Sr. Marie-Pasquale Reuver berichtet vom Scheitern und den Lernerfahrungen eines Quartierpastoralen Projekts.
Drei Jahre als Seelsorgerin in der Quartierspastoral liegen hinter mir. Mit hohem Enthusiasmus und großer Freude an der experimentellen Freiheit bin ich gestartet. Schnell stellten sich erste Ernüchterungen ob struktureller Grenzen ein, vieles ist nicht gelungen, vieles hätte anders laufen können. Und doch, bei allem auch Scheitern, erlebe ich das kirchliche Engagement im Sozialraum als eine notwendige Form der Pastoral, wenn Kirche ernst nehmen möchte, dass Gott im ganz alltäglichen Miteinander erfahrbar ist und Heiliges sich immer dort ereignet, wo Menschen zusammenkommen, unabhängig von Kirchenzugehörigkeit und spiritueller Sehnsucht. Die folgenden Zeilen wollen dem Scheitern solcher Projekte Raum geben, aber auch den Chancen und Zukunftsperspektiven dabei.
Das Pallotti Quartier in Stuttgart-Birkach[1]
Das Pallotti Quartier entstand 2021 auf dem Gelände der 2017 profanierten und abgerissen Vincenz Pallotti Kirche. Der Kirchengemeinde war bei der Neunutzung des Ortes wichtig, dass soziale Aspekte zum Tragen kommen und weiter Raum für religiöses Miteinander bleibt. So errichtete das Siedlungswerk Stuttgart ein Quartier bestehend aus sechs Mehrfamilienhäusern unterschiedlicher Größe mit 61 Wohneinheiten, einer viergruppigen Kindertagesstätte mit Kindergarten und Krippenbereich und dem „Pallotti Haus“ mit Wohnraum für Studierende und Menschen mit Fluchthintergrund, einem Gemeinschaftsraum, einem Gemeinderaum, einer kleinen Küche und einem Büro für die Beschäftigten im Quartier. Mit der Arbeit im Quartier waren wir zu dritt betraut: Eine Vertreterin der Caritas als Ansprechpartnerin für die Geflüchteten, eine Vertreterin des Siedlungswerkes für das Quartiersmanagement und ich für die Quartierspastoral.
Wagnis des fehlenden Konzeptes und Freude daran
Wegen Bauverzug wäre Zeit für ein Konzept für die ersten Monate meiner Arbeit gewesen. Doch mir war schnell klar, dass dies nicht gelingen kann, unwissend, wer dort mit mir einzieht: Kirchlich interessiert oder nicht? Alt oder jung? … So startete ich ohne Konzept, aber mit der klaren Haltung Angebote am Interesse der Menschen, aus den Begegnungen heraus, entstehen zu lassen. Wichtig war für mich zu Beginn: Wie bin ich präsent? Wie komme ich in Kontakt? Ergebnis dieser Überlegungen war eine Woche mit Eiscafé und Eisschokolade an jedem Nachmittag – so konnten die Bewohner:innen untereinander in Kontakt kommen und ich aus den eigenen Begegnungen ein Gespür dafür entwickeln, was die Bewohner:innen umtreibt. Ein großer Vorteil für meine Arbeit war das Wohnen im Quartier: wir brauchten einander, ich hatte die gleichen Fragen und Bedürfnisse. Wir teilten ein Stück Alltag.
Drei Scheiterpunkte
Was ist eigentlich Quartierspastoral und was nicht?
Weder die Bewohner:innen, noch ich hatten Vorerfahrungen mit meiner Rolle. Ich konnte zwar sagen, wozu ich da sein wollte, und würde es verkürzt so auf den Punkt bringen: Das Heilige im Miteinander entdecken helfen. Mein Rahmen war hier ein weiter – für mich gehörten selbstverständlich Dinge wie die Ermöglichung von Foodsharing oder das Bauen eines Hochbeets dazu. Viele Bewohner:innen hätten dies jedoch nicht vermutet. In der Diözese gibt es dankenswerterweise eine Gruppe aller Quartierspastoraler, die sich regelmäßig austauscht. Zu mehr Rollenklarheit konnte diese mir jedoch nicht verhelfen, da jedes Quartier mit seinen ganz unterschiedlichen Strukturen und Netzwerkpartner:innen unterschiedliche Rollenfüllung erfordert.
Mein Rahmen war hier ein weiter
Die Treffen halfen aber doch dazu, mehr Sicherheit zu gewinnen und meinen Erfahrungen vor Ort zu trauen. Ein wichtiger Punkt ist hier auch die Frage der Abgrenzung zwischen Quartierspastoral und Quartiersmanagement: Nach meinem Verständnis können auch die Aufgaben eines Quartiermanagements pastorale Qualitäten annehmen: Warum nicht auch Raumvermieterin sein und damit Zusammenkünfte ermöglichen? Warum nicht Festplanung in die Hand nehmen, auch ohne spirituellen Programmpunkt? Warum nicht auch zur Verfügung stehen, wenn Parteien sich streiten? … Werden beide Rollen mit unterschiedlichen Personen besetzt bedarf es einer klaren Rollenabsprache.
Netzwerk unterschiedlich denkender Institutionen
Mit meiner eigenen Klarheit begann jedoch ein ganz anderes Problem: Wir arbeiteten zusammen als Vertreter:innen von Institutionen mit ganz unterschiedlichen Interessen: Für den Bauträger stand die Zufriedenheit der Eigentümer im Vordergrund, für die Caritas die Schaffung einer guten Atmosphäre für die Geflüchteten und für die Kirche einen innovativen pastoralen Ort gestalten, der neu für den Glauben begeistert.
So ist viel Energie verpufft
Als meine Aufgabe sah ich es besonders die im Blick zu haben, die wenig Gehör fanden und Anwältin für die zu sein, die es in Konflikten schwer hatten sich zu äußern. Die unterschiedlichen Interessen der Institutionen hätten direkt zu Beginn benannt werden müssen und m. E. braucht es in einem solchen Netzwerk dringend eine supervidierende Stimme von außen. Uns ist es nicht gelungen konstruktiv zusammen zu arbeiten und eine gemeinsame Zielvorstellung zu gewinnen. So ist viel Energie verpufft und viele Ideen konnten nicht umgesetzt werden.
Berechtigte Indifferenz der Bewohner:innen
Gerechnet habe ich mit einem großen Interesse der Bewohner:innen – nicht an dem pastoralen Aspekt des Projektes, aber an dem Gemeinschaftsaspekt: Jede:r wusste, worauf er/sie sich einließ und so rechnete ich damit, dass auch nur Menschen Eigentum in diesem Quartier kauften oder mieteten, die das Konzept der Vergemeinschaftung, auch mit Menschen mit Fluchthintergrund, bejahten. Das war jedoch nicht der Fall: Für viele waren schlichtweg Lage und Ausstattung entscheidend, nicht die Möglichkeit der Vergemeinschaftung.
Bubbles, die keine Begleitung von außen brauchten
Andere waren daran zwar interessiert, stießen aber schnell an ihre Grenzen, als sie zum Beispiel spürten, dass das auch bedeutet, dass man spielende Kinder hört und diese die Ruhe oder die Arbeit im Home Office schon einmal durcheinander bringen. Wieder andere hatten das Thema des kulturellen Miteinanders unterschätzt, so dass es immer wieder auch darum ging gegen Rassismus vorzugehen. Und dann gab es einen großen Teil in der Bewohnerschaft, der zwar positiv eingestellt war, was Vergemeinschaftung betraf, jedoch neben Arbeit und kleinen Kindern dies schlicht der ersehnte „Bonuspunkt“ blieb, der sich nicht erfüllen ließ.[2] Anfangsaktionen um sich Kennenzulernen waren für viele sehr hilfreich – als man sich dann besser kannte, bildeten sich unterschiedliche Bubbles, die keine Begleitung von außen brauchten.
Und trotzdem!
Trotz all der Widrigkeiten habe ich immer wieder erlebt, warum sich der Einsatz im Quartier lohnt:
- Interesse der Bewohner:innen an jahreskreislich-ritueller Begleitung durch das Feiern von St. Martin, Nikolaus, Advent, Weihnachten, Erntedank, Sommerferienbeginn etc. Religiöse Elemente wurden, wenn mit einem Sitz im Leben erklärt, sehr gerne angenommen, so z.B. das sich in der Familie mit den je eigenen passenden Worten segnen.
- Aufmerksam machen auf das Heilige: Dadurch, dass ich immer wieder ins Wort gebracht habe, wo sich Heiliges im Miteinander ereignet, wo unter uns nicht Selbstverständliches geschieht und uns Geschenke zuteilwerden, die nicht in unserer Hand liegen, haben sich andere von diesem Blick anstecken lassen.
- In meiner eigenen theologischen Sprache herausgefordert sein, weil ich keine Begriffe etc. voraussetzen konnte: Wie heilsam einen Gott entdecken zu dürfen, der ganz ohne kirchliches Vokabular auskommt! Und dann die Frage: Jemand aus dem Quartier, der durch mich aufmerksam wird auf Angebote der Kirchengemeinde – wäre da überhaupt ein Zugang?
- Eine echte Offenheit für die Frage, wie Gott hier gegenwärtig ist und sich ereignet zu haben, ohne dass diese hinter scheinbaren strukturellen Notwendigkeiten verschwindet.
Vielleicht geht es auch erst einmal darum friedlich nebeneinander zu leben
Fazit
Nur Präsenz und Kontakt und eine Haltung der Offenheit für die konkreten Menschen vor Ort reichen für eine gute ereignisbasierte Pastoral nicht aus. Gott lässt sich zwar von hindernden Strukturen sicherlich nicht abschrecken, doch verpufft Energie, wenn nicht klare Absprachen und Zielvereinbarungen getroffen werden, gerade da, wo Player mit unterschiedlichen Organisationslogiken zusammenkommen. Und vielleicht war das Ziel auch von Seiten der Institutionen zu hoch gesteckt. Vielleicht geht es auch erst einmal darum friedlich nebeneinander zu leben und dann sich daran zu freuen, wenn doch hier und da mehr entsteht.
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Sr. Marie-Pasquale Reuver ist Pastoralreferentin und hat bis Oktober 2024 in der Quartierpastoral gearbeitet.
Bild: Andreas auf Pixabay
[1] https://www.iba27.de/projekt/st-vinzenz-pallotti/
[2] Die Standard Wohnpartei waren junge Familien mit zwei Kindern im Kita/Grundschulalter, wo meistens sogar beide Elternteile arbeiteten, um die Wohnung finanzieren zu können. Daneben einige Paare und sehr wenige ältere Bewohner:innen.