Claire Geyer stellt ein Buch zu Frauen vor, auf die Kirche sich verlässt, deren Erfahrungen aber wenig beachtet werden.
Frauen leisten wertvolle Arbeit in der katholischen Kirche, inzwischen auch in der Leitung von Pfarreien: «Im Alter von circa fünfzig Jahren mit meist über zwanzig Jahren Berufserfahrung kam der Wunsch auf, eine Pfarrei aufzubauen und zu prägen.» (S. 140)
Die Rolle der Frau in der katholischen Kirche ist offensichtlich ein strittiges Thema. Die Erfahrungen der Frauen, die in der katholischen Kirche berufstätig sind, wurden und werden dabei jedoch kaum beachtet! Das ändert sich jetzt mit Erscheinen der Forschungsarbeit von Nadja Waibel. In Ihrer Dissertation untersuchte sie die Biografien von 21 Gemeindeleiterinnen und Pfarreibeauftragten aus der deutschsprachigen Schweiz und gibt damit allen Frauen in der katholischen Kirche stellvertretend eine Stimme.
Biografien von 21 Gemeindeleiterinnen und Pfarreibeauftragten aus der deutschsprachigen Schweiz
Der Titel: des Buches – «Vertrauen mit den Frauen» – geht zurück auf eine Rede von Emilie Lieberherr[1]. «Händ Vertraue zu de Fraue!» ruft Emilie Lieberherr am Marsch nach Bern am 1. März 1969. Zusammen mit 5000 Demonstrant:innen fordert die Politikerin gleiche Rechte für Frauen und Männer in der Schweiz. Zwei Jahre später, 1971, stimmt die männliche Stimmbevölkerung der Schweiz mit ihrem Ja für das Frauenstimmrecht. Daran erinnert die Sendung «Rendez-vous» im Schweizer Radio SRF von Sabine Gorgé aus dem Jahre 2019 mit dem Titel «Habt Vertrauen mit den Frauen».
Vertrauen ist die Thematik, die alle in Nadja Waibels Buch vorgestellten Frauen durch ihre Biografien mit der Kirche trägt. Denn es zeigt sich, dass gerade die Frauen auf Vertrauen, An-Vertrauen, Zu-trauen, Selbst-Vertrauen in besonderem Masse angewiesen, da sie sich nicht über ihren Status, über Amt und Würden, über gute Connections oder eine Weihe definieren können.
gerade die Frauen auf Vertrauen, An-Vertrauen, Zu-trauen, Selbst-Vertrauen in besonderem Masse angewiesen
Wenn wir von Vertrauen sprechen, sind jedoch auch Miss-trauen und Ressentiments zu erwähnen. Die vielen Aspekte, die das Buch zur Sprache bringt, sind höchst lesenswert. Einige wenige will ich hier herausgreifen: Frauen müssen charismatisch sein, um zu bestehen, oder höchst flexibel und genügsam, dankbar. Sie sind beständig, gegenwärtig, einfach da, bewähren sich in ihren Aufgaben.
Nur eine der Befragten erwähnt beispielsweise in ihrer biografischen Erzählung, dass und wie sie Ministrantin werden konnte: nachdem sie am Ministranten-Fussballtournier ein Tor geschossen hatte: «Vom Moment an durfte ich ministrieren, aber nur werktags und ohne Gewand und das hat mir irgendwie gezeigt, worauf es in der Kirche eigentlich ankommt» (S. 124).
Die Interviews der Autorin mit 21 Gemeindeleiterinnen zeigen, dass das System der Kirche auf Lückenbüsser bzw. vielmehr auf Lückenbüsserinnen angewiesen ist. Eine Pfarreileitung wird oft ad interim übernommen, bis ein neuer Pfarrer gefunden wird.
Das System der Kirche ist auf Lückenbüsserinnen angewiesen.
Das wird oft als frustrierend erlebt, eröffnet aber zugleich ungeahnte Chancen und Wirkungsmöglichkeiten. Es entsteht Neues: Durch einen Stellenwechsel gewann eine der Befragten etwa wieder mehr Zeit für die Seelsorge. Und oft sind die Gemeindeleiterinnen die Kontinuität im ständigen Wandel.[2]
Als Gemeindeleiterinnen nehmen Frauen eine neue Rolle ein in der Kirche. Dadurch entwickeln sie ein neues Selbstverständnis, eine neue Theologie, und sie repräsentieren ein neues Kirchenbild, das weiblich sein darf. Sie stärken ein Verständnis der Gläubigen als Laien und Laiinnen. Alle sind in ihrer Taufwürde vor Gott gleich. Gerade weil sie keinen Anteil am Weiheamt erhalten, berufen sie sich auf das Laie-Sein, auf eine Theologie der Laien.
Sie repräsentieren ein neues Kirchenbild.
Auf der anderen Seite übernehmen die Befragten Leitungsverantwortung, weil es ihnen zugetraut wird trotz fehlender Weihe, und weil sie es sich zutrauten, oder weil sie den Zuspruch einer Vertrauensperson bekommen haben, oft von Ordensangehörigen, von der sie angefragt worden sind. Oft wählen sie Pfarreien, die ihnen vertraut scheinen, weil sie sie an ihre Kindheit erinnern.
Typisierung:
Nadja Waibel entwickelt eine Theorie der Typisierung, um die Biografien zu vergleichen. Sie kommt auf die folgenden vier Typen von Biografien[3]:
Typ-A: Innerhalb des katholischen Milieus als Frau die eigene Berufung suchen.
Dieser Typus der Befragten ist zurzeit zwischen 70 und 80 Jahre alt. Diese Frauen absolvierten in katholischen Lehrerinnen-Seminaren eine Berufsausbildung und traten danach in einen Orden ein, in dem sie zeitlebens oder für ein paar Jahre lebten. In der Arbeit als Sozialarbeiterin oder Lehrerinnen in Missionsstationen wurden sie konfrontiert mit Krieg, Armut oder alkoholbelastenden Familien. Dabei stellten sich für sie Glaubensfragen, die sie hofften, in einem Theologiestudium beantworten zu können. Nach dem Studium übernahmen sie Aufgaben in der Pfarreiseelsorge.
Typ-B: Aus der Gemeinschaftserfahrung der Jugendgruppen ein Theologiestudium beginnen.
Dieser Typus befindet sich zurzeit im Pensionsalter. Sie sind geprägt von einer aktiven kirchlichen Jugendarbeit. Die Gemeinschaftserfahrungen der Jugendzeit prägten ihr Kirchenbild und ihre spätere pastorale Arbeit.
Typ-C: Die Frage nach Gott in Krisen, im Leid und im Sterben.
Dieser Typus beschäftigte sich in persönlichen Lebenskrisen vermehrt mit Sinnfragen. Dies führte zu einem verstärkten spirituellen Interesse zum Theologiestudium und danach zur Arbeit in der Pfarreiseelsorge.
Typ-D: Seelsorgerin als sinnvolles sozial-diakonisches Berufsziel
Diese Frauen kamen als Mütter durch ihre Kinder mit der Kirche wieder in Kontakt. Sie engagierten sich als Freiwillige. In der Zusammenarbeit mit Gemeindeleiterinnen und Pastoralassistentinnen erleben sie die pastoralen Berufe als sinnvolle und schöne Aufgaben, was sie motivierte, eine theologische Ausbildung zu machen.
Lebensstationen:
Nadja Waibel differenziert die Typisierung mit einer Gegenüberstellung der unterschiedlichen Lebensentwürfe nach weiteren Gesichtspunkten, entlang der Lebensstationen der Befragten:
- Wichtig ist die konfessionelle Erziehung von Mädchen oft durch Ordensschwestern, häufig von Frauen, man unterschätze nicht die bedeutsame Rolle der Religionspädagogen und auch der Religionslehrer am Gymnasium, die die Mädchen zu einem Theologiestudium ermutigt haben, durch ihr Vorbild.
- Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft war oft Ausgangspunkt, ähnliches im Leben weiter zu führen und ihm ein christliches Gesicht zu verleihen.
- Das Theologiestudium, das eigentlich Voraussetzung ist, regt eine Auseinandersetzung mit den eigenen Glaubenssätzen und Haltungen an.
- Die Erfahrung als Pastoralassistentin ist oft eine Bewährungsprobe für das Zutrauen einer Leitungsverantwortung.
- Die Gemeindeleitung wird angestrebt, sobald der 50. Geburtstag in verdächtige Nähe rückt. Oft ist die Familienphase dann schon abgeschlossen, die nächste Lebensphase aber zu lange, um weiterhin mit Genügsamkeit die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, wie sie es viele Jahre getan haben.
Die Übernahme einer Gemeindeleitung ermöglicht es den Frauen, «die Ausrichtung einer Pfarrei zu bestimmen und auch langfristig neue Projekte aufzubauen». Oft wählen sie eine «stark diakonische Ausrichtung. Sie wollten in der Pfarrei den Zusammenhalt und das Miteinander stärken durch sozial-diakonische Projekte, Freiwilligenarbeit und Anlässe für Familien, Senioren und Jugendliche.» (S. 145)
Die Übernahme einer Gemeindeleitung ermöglicht es den Frauen, die Ausrichtung einer Pfarrei zu bestimmen.
Aufgaben, die Gemeindeleiterinnen ausübten:
- Repräsentantin der Kirche
- Liturgin
- Seelsorgerin
- Religionspädagogin
- Gestalterin des Pfarreilebens
- Teamleiterin
- Zusammenarbeit mit Priestern
- Präsenz: Sie sind immer vor Ort.
Trotz grosser Erfüllung und Sinnstiftung erleben die Befragten eine gewisse Ambivalenz als Frau in der Kirche und der Kirche gegenüber. Dabei ist die schmerzlichste Erkenntnis, als Frau ein frauenfeindliches System aufrecht erhalten zu haben. Man kann es aber auch anders deuten, denn ohne diese Frauen hätte sich das System nie zugunsten der Frauen ändern können. Es braucht Frauen in der Kirche, die die Kirche formen, mit ihrem Zeugnis, mit ihrer Begeisterung, mit ihrer Kompetenz.
als Frau ein frauenfeindliches System aufrecht erhalten?
Fazit
Die Biografien von Frauen, welche in dieser Arbeit vorgestellt werden, zeigen die spezifischen Hindernisse und Chancen mit denen sich Frauen in der Gemeindeleitung konfrontiert sehen. In einer Zeit, in der so viel in Bewegung ist in der Kirche, lohnt sich das Zurückblicken auf einen Beruf, der verschiedene Facetten im Leben von Kirchenfrauen zeigt:
Die befragten Frauen in den Pfarreien waren Pionierinnen. Sie schufen das Berufsbild der Pastoralassistentin, in Deutschland der Pastoralreferentin, das jetzt in der Schweiz Pfarreiseelsorgerin heisst. Sie schufen auch das Berufsbild der Gemeindeleiterinnen, die jetzt in grösseren Pastoralräumen neu verortet werden. Die gewonnenen Erkenntnisse dieses Buches leisten einen wertvollen Beitrag zur Frauenforschung und zur pastoraltheologischen Diskussion der Gemeindeleitung.
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Angaben zum Buch: Nadja Waibel: Vertrauen mit den Frauen. Eine biografisch-empirische Studie zu Gemeindeleiterinnen in katholischen Pfarreien der deutschsprachigen Schweiz, Zürich (NZN bei TVZ) 2023.
Claire Geyer *1975, Theologin im Praxisjahr und Kulturwissenschaftlerin. Sie arbeitet seit 1. Oktober 2023 in der Pfarrei St. Martin Zürich. Sie ist im Universikum, der Begabungsförderung der Stadt Zürich und in der Kulturvermittlung tätig.
[1] Vgl. Nadja Waibel, Vertrauen mit den Frauen. Eine biografisch-empirische Studie zu Gemeindeleiterinnen in katholischen Pfarreien der deutschsprachigen Schweiz, Zürich (NZN bei TVZ) 2023, S. 13, Anm. 4.
[2] Ebd., S. 119f.
[3] Vgl. auch Waibel, Nadja: Gemeindeleiterinnen in der Schweiz. Die Lückenbüsserinnen. In: Herder Korrespondenz 10/2023, 40-42.