Durch die (systematische) Theologie geht seit langem ein neuer Riß: „analytisches“ gegen „kontinentales“ Denken. Dennis Stammer berichtet vom Dialog-Symposion der Theologie-Kontroverse in Köln, einem mehr als überfälligen Ereignis.
Nachwuchswissenschaftlern im religionsphilosophischen Grenzbereich zwischen Philosophie und Theologie mag es heutzutage fast wie ein kleines Wunder erscheinen, aber es hat wirklich stattgefunden (am 29.06.2018 in der Kölner Universität): das Symposium „Wir müssen reden. Analytische und Kontinentale Theologie im Dialog“. Sie fragen sich, was daran so besonders – ja geradezu ein Wunder – sein soll? Lassen Sie es mich kurz rahmend skizzieren, bevor ich auf das Symposium selbst eingehe.
Das Vorspiel: Die öffentlich geführten Debatten um analytische und kontinentale Philosophie und Theologie und ihre polemischen Ausläufer
Nicht erst seit der von Benedikt Göcke angestoßenen Debatte in der Herder Korrespondenz 71 (2017) mit dem bezeichnenden Titel „Glaubensreflexion ist kein Glasperlenspiel. Wie wissenschaftlich ist die katholische Theologie?“, welcher de facto dem Symposium als Anlass diente, sondern spätestens (!) seit Manfred Franks FAZ-Artikel „Hegel wohnt hier nicht mehr“ (vom 24.09.2015), ist die Atmosphäre in der deutschen religionsphilosophischen Landschaft zum Bersten gespannt. Wer seit dem Jahr 2000 sein Studium in diesem Fachbereich begann, konnte es allerdings schon absehen: Die Entwicklung der sogenannten Denkformen oder Stile des Philosophierens verlief konfrontativ.
Schisma in Philosophie und Theologie?
Analytisch gesinnte Philosophen warfen den Kontinentalen vor, die Systematik für die Philosophiegeschichte zu vernachlässigen (vgl. dazu in der FAZ etwa die Antwort von Tobias Rosefeldt: „Wir sollten mit eigenen Worten denken“, vom 14.10.2015). Umgekehrt wurde der Vorwurf einer Geschichtsvergessenheit gegen analytische Philosophen erhoben und ihnen ein Rückfall in die Scholastik unterstellt (vgl. Manfred Frank). Es lohnt sich, die FAZ-Debatte zu lesen, in welche sich schließlich auch Rolf-Peter Horstmann („Ein Schisma in der Philosophie?“, FAZ vom 11.11.2015) und sogar transatlantisch Charles Taylor („Was ohne Deutung bleibt, ist leer“, FAZ vom 16.01.2015) einschalteten.
Wunderbar, man streitet sich
Diese Debatte ist der philosophische Hintergrund dafür, dass Benedikt Göcke in der deutschen Theologie analytisches Denken etwa als „neo-scholastischen Ausrutscher“ geschmäht sieht. Seinen Diskursopponenten fand Göcke in der Herder Korrespondenz-Debatte vor allem in Magnus Striet („Wunderbar, man streitet sich. Katholische Kirche – willkommen in der Moderne“). Auch auf feinschwarz.net wurde die Debatte fortgesetzt, als Michael Schüssler sie zum Anlass nahm, eine „Pastorale Wende“ auszurufen („Das Waterloo der Theologie ist das Leben, nicht so sehr das Denken“).
Analytische Scholastik gegen transzendentale Schwurbelei?
Hinter den Kulissen, im akademischen Alltag, brodelte es kräftig weiter. In diversen Konferenzen konnte man als Forscher „zwischen den Stühlen“ live erleben, wie unversöhnlich man bisweilen miteinander umging. Der polemischen Rede von „transzendentaler Schwurbelei“ oder „phänomenologischer Gefühligkeit und Poesie“ kann man jene von den „analytischen Haarspaltern“ gegenüberstellen und frei nach Hermann Lotze entgegnen: „Das beständige Schärfen der Begriffe aber ist langweilig, wenn man Nichts zu begreifen vorhat.“ Oder aber, man erlebte methodische Monokulturen: Konferenzen nur für Analytiker oder nur für Kontinentale (von Stellenausschreibungen speziell für die jeweilige Gattung oder gar Gründung ganzer Institute jeweiliger Prägung nicht zu reden).
Das Symposium als Ort eines paartherapeutischen Dialoges
Es war also längst überfällig, sich zusammenzusetzen und miteinander über die Unterschiede zu reden – insbesondere in der katholischen Theologie. Denn, dass es annähernd so viele Philosophien wie Philosophen gebe, erträgt man leichter als einen zuletzt polemischen, an Sprachlosigkeit grenzenden Dissens innerhalb derselben religiösen Bekenntnisgemeinschaft, ja, Kirche.
Gemeinhin fällt ein Miteinander-Reden zerstrittener Parteien nicht selten schwer. Bereits das Aufeinander-zu-Gehen kostet Überwindung. So ist Saskia Wendel und Hans-Joachim Höhn mit ihren Mitarbeitern Gregor Reimann und Julian Tappen zu danken, dass sie es in die Hand nahmen. In drei Panels sollten Analytiker und Kontinentale miteinander in den Dialog gehen. Für das Finale wurde ein „Paartherapeut“ zur Verfügung gestellt. Ihm sollte weniger die Aufgabe einer schlussendlichen Versöhnung zukommen als vielmehr die einer „Spiegelung“ des Dialoges mit seinen Streitfeldern, Einseitigkeiten und Chancen.
Werden auch wirklich alle da sein?
Bei aller Anspannung im Vorfeld, mancher aufgeregter Diskussion hinter den Kulissen und den Konferenzerfahrungen der letzten Jahre war die Erwartungshaltung mit Vorsicht zu genießen: Werden auch wirklich alle da sein? Erlebt man verhärtete Fronten, jeweils zwei unverbundene Monologe, statt echten Dialog? Wie viel ist man bereit, auf die Positionen des Anderen einzugehen? Wie weit kann man auch eigene Schwächen zugestehen? Scheitert das Ganze vielleicht – wieder einmal – an knappen Floskeln wie „Neuscholastisches Sudoku!“ oder „Rückfall hinter Kant und Heidegger!“, die jedes weitere Gespräch im Sumpf eines Brunnenvergiftungsargumentes zu ertränken drohen?
Doch dann war es so weit: Sie waren alle da, und wir wurden nicht enttäuscht.
1. Sprache und Stil
Den Auftakt machten Benedikt Göcke und Gregor Maria Hoff unter der leitenden Grundfrage, was eine „gute, rational gerechtfertigte wissenschaftliche Theologie“ sei. Göckes Vortrag „Alter Wein in neuen Schläuchen: Analytische Philosophie als ancilla theologiae“ schloss an die Thematik des HK-Artikels an: Eine „legitime Trennung zwischen Genese und Geltung einer philosophischen Position mit einer damit verbundenen Betonung der stärkeren Relevanz der Geltung philosophischer Thesen“ sei ein zentrales Merkmal der ansonsten mit Sammelbegriffen schwerlich zu fassenden Strömung analytischer Philosophie.
Göcke vs. Hoff
Hoff konterte mit Derridas „zu codierender Atopik Gottes“, bei der „Performanzen“ und „Semiosen“ als dynamische Zeichenbildungen im Vordergrund stehen. In der anschließenden Diskussion war besonders erfrischend, dass gerade Analytiker (namentlich Christian Tapp, Winfried Löffler und Thomas Schärtl) mögliche Gefahren einer zu vehementen Trennung der Begriffshistorie von der propositionalen Geltungsfrage kritisierten.
2. Metaphysik und Geltung
Hernach griff Winfried Löffler die Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen „analytisch“ und „kontinental“ auf. Sein Vortrag „Metaphysik und Geltung“ demonstrierte nicht nur die Schwierigkeit einer einfachen Kategorisierung philosophischer Denkstile, sondern zeigte am Begriff „Metaphysik“ mögliche Vorurteile, aber auch Einverständnismöglichkeiten auf.
Löffler vs. Wendel
Im Dialog mit Saskia Wendel stellte sich die Frage, ob es einen Praxisvorrang vor der Ontologie gebe oder eine lebensweltliche Rahmenontologie der Praxis notwendig zugrunde liege: Ist die Praxis nur ein Entdeckungszusammenhang transzendentalpragmatischer Präsuppositionen oder ein Begründungszusammenhang sogar im konstitutiven Sinne? Ist die Sensibilität für eine „Hermeneutik der Zustimmung“ dasselbe wie eine „Hermeneutik des Verdachts“, die bereits jeden Geltungsanspruch politisiert? Besonders erfreulich war in dieser intensiven Diskussion die dennoch unaufgeregte und polemikfreie Atmosphäre. Sie schloss sogar ein Einverständnis in der Kant-Lesart ein und sparte Autoritätsargumente und bloßes Name-Dropping komplett aus. Es blieb sachlich und freundschaftlich – ein echter Dialog.
3. Quellen und Ziele
Thomas Schärtl zeigte vor allem die vielgestaltige Breite dessen, was man gemeinhin analytische Philosophie oder Theologie nennt. Bis hin zu narrativen oder existenzialistischen Ansätzen ließe sich fast alles in die analytische Diskussion integrieren. Es gäbe zwar durchaus gewisse „errungene Einsichten“, die vielen als Gemeinplätze dienen, und an sie anknüpfende, selbst unter Analytikern bisweilen schwer zu durchdringende Spezialdiskussionen, aber prinzipiell sei die analytische Tradition durch ihre Offenheit gekennzeichnet.
Schärtl vs. Höhn
Hans-Joachim Höhn setzte diesen Ausführungen vor allem entgegen, dass die Konzentration auf den propositionalen Gehalt in einigen Hinsichten zu kurz greife. Im Vordergrund der – ebenso schwer unter dem Allgemeinbegriff zu vereinheitlichenden – „kontinentalen“ Theologie stehe vor allem der „Versuch, den christlichen Glauben als ein spezifisches Verhältnis zu den Lebensverhältnissen des (modernen) Menschen zu rekonstruieren und seine Relevanz zu sondieren für die bleibend relevante Frage, ob menschliches Dasein ‚bedeutsam‘ ist.“ Diesem Verständnis entsprechend könne das Bild einer Partitur weiterhelfen: nicht reflexiv zu analysierende Bedeutungsgehalte, sondern ein „es wird sich zeigen, wenn man es durchspielt“, bringe den lebenspraktischen Aspekt zum Ausdruck.
Die therapeutische Herausforderung
Die schwere Aufgabe, die kontroversen Diskussionen mit einem mediatorischen Schlussvortrag zusammen zu binden, blieb Thomas M. Schmidt. Er wandte sich dem Tagungstitel entsprechend dem Miteinander-Reden zu, das doch bei aller bleibenden Divergenz für alle ein religiös ausgerichtetes ist: „Let’s talk about … Analyse und Kritik religiöser Rede“. Mit William James, Habermas und Badiou spiegelte er in dialektischer Manier die verschiedenen Positionen und legte ihnen nahe, ganz hegelianisch, das Eigene im Anderen zu sehen. Im Fokus stand die unterschiedliche Gewichtung von Proposition und Performativität. Schließlich durchzog die Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis, theoretischer und praktischer Vernunft, alle Vorträge.
Den Finger in den Wunden beider Traditionen …
Schmidt zeigte auf, dass es nicht nur um rein theoretische Wahrheitsfragen, sondern um praktische Macht-Verhältnisse gehe. Gerade in diesen Machtkämpfen liege aber jene Lust an der Auseinandersetzung, der man sich nicht entziehen solle. Andernfalls drohe der erotische Charakter der philosophisch-theologischen Diskussionen verloren zu gehen. Im Blick auf die Vorträge und Diskussionen des Tages legte Schmidt den Finger in die Wunden beider Traditionen und forderte sie schließlich auf, „mutig ins Herz der Finsternis zu gehen“. Ist es nicht gerade die Verschiedenheit der Traditionen und die Lust am Streiten – getreu dem Heraklit‘schen „polemos panton pater“ – aus der sich nicht nur akademischer Gewinn, sondern auch die Freude des philosophischen und theologischen Miteinander speist?
Fortsetzung folgt …
War damit der paartherapeutische Marathon des Tages beendet, so waren die Diskutanten dennoch zu ihrer eigentlichen Aufgabe des konkreten Miteinanders erst herausgefordert. Nach der gelungenen Auseinandersetzung mehrten sich sogleich die Stimmen, man möge eine Fortsetzung des Dialoges anstreben, denn man hat sich gewiss noch mehr zu sagen.
_________________________
Dennis Stammer ist Wissenschaftlicher Mitabeiter des Seminars für Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie an der Universität Münster.
Bild: Pixabay