Ein Zwischenblick auf die Frage der Gleichberechtigung in der Wissenschaft von Sarah Rosenhauer.
Als mich die Anfrage von feinschwarz erreichte, eine Zwischenreflexion zu dem Thema zu schreiben, das mich in den letzten Jahren besonders beschäftigt hat, musste ich mir eingestehen, dass dieses Thema ein ganz privates ist: meine Kinder. Dass diese kleine Menschen in mein Leben getreten sind, hat vieles verändert. Nicht zuletzt dadurch, dass ich die materielle Gebundenheit von Leben und Denken nochmal konkreter erfahre – in ihrer eröffnenden wie beschränkenden Dimension. Zu den Erfahrungen von Beschränkung zählt, und (spätestens) hier wird das Private politisch und verdient, an dieser Stelle thematisiert zu werden, dass mir die Frage der Gleichberechtigung neu und etwas schmerzhafter als bislang vor Augen geführt wird. Bis dato eher von abstrakt theoretischem Interesse als ein Teilbereich übergeordneter macht- und subjektivierungstheoretischer Überlegungen hat die Geburt meiner Kinder das Thema ins Erstpersönliche verlagert: Zum ersten Mal erfahre ich ganz konkrete Nachteile, die im Wesentlichen darin gründen, dass ich eine Frau bin.
Wurde ich bislang primär als Individuum adressiert, konfrontiert mich das Muttersein mit der viel beschworenen Retraditionalisierung von Beziehungs- und Rollenmustern, die ganz organisch und gegen die egalitären Intentionen beider Partner*innen daherkommt: Angefangen bei der körperlichen Belastung in der Schwangerschaft, über das zeitliche und räumliche Gebundensein durch das Stillen (ein aufgeladenes Thema: von den einen als aus gesundheitlichen Gründen unbedingt zu bevorzugende Form der Babyernährung dringend empfohlen gilt es den anderen als Einfallstor naturalisierender Mutterschaftsessentialismen, das stillende Frauen zu Propagandistinnen reaktionärer Weiblichkeitsentwürfe macht) und die Liebe zu den Kindern, die Relevanzen neu organisiert, ohne dass ich das als Effekt einer mir aufgezwungenen Vergesellschaftung als fürsorgende Mutter verstanden wissen will. Beruflich bedeutet dieses gebundenere Leben eine Vielzahl an Nachteilen gegenüber männlichen oder kinderlosen Kolleg*innen: Ich habe weniger Zeit, bin weniger verfügbar, flexibel und präsent, muss das mit mehr Kraft kompensieren. Und selbst der effizientest durchorganisierte Alltag bewahrt nicht davor, völlig übernächtigt zu einem wichtigen Vortrag zu erscheinen, weil mein zahnendes Kind mich davor nächtelang kaum schlafen lässt.
Nun rückt eine solche Exponierung des Privaten nahezu zwangsläufig in eine Position der Schwäche und birgt die Gefahr der Unprofessionalität – und wer würde schon von sich sagen, dass er unter idealen Bedingungen arbeiten kann? Doch gerade diese Exponierung des Privaten, meines Privaten, macht etwas sichtbar, was nicht nur mich betrifft. Vielmehr stehen meine Erfahrungen geradezu exemplarisch für den sozialwissenschaftlich-empirischen Befund zum Thema Gleichberechtigung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Feld der Wissenschaft. So macht etwa eine Frankfurter Studie zu „Paradoxien der Gleichheit in Eltern-Kind-Beziehungen“ auf die Diskrepanz zwischen dem normativ-egalitären Idealbild und der Realität der familiären Lastenteilung aufmerksam: „Auf der einen Seite scheinen Geschlechtsrolle, Ungleichheit und Hierarchie in der Familie immer weniger Bedeutung zu haben. Die Lebensverläufe von Männern und Frauen nähern sich an, die Erwerbsbeteiligung von Frauen steigt, ebenso die Partizipation von Männern in Haushalt und Kinderfürsorge […] Auf der anderen Seite steht jedoch die Diagnose einer Beständigkeit geschlechtstypischer Muster; es gibt bleibende Ungleichheiten in der partnerschaftlichen Arbeitsteilung.“[1]
Empirische Bestätigung findet diese Diagnose beispielsweise in Daten aus dem „Kooperationsprojekt Absolventenstudien (KOAB)“, die speziell mit Blick auf promovierte Frauen ausgewertet wurden: (auch promovierte) Frauen übernehmen häufiger die Haushalts- und Sorgearbeit: „Während 63% der erwerbstätigen Mütter angeben, selber die Kinderbetreuung (mit) zu übernehmen, trifft dies lediglich auf 17% der Väter zu.“[2] Und: „Selbst wenn eine Vollzeittätigkeit ausgeübt wird, wenden Frauen mit Kindern 50% mehr Zeit für Sorgearbeit auf (19,4 Stunden) als Männer mit Kindern (12,5 Stunden).“[3] Die Ungleichverteilung von Belastung führt dazu, dass Männer beruflich tendenziell von Familiengründung profitieren, während Frauen das nicht tun. „Vergleicht man die beruflichen Erfolgsindikatoren der Kinderlosen und der Eltern, so ist Elternschaft bei Frauen in allen Sektoren mit Einschränkungen verbunden, bei den Männern zeigen sich bei Elternschaft hingegen jeweils bessere (oder gleiche) Werte.“[4] Heißt konkret: Frauen müssen sich öfter zwischen Beruf und Familie entscheiden und sehen sich im Versuch, beides zu vereinbaren, einer Doppelbelastung ausgesetzt, die nicht zuletzt aus dem Rollenkonflikt durch die „doppelte Anrufung von Frauen als Sorgearbeiterin und Erwerbsarbeiterin“[5] resultiert.
Das ist nun alles nicht ganz neu und auf gesellschaftlicher wie hochschulpolitischer Ebene ist schon einiges passiert: Die Betreuungsinfrastruktur für Kinder wird ausgebaut, gleichstellungspolitische Maßnahmen an Unis werden etabliert und es wird mancherorts weniger geläufig, Kolloquien um 20 Uhr beginnen zu lassen.
Aber zum einen hat dieser Frühling unter Pandemiebedingungen traditionelle Arbeits- und Familienstrukturen wieder forciert und Nachteile für Wissenschaftlerinnen mit Kindern verschärft. Sorge- und Erziehungsarbeit wurde wieder ins Private verlagert. Dass diese Verlagerung ins Private häufig eine ins Weibliche bedeutet hat wird u.a. an der geschlechtsspezifischen Verteilung der in wissenschaftlichen Journals eingereichten Artikel sichtbar, auf die etwa #coronapublishinggap hinweist.
Zum anderen lassen die meisten gleichstellungspolitischen Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen fördern sollen, eine in mehrfacher Hinsicht problematische Norm unangetastet: die Orientierung an einem „humboldtschen, männlich geprägten Wissenschaftshabitus/-ethos“[6], der auf das Ideal der stets verfügbaren, durch äußere Zwänge ungebundenen, allein im freien Willensentschluss gründenden und immer weiter zu maximierenden Leistungsfähigkeit abstellt. Das macht die emanzipative Forderung nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf zugleich zum Teil einer subjektivierungstheoretisch problematischen neoliberalen Agenda der Erschließung von Humankapital und der Entgrenzung des Ökonomischen: „Das Leitbild […] erscheint nahezu idealtypisch anschlussfähig an die im aktuellen Neoliberalismus propagierten Ideen und Anrufungen: an die Aktivierung von Humanressourcen und die Zurverfügungstellung von Humankapital, an die Selbstregulierung und Selbstoptimierung des ‚entrepreneurial self‘.“[7]
Damit einher geht dann die gerade in emanzipativen Genderdiskursen geläufige normative Verabschiedung von fürsorgenden Formen der Mutterschaft. Als wäre das Problem der Vereinbarkeit primär eines vergesellschafteter Geschlechtlichkeit und könnte durch ein anderes geschlechtliches Selbstverständnis (das sich am Ideal des unabhängigen und ökonomisch verfügbaren Mannes orientiert) aufgelöst werden.
Problematisch an diesem Ideal des unbegrenzt leistungsfähigen Mannes ist außerdem, dass es zu einer Organisation von Vereinbarkeit führt, die das fortschreibt, was schon an traditionellen Familienmodellen ungerecht war: die Invisibilisierung der Ermöglichtheit einer vermeintlich individuellen Leistungsfähigkeit durch ein Netz an Unterstützung, dessen Akteur*innen nicht oder nur sehr indirekt an der Anerkennung für erbrachte Leistungen teilhaben. So bilden etwa prekär beschäftigte und/oder schlecht bezahlte Frauen, indem sie Kinder betreuen, Wohnungen putzen etc., das Fundament des westeuropäisch egalitären „double career“ Familienmodells. Ob sie unter vergleichbaren Bildungs- und Freiheitsbedingungen bessere wissenschaftliche Artikel schreiben würden als wir, statt uns stets im Hintergrund bleibend den Rücken freizuhalten, werden wir nie erfahren.
Wenn ich diese Gelegenheit nutze, um von meinen Erfahrungen als Wissenschaftlerin und Mutter zu schreiben, geht es mir also nicht um ein Lamento, sondern um ein zweifaches politisches Anliegen: Die empirisch evidenten ungleichen Belastungsverteilungen sollten in der Bewertung der Leistungen von Wissenschaftler*innen fair berücksichtigt werden. Und männlich geprägte Standards sollten (nicht nur) im Wissenschaftsbereich hinterfragt werden. Denn sie sind nicht nur ungerecht und unaufrichtig, indem sie eine kollektiv erbrachte Leistung durch Invisibilisierung ihres Ermöglichungsnetzes individualisieren. Sie machen die Frage der Gleichberechtigung auch zum „Akteur neoliberaler Strategien“[8].
Statt dieses Ideal als emanzipative Forderung gegen vermeintlich reaktionäre Modelle von Mutterschaft zu richten und sich damit – sei es aus gesellschaftspolitischer Naivität oder in vollem Einverständnis – zur Handlangerin neoliberaler Subjektivierung zu machen, sollte es selbst hinterfragt werden: Ist gute wissenschaftliche Leistung tatsächlich am besten durch ein ungebundenes und jederzeit verfügbares, männliches Forschungssubjekt, das ununterbrochen Output generiert und in ständiger Vernetzungs- und Projekterfindungsaktivität befangen ist, zu erbringen? Oder geht man durch diese Norm nicht eines großen wissenschaftlichen wie menschlichen Potenzials verlustig, das gerade durch die gebundene Existenz (sei sie männlichen oder weiblichen Geschlechts) verkörpert wird?
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Dr. Sarah Rosenhauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und Dogmatik der Goethe Universität Frankfurt/M.
Bild: privat
Grafik: Juliane Maiterth
[1] http://www.ifs.uni-frankfurt.de/forschung/projekte/paradoxien-der-gleichheit-in-eltern-kind-beziehungen/
[2] Choni Flöther und Sarah Oberkrome, Hochqualifiziert am Herd?, in: GENDER (2017), Sonderheft 4, 151f.
[3] ebd., 153f.
[4] ebd., 156.
[5] ebd., 145.
[6] Stefanie Leinfellner, Die Anrufung von Doppelkarrierepaaren im postfordistischen Gesellschaftsmodell als „gewünschte Eltern“, in: Kerstin Jergus/Jens Oliver Krüger (Hg.), Elternschaft zwischen Projekt und Projektion. Aktuelle Perspektiven der Elternforschung, Wiesbaden 2018, 297.
[7] Stefanie Leinfellner und Christiane Bomert, Elternschaft und Wissenschaft im Kontext neoliberaler Transformationen: alte oder neue Dilemmata bei der Vereinbarkeit von Reproduktions- und Erwerbsarbeit?, in: GENDER (2017), Sonderheft 4, 177.
[8] Leinfellner 2018, 308.