Annette Edenhofer holt in einem qualitativen Forschungsprojekt Feedback von Lehrer*innen und Erziehrer*innen zu Katholischer Schule im Erzbistum Berlin ein. Hintergründe und Zwischenstand
„Gerne nehme ich an der Umfrage teil. Gut, wenn ein Träger etwas lernen will. Ich gehöre keiner Religion an. Das wird wohl auch so bleiben. Das staatliche Schulamt hat mich dieser katholischen Schule fürs Referendariat zugeteilt. Zuerst war ich geschockt, fremde Welt, nicht gerade demokratisch. Der Direktor aber hat mir die Angst genommen: ‚Das Kollegium sei offen und wertschätzend, auch aus christlicher Überzeugung.‘ Und ich habe wirklich nur gute Erfahrung gemacht, auch am ‚Oasentag‘, an dem wir uns begegnet sind. Da versteht man überhaupt mal, was die Bibel heute noch sagt. Erst war ich skeptisch, ein Ideologietraining? War aber echt interessant, auch für Pädagogik.“
Im Herbst 2022 startete das Forschungsprojekt als Kooperation des Bereichs Bildung des Erzbistums Berlin, Träger von 26 Schulen in Berlin und Brandenburg, und der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin (KHSB) mit der Forscherinnengruppe aus Professorin Dr. Annette Edenhofer, Juliane Link1, Dr. Ingrid Uhlemann2 und der Studentin Wiebke Balster. Ende 2023 soll es mit einer Open Access-Publikation abgeschlossen werden. Das Akronym KathSchuLE steht für die Zielgruppe: Katholischen Schulen mit ihren Lehrer*innen und Erzieher*innen. Alle pädagogischen Mitarbeiter*innen an katholischen Schulen im Erzbistum Berlin sind eingeladen, an der Studie teilzunehmen. Die Forschungsidee setzt auf partizipative Leitung: Was spiegeln Bildungsakteur*innen vor Ort den Akteur*innen des Trägers? Der Evaluationsfokus ist Bildungsqualität mit Blick auf die spezifisch spirituelle Motivation: Was sind Ressourcen und Potenziale katholischer Schulbildung? Wo liegen Hindernisse? Welche Intuitionen gibt es?: „Eigentlich müsste man/frau mal…“. 16 Fragen sollen die unterschiedlichen Wahrnehmungen faktischer und idealer Qualitäten von Bildung, Schulseelsorge und Arbeitszufriedenheit zutage fördern.
Schulleben am Gütesiegel „katholisch“ messen.
Forschungsziel ist es also, anhand qualitativer Forschung mittels semi-strukturierter Interviews das Feedback derer zu erhalten, die das Schulleben tragen, dieses am Gütesiegel „katholisch“ zu messen und daraus Schlüsse für nachhaltige und zukunftsfähige Schulentwicklung zu ziehen. Wenn „katholisch“ das theologisch normative Framing der empirischen Studie ist, was ist darunter zu verstehen? Der griechische Begriff „kata-holos“ setzt die korrelationsdidaktische Norm „gemäß allen“. Der christliche Anfang ist ein Abrüsten von trennenden Tradition, um sich in kultureller Verschiedenheit gewaltfrei für ein Leben ohne Ausgeschlossene vernetzen zu können. Der Konsens am Apostelkonzil (ApG 15). Einssein in Christus, wörtlich Gesalbter, Rechtschaffener, heißt gerade nicht Gleichmacherei, sondern Beziehungsfähigkeit. Inkulturation, nicht koloniale Überformung, verbindet Juden und Griechen (Gal 3,28).3
Zusammenhalt in Vielfalt, ein umstürzlerisches Transformationsprojekt in der Antike bis heute! Das Staunen über Gelingen und Scheitern von Bildungsarbeit für fairen Frieden kann für das, was Menschen Gott nennen, sensibel machen. Das Erlebnis von Gottvertrauen können Religionsskeptiker*innen als Urvertrauen teilen. Transzendenzerfahrungen mit und ohne Gott jedenfalls können Kreativität fördern und Resilienz stärken, ein unterbelichtetes Bildungsthema.4
Für das Qualitätskriterium „katholisch“ ergeben sich durch das Fragedesign Informationen zu normativen Idealen und faktischen Differenzen: Wenn die Befragten zu ihren normativen Idealen Auskunft geben, worin für sie die notwendigen Bedingungen authentischer Bildung im katholischen Schulkontext bestehen: „Wie ist mehr Nächstenliebe drin, wenn katholisch draufsteht?“ Das Bemühen um diese Ziel-Mittel-Justierung ist das Vitalkriterium gelingender Organisationsentwicklung, um nicht in Selbstwiderspruch zu geraten und nur äußerlich „Fassaden“ zu pflegen.5
Bandbreite zwischen traditionalen und liberalen katholischen Positionen.
Die Idealvorstellungen der Befragten bilden mutmaßlich die Bandbreite zwischen traditionalen und liberalen katholischen Positionen ab. Diese vermutete Bandbreite soll für den Forschungsbeitrag zu nachhaltig katholischer Schulentwicklung fruchtbar werden durch das Diskurskriterium der ‚Unterscheidung der Geister‘. Im Abwägen soll Verstörendes möglichst im Konsens verabschiedet und Ressourcen neu gebündelt werden. Damit eröffnet sich ein Diskursraum, keine Parteilinie. Konzeptionell verortet ist unser Projekt in der religionswissenschaftlichen Theorie der Fraktale nach Perry Schmidt-Leukel6: In-Group-Kommunikation ist nie „Monofunk“, wenn sie gewaltfrei sein will. Vielmehr handelt es sich um ein elastisches Netzwerk verschiedener Positionen, die sich wechselseitig inspirieren können. In dieser entschiedenen Diversitätsfreundlichkeit besteht, wie gesagt, der Erfolg des christlichen Anfangs. Die Fraktaltheorie ist schlank und komplexitätsfähig mit ihrer Deutung der Beobachtung, dass kulturelle Enge bzw. Weite innerhalb jeder Gruppe spielt, innerhalb einer Konfession genauso wie zwischen Konfessionen, zwischen Religionen genauso wie zwischen Religionen und Peers ohne Religionsbezug.
Gemäß des fraktalen Denkens versorgen die Forschungsergebnisse den Qualitätsdiskurs für zukunftsfähige Schulentwicklung mit Gründen. Je nach Priorisierung ergeben sich daraus mehrere plausible Pfade. Manche Gangart aber wird Plausibilität verlieren. Es ist keine Anbiederung an die Zeit, sondern Abkehr von systemisch perpetuierter Diskriminierung, wie z.B. der Herabwürdigung queerer Lebensweisen und von Cisgeschlechtlichkeit abweichender Genderidentitäten. Die Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts im Herbst 2022 war eine authentizitätsstiftende Selbstbekehrung von großer Relevanz für den gesamten Bereich pluralitätssensibler Religionskommunikation. Dieser Humanisierungsakt ist Frucht des bischöflich initiierten Synodalen Wegs, der mit Blick auf weiterer Machtmissbrauchsphänome weitergehen muss. Wissenschaftliche Begleitung von Kirchenkommunikation ist ein Transformationsimpuls. Aber warum hier der Blick auf Schule, nicht auf den Glutkern ‚Gemeinde‘?
Schulen sind die Zukunftswerkstätten der Kirche.
Katholische Schule ist „mehr als ein Beiboot“, so der Schulentwickler Pater Tobias Zimmermann SJ. Unsere Forschung folgt seiner Analyse, derzufolge katholische Schulen Lotsen postsäkularer, pluralitätssensibler Religionskommunikation sind7. Schulen sind die Zukunftswerkstätten der Kirche. Hier ist Zulauf und zwar aus verschiedenen Lebenswelten. Die Gemeinden dagegen versammeln tendenziell homogene Milieus mit stetigem Mitgliederschwund, belegt die empirische Forschung des Religionssoziologen Detlef Pollack.8 Deshalb möglichst keine Schulschließungen, sondern findiges Fundraising!
Wo Bildungsdiskurse wie an katholischen Schulen gut laufen, da ist die große Chance, die gesellschaftlichen Geschicke mitzuentscheiden. Sich selbst unsichtbar zu machen, auch durch Wissensmängel um eigenen Potenziale, sei kein guter Rat, konstatiert die Vorsitzende des Berliner Diözesanrats der Katholik*innen Karleis Abmeier im aktuellen Berliner Diskurs um die Einführung von Religionsunterricht als Wahlpflichtfach. So auch der Soziologe Hartmut Rosa: „Demokratie braucht Religion“ (2022). Resiliente Vernetzungsfähigkeit bedürfe des Aggressionsverzichts. Religion biete Einübung in Mitmenschlichkeit, lehre Tun und Lassen, den Verzicht auf gnadenlos übersteigerte Selbstwirksamkeit, lautet Rosas Begründung.
Pointiert auch der muslimische Publizist Navid Kermani in „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen“ (2022): Die Spiritualität der Feindesliebe sei der genuin christliche und überlebenswichtige Beitrag für globalen Frieden. Denn Diversität verlange, Spannung in Respekt aushalten zu wollen. Hier liege der kreative Konter wider Populismen aller Art, auch religiösen Fundamentalismus. Kermani wählt für dieses Buch die Dialogform: Hören, Fragen, Weiterfragen, Einwände erheben und Gegenpositionen ehren: Lernen! Gemeinsam im Gesprächsein – durchaus in unterschiedlichen Rollen – ist nicht stressfrei, aber deeskaliert Abwertung und den Hass, darin ist Kermani zu folgen.
Design der Gastfreundlichkeit.
Lernen heißt für unsere Forschung, Systemblindheiten durch ein Design der Gastfreundlichkeit Rechnung zu tragen. Um möglichst von Außenwahrnehmungen lernen zu können, starteten wir im Herbst 2022 mit Interviewpartner*innen „ohne eingetragenes Bekenntnis“. Die Folgeserie im Frühjahr/Sommer 2023 befragt Kirchenmitglieder: katholisch, evangelisch, freikirchlich. Die jeweilige persönliche Identifikation variiert erwartungsgemäß. Vorläufiges Fazit: Der Konsens zwischen Außen- und Innenperspektive ist überraschend groß. Höchste Übereinstimmung besteht in der Einschätzung, das Engagement der Kolleg*innen für die Schüler*innen und innerhalb des Kollegiums sei herausragend, kein Vergleich zu staatlichen Schulen; dieser kontrastierende Zusatz fällt häufig. Mehr als einmal wird die geistlich legitimierte hierarchische Verfasstheit der Kirche kritisiert. Der globale Aktionsradius der katholischen Kirche aber wird als Potenzial bewertet. Die katholische Sexualethik wird mehrfach als Verstoß gegen die Menschenrechte eingestuft, einzelne Stimmen betonen die Orientierungsdienstleistung.
Katholik*innen und altgediente Mitarbeiter*innen erscheinen eher änderungsskeptisch, betonen die Schwerkraft des Systems Kirche. Junge Kolleg*innen und Nicht-Kirchenmitglieder haben mehr Vertrauen in Zivilcourage und halten den Wandel der Institution für möglich. Wie zielführend die Aufarbeitung des sexualisierten Missbrauchs ist, darüber sind die Meinungen geteilt. Interessant: Vielfach wird der Begriff „christliche Werte“ hochgehalten, die Bibel aber nur vereinzelt als Quelle der Inspiration pädagogischen Handels gelesen. Wenn also Kermani die Feindesliebe der Bergpredigt für das Kernstück nachhaltiger Friedenserziehung hält, scheint mehr Religionsbildung in Schule und Hochschule längst überfällig, um die Agenda der eigenen Friedenstradition gesellschaftlich sichtbarer und dienstbarer machen. Jenseits verschiedener möglicher Schlussfolgerungen, auch aus noch ausstehenden Interviews, aber zeichnet sich eines ab: Bei allen Performanceproblemen ist die kirchliche Trägerschaft wichtig für Schulbildung, damit es sie überhaupt geben kann. Kleine Bildungsinitiativen starteten hochauthentisch, gerieten deshalb oft in nicht minder schwere Konflikte, so die Stimme eines gründungserfahrenen Kollegen.
Dass aber Institutionen von persönlich echten Interaktionen leben und spirituell authentische Führungspersönlichkeiten den Teamgeist stärken, lässt sich von der Position mit und ohne Religion belegen. Hier die Fortsetzung des Eingangszitats aus dem Herbst 2022, als das kirchliche Arbeitsrecht noch nicht geändert war: „Auch wenn ich eben keiner Kirche angehöre, gehört die Schule zur Institution Kirche. Aber der Vatikan macht förmlich kaputt, was wir hier aufbauen. Ich bin schwul. Die Homophobie von Papst und Bischöfen schreckt doch ab. Wir brauchen Schüler*innen. Eigentlich müsste auf die Homepage: ‚Wir distanzieren uns!‘ Es geht doch um Nächstenliebe. Wir haben einen Schulseelsorger, der ist Priester und lebt das Christentum. Der hat ein offenes Ohr für alle. Ich z.B. glaube nicht, aber gestalte Gottesdienste mit der Klasse, weil ich die Werte teile. Das Ruhige tut der Klasse gut, mir auch.“
Komplementär dazu eine urkatholische weibliche Stimme: „Bei mir ist alles katholisch: Meine ganze Schulzeit, katholische Jugendarbeit, prägend bis heute! Mit so manchen Männern in der Kirche habe ich meine Schwierigkeiten. Auch nicht alle Schulleiter sind fähig! Glaube heißt auch, Widerstand leisten. Ein Konflikt ist richtig gefährlich geworden. Damals hätte ich das Gespräch mit unserem jetzigen Schulseelsorger gebrauchen können, ein fähiger Mann! Ein Segen für die ganze Schule. Courage kostet eben! Aber ich unterrichte ja nicht nur Fächer. Ich will ja dabei immer eigenständiges Denken anstoßen, damit die Schüler*innen lernen, Verantwortung zu übernehmen. Vorbild zu sein, ist das Wichtigste!“
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Annette Edenhofer, Dr., Professsur für Religionspädagogik, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB).
- Referentin der Katholischen Studierendengemeinde Berlin und Systemische Supervisorin. ↩
- Kommunikationsforscherin und Gemeindeassistentin, St. Bernhard, Stralsund-Rügen-Demmin. ↩
- Vgl. Fabian Brand, “Das offene Ende der Apostelgeschichte. Impulse für eine Pastoral der (sozialen) Raumkonstruktion”, in: ZPTh, 41. Jg., 2021-2, S. 185–199. ↩
- Vgl. Raffael Kalisch, Der resiliente Mensch, München 2021. ↩
- Vgl. Stefan Kühl, Organisationen. Eine sehr kurze Einführung, Wiesbaden 2/2020. ↩
- Vgl. Perry Schmidt-Leukel, „Das himmlische Geflecht“. Buddhismus und Christentum im Vergleich, München 2022. ↩
- Vgl. Herder Korrespondenz 5/2022, S. 39-41 ↩
- Vgl. Herder Korresüpondenz spezial, Oktober 21, „Über unsichtbare Religion“, S. 11-13. ↩