Hanspeter Schmitt wirft einen Blick zurück auf die Bischofssynode 2015. „Und sie bewegt sich doch…“
„Und sie bewegt sich doch …“ Diesen Satz soll Galileo Galilei im Jahr 1633 beim Verlassen des vatikanischen Gerichtssaals gemurmelt haben. Kurz zuvor musste er unter dem Druck der Inquisition seiner Überzeugung abschwören, dass die Erde nicht ruht, sondern ein beweglicher Himmelskörper ist. Man hatte ihn an Leib und Leben bedroht, um die traditionelle Naturordnung zu retten. Dem hielt Galilei nicht stand und gab wider besseres Wissen nach. 1992 räumte die Kirchenleitung ihren Fehler immerhin ein und bat um Verzeihung: auch für die Gefahr kirchlich Mächtiger, Erfahrungen und Einsichten des gelebten Lebens zu ignorieren, anstatt sich ernsthaft damit zu befassen.
Und sie bewegt sich doch! Das sagen nach Abschluss der Weltfamiliensynode auch die meisten Insider und Experten – diesmal über die katholische Kirche selbst. Sie werten die dreiwöchige Debatte über Ehe, Familien- und Partnerschaftsformen als starkes Zeichen für eine Bewegung der offiziellen kirchlichen Sicht. Allein die offene wie öffentliche Streitkultur bezüglich dieser zentralen Bereiche war ein Novum: kontroverse Positionen und differente kulturelle Traditionen wurden ausgetauscht, Sachgründe und persönliches Erleben kamen zu Wort, meist wurde ehrlich zugehört und um Konsens gerungen.
offene wie öffentliche Streitkultur
Bereits im Vorfeld dieses Prozesses war die Wirklichkeit betroffener Menschen einbezogen worden. Das geschah durch weltweite Befragungen aller Mitglieder und Gemeinden. Wiederum ein beachtliches Novum! So drangen soziale Lagen, Herausforderungen und Nöte konkreter Familien und Partnerschaften ins Plenum, genauso aber ihre Hoffnungen und offenkundigen Qualitäten. Auch wurde so die breite Kritik an der offiziellen Lehre präsent: Es sei christlich mangelhaft, Menschen pauschal abzuwerten und sakramental auszugrenzen, wenn sie den vermeintlich natürlichen Idealen des Beziehungslebens nicht oder nicht mehr entsprächen.
Diese neue Dialogfähigkeit und Sensibilität prägte nicht zuletzt die Sprache der Synode – bis hinein in den mit Zweidrittel-Mehrheit verabschiedeten Schlusstext: Er zeigt Engagement und Solidarität für die legitimen Bedürfnisse unterschiedlichster Familienkonstellationen. Auch beweist er grundsätzlichen Respekt für die jenseits der klassischen Ehe – etwa geschieden oder gleichgeschlechtlich – Lebenden und Liebenden. Das sollte jene zur Umkehr motivieren, die sich noch vor der Synode der Diskriminierung sexueller Minderheiten schuldig machten oder allein das Gespräch über Familienvielfalt als Angriff auf den Schöpfer bezeichneten.
grundsätzlicher Respekt
Gleichwohl beurteilen viele die aktuelle Bewegung der Kirche als zögerlich und unzureichend – gerade angesichts der Ergebnisse, die die Synode hervorgebracht hat. Zwar ist der alte Rigorismus überwunden, vermehrt wird von Gewissenskompetenz und situationsbezogenen Entscheidungen gesprochen, auch Einzelfallregelungen und regionale Modelle sind im Gespräch. Dennoch fehlt es vielen Betroffenen an klaren Zusagen, was die praktische Anerkennung ihrer in Verantwortung übernommenen Lebensumstände angeht. Vor allem die Würde und Identität homosexueller Orientierung ist deutlich zu wenig in den Blick gekommen. Das räumen Synodenteilnehmer offen ein und sehen darin eine der wichtigsten künftigen Aufgaben der Kirche.
Dynamik der Barmherzigkeit
Überhaupt wird die nahe Zukunft zeigen, dass Bewegung das Markenzeichen der Kirche ist. Dabei muss sie auch weiterhin umfassend für die Förderung und den Schutz von Ehe, Familie und liebender Partnerschaft eintreten. Nach dem Willen der Synode geschieht das jedoch als „Dynamik der Barmherzigkeit“: Sie sprengt starre Normen und Lehrgebäude auf und macht die ursprüngliche Wahrheit wieder lebendig. Es ist die Wahrheit der Güte Gottes, die denen gilt, die in Jesu Augen „mühselig und beladen“ (Matthäus 11,28) sind. Dies kirchlich klarzustellen, ist das Projekt von Papst Franziskus. Wenn die Ergebnisse der Synode auch allgemein und offen klingen: ihr Stil und die eingeschlagene Richtung sind für ihn die ideale Vorlage, diese Dynamik kirchlicher Bewegung reformorientiert voranzutreiben.
(Hanspeter Schmitt, Chur)