Helga Kohler-Spiegel ist das „UND“ wichtig, um die moralische Dimension der Fastenzeit etwas aufzulockern.
Einer der größten Faschingsumzüge Österreichs ist vorbei, nach einer endlich wieder „normalen“ Fastnacht haben die Guggenmusiken bis zum 11. 11. Zeit zum Üben, der Aschermittwoch bringt den Alltag und mit ihm die Fastenzeit. Der Begriff „fasten“ meint im Alt- und Mittelhochdeutschen ursprünglich ein „fest sein“, „festhalten“, bewachen, streng beobachten“ – häufig verbunden mit dem Festhalten an den Geboten der Enthaltsamkeit.
Es scheint unumgänglich, sich für die Fastenzeit etwas vorzunehmen, in meinem Umfeld tun das (fast) alle. Kein Alkohol, kein Zucker, Intervallfasten oder eine intensive Fastenwoche… Klar – selbstverständlich ist ein Unterbrechen oder gar Verändern von Gewohnheiten sinnvoll. Und dann ist mir ein Kinderbuch in die Hände gefallen: „Die Geschichte vom kleinen Und“, erstmals 1978 in Franz Fühmanns Sprachspielbuch „Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel“ erschienen. Und jetzt – neu aufgelegt, wunderbar illustriert von Jacky Gleich, erschienen im Hinstorff Verlag Rostock 2022. Weil auch die Gegenwart solche Bücher braucht.
Die Geschichte vom kleinen Und.
„Es war einmal ein langer, langer Satz, darin kamen schrecklich viele ‚unds‘ vor, und weil der Satz so lang war, konnten die Wörter gar nicht richtig aufeinander aufpassen, und so lief ein und aus dem Satz heraus und legte sich in die Sonne und ließ sich bescheinen.
In dem Satz nämlich stand es zwischen lauter finsteren Worten, drum hatte es Sehnsucht nach der Sonne, aber als es so dalag, schlief es ein, und als es wieder aufwachte, war der Satz längst weitergegangen, und das arme kleine und stand mutterseelenallein in der Welt.
Allein, das war noch schlimmer als zwischen Dunkel und Finsternis. Das kleine und begann zu weinen. ‚Was fang ich ganz allein auf der Welt an, ich kleines und!‘, schluchzte es traurig. Da kam ein einsames großes H auf seinen zwei Beinen einhergestelzt. ‚Ich bin auch so allein wie du‘, sagte das große H, ‚komm, gehn wir zusammen!‘
‚Nein, ich will nicht,‘, sagte das kleine und, ‚da müsste ich ja immerzu bellen.‘“ (S. 4-9)
Das kleine und wird verschiedenen Buchstaben wie dem M und dem R begegnen. Wortkombinationen wollen das kleine und in seine Mitte nehmen, kurz – klein sowie faul – gefräßig bieten einen Platz für das kleine und an, der nicht gut ist…
Fastenzeit: Zeit für Wunder.
Irgendwann später: „‚Ach, wer soll kommen, mir endlich zu helfen?‘, schluchzte es. Da kam auch schon das Wer daher. ‚Du hast mich gerufen, also muss ich kommen‘, sagte das Wer, ‚wir wollen miteinander gehen!‘ ‚O ja, liebes Wer!‘, rief das kleine und; ‚aus uns beiden wird wirklich etwas Schönes!‘ Und da schloss das große Wer das kleine und in seine Arme, und da wurde ein Wunder aus den beiden, und wenn zwei sich umarmen, die sich mögen, wird das immer wieder ein Wunder sein.“ (S. 28-30)
Und so habe ich entschieden, in dieser Fastenzeit dem „Und“ Raum zu geben, dem Sowohl-als-Auch, dem Wahrnehmen, nicht dem Bewerten. Wenn sich ein Wer, ein Jemand, wenn sich eine Person mit dem „Und“ verbindet, dann ist das wunderbar. Thomas Meurer nannte Wunder „Geschichten mit unerwartet gutem Ausgang“.
Es werden wohl etwas weniger als 40 Tage sein, denn manchmal werde ich es vergessen, und manchmal könnte es mir nicht gelingen. Aber ich werde für diese 40 Tage Fastenzeit das „Und“ in den Mittelpunkt stellen. Vermutlich hoffe ich auch auf ein paar „Wunder“. Zumindest bin ich gespannt, was passieren wird in diesen 40 Tagen.
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Helga Kohler-Spiegel, Professorin für Human- und Bildungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg, Österreich. Psychotherapeutin und Lehrtherapeutin, Psychoanalytikerin und (Lehr)Supervisorin.
Bild: Buchcover „Die Geschichte vom kleinen UND“ von Jacky Gleich und Franz Fühmann.