikuliert darum die Hoffnung, die Widrigkeiten des geschöpflichen Lebens mögen eine heilvolle Wendung erfahren.
Erblust statt Erblast?
Abermals begründet oder begünstigt dies jedoch keine Passivität: In den Evangelien besteht die Konkretion der Reich-Gottes-Verkündigung in den Wundern Jesu, die „zu Realsymbolen des Gottesreiches [werden], so dass in Jesu heilendem und rettendem Handeln dieses Reich so erfahren wird, dass es schon als angebrochen geglaubt werden kann.“[3] Solche heilvolle Zuwendung zur Welt und zu den Menschen verbindet die eschatologische Hoffnung mit einer konkreten ethischen Praxis. Eine Reduktion des Reiches Gottes auf dessen geistliche Verwirklichung im menschlichen Leben erscheint vor diesem Hintergrund unangemessen, denn „[d]er kosmischen Verwandlung im Großen entspricht die Verwandlung des einzelnen Menschenlebens: durch Umkehr des Verhaltens und Umkehr der Maßstäbe – besonders gegenüber den Schwachen, Stigmatisierten und Deklassierten.“[4] Die eschatologische Spannung, in der die pilgernde Kirche steht, provoziert nicht nur gläubige Hoffnung, sondern soteriologische Performativität.
Die Praxis Jesu, das Anbrechen des Reiches Gottes als eine heilvolle Zuwendung zum Geschaffenen, stellt Ansprüche an das gesellschaftspolitische Handeln von Christ:innen. Es soll bestehende Machtverhältnisse nicht reinstituieren, sondern sich heilvoll dem zuwenden, was als ausgeschlossen oder verworfen markiert ist. Das mag also vielleicht eine Deutung des Christkönigsfests in dieser Zeit sein: Wo ein christlich motiviertes Handeln Strukturen der Ungerechtigkeit unterläuft, wo es gerade gegen institutionelle Hierarchien vorgeht und für die Anerkennung diskriminierter Leben eintritt, wo es sich in diesem Sinne das heilvolle Handeln Jesu zum Vorbild nimmt, bricht das Reich Gottes an.
Franca Spies, Dr. theol., ist wissenschaftliche Oberassistentin an der Professur für Fundamentaltheologie der Universität Luzern.
[1] Die an das Zweite Vaticanum anschließende Liturgiereform ist auf diesen eschatologischen Zug aufgesprungen und hat eine entsprechende Akzentverschiebung bei der Feier des Christkönigsfestes vorgenommen.
[2] Karl Löning, Karl / Erich Zenger, Erich, Als Anfang schuf Gott. Biblische Schöpfungstheologien, Düsseldorf 1997, 193.
[3] Angelika Strotmann, Der historische Jesus. Eine Einführung, Paderborn 32019, 133.
[4] Gerd Theissen / Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996, 351.
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