Reinheit und Unreinheit sind häufig auch religiös konnotiert. Laura Brauer (Berlin) schaut auf den Umgang mit dem Thema in der Kosmetik und in der Vermarktung.
Wenn Sie einmal Ihren Badschrank durchforsten und den Beschreibungen auf den Tigelchen und Tübchen einen Moment Aufmerksamkeit widmen, so werden Sie wahrscheinlich nicht schlecht staunen, was Sie dort zu lesen bekommen: z.B. von „Un/reinheit“, „Malen“, „Schutzmänteln“, von der Seele, von Schönheit und von ihren Abweichungen… Denn die Kosmetikindustrie bedient sich – ob in Wort oder Bild – nicht nur weithin geläufigen, auf tiefliegenden Diskriminierungsstrukturen beruhenden Stigmatisierungen, sondern sie reproduziert und konventionalisiert diese. Und deren Auswirkungen sind kaum zu unterschätzen: Karrierechancen, mental health, Partner:innenwahl, Konsumverhalten, grundsätzlich Lebensqualität.[1] Obwohl die Auswirkungen im gesellschaftlichen Umgang mit Hautauffälligkeiten mittlerweile gut erforscht sind, bleiben historisch gewachsene Kausalitäten bis heute bespielter Normierungsmechanismen zumeist im Dunkeln. Insbesondere religiöse Normen- und Moralvorstellungen als symbolische Kommunikationskontinuitäten bilden innerhalb dieser Diskriminierungszusammenhänge eine herausragende Dimension.
In der symbolischen Kommunikation in Wort und Bild schlummern religiöse Codierungen
Eine Frau, sanft ihren nackten hellen Körper schmiegend, erblickt erfüllt das Licht, taucht in klares Wasser, geziert von Lilien oder anderen Blüten, hält behutsam ein Kind in ihrem Arm umschlungen und wird fast Ton in Ton eins mit ihrem erleuchteten Hintergrund. Begleitet werden diese Bilder von dem Versprechen, „unschöne Unreinheiten“ würden nach Anwendung dieses Wundermittels der Vergangenheit angehören.[2] Sogar medizinische Hautpflegemarken (sog. Dermo-Cosmetics)[3] werben mit unterkomplexen Reklamebinsen wie „die Haut sei das Spiegelbild der Seele“.[4]
So oder so ähnlich funktionieren eine Vielzahl von Werbungen mit dermatologischer Implikation. In der symbolischen Kommunikation in Wort und Bild schlummern religiöse Codierungen, die – isoliert man sie einmal – als überkommen geglaubte Relikte, ungleicher und ungerechter Gesellschaften der Vergangenheiten anmuten.
Daher möchte ich in diesem Artikel in drei Schritten der (quasi-)religiösen Kommunikationssymbolik in der gegenwärtigen Kosmetikwerbung nachgehen. Zunächst werde ich kurz auf die Relevanz dieser Fragestellung in Referenz zum marktanteiligem Werbevolumen sowie der aktuellen medizinischen Folgenforschung von Kosmetikwerbung eingehen. Darauffolgend möchte ich – in einem holzschnittartigen Blick in die Geschichte – anhand der Beispiele Un/reinheit und Mutterschaft zwei Beispiele religiös konnotierter Symbolkommunikation näher analysieren. Zuletzt versuche ich die Anschlussfähigkeit der dargestellten Beispiele in der gegenwärtigen Hautwerbung und ihrer Symbiose mit dem sog. „skin positivity movement“ aufzeigen.
1. Konventionalisierung und Kapitalisierung
Wo Mediziner:innen mindestens sechs verschiedene Arten von Pickeln (wie z.B. Papeln, Pusteln, Knoten und Zysten) differenzieren, haben sie zusammengefasst unter dem Begriff „Unreinheiten“ Eingang in unseren alltäglichen Sprachgebrauch gefunden.[5] Und obwohl Akne, Rosazea und Schuppenflechte rein statistisch derart gehäuft auftreten, dass sie als „Volkskrankheiten“ gelten dürfen[6], ist ein normalisierter Umgang mit Hauterkrankungen kaum in Sicht. Wie u.a. Marion Sonnenmoser in einem zusammenfassenden Querschnitt verschiedener Studien im Ärzteblatt betont, wird z.B. Akne oft eher als kosmetische Irritation, weniger als psycho-/somatische ernstzunehmende Erkrankung wahrgenommen.[7]
Im offenkundigen Missverhältnis zwischen der fachlichen Einordnung von Hauterkrankungen/bzw. -auffälligkeiten zu ihrer breiten Kommunikation kommt der Kosmetikindustrie eine herausragende Rolle zu: u.a. weil sie einen Großteil der massenmedialen Kommunikation über Produktvermarktung „besetzt“. So betrug der Umsatz in der deutschen Kosmetik- und Körperpflegeindustrie laut Statista rund 15 Mrd. € im Jahr 2022, davon 4,2 Mrd. auf Hautpflege, was einem Gesamtwachstum um 7,9 % zum Vorjahresumsatz entsprach.[8] Die Bewerbung von sog. Schönheitspflege macht nach dieser Erhebung ca. 8 % des gesamten Werbevolumens in Deutschland aus.[9]
Einfluss der Kosmetikindustrie auf die Formung der Realität
So abstrakt die Wirtschaftskraft der Kosmetikindustrie anmuten mag, so signifikant ist der massenmediale Einfluss auf die Formung von Realität.[10] Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann konstatierte in diesem Zusammenhang: „[Im System der Massenmedien] okkupiert Werbung die Oberfläche ihres designs und verweist von da aus auf eine Tiefe, die für sie selbst unzugänglich bleibt. […] hier geht es mithin um eine Realitätskonstruktion, die ihre eigene, für sie primäre Realität fortsetzt und dabei erhebliche Schwankungen des Marktes überdauern […] kann.“[11]
So einzigartig das Konglomerat an Ursachen bei der einzelnen, an Hauterkrankungen leidenden Person ist, so allgemeingültig werden dermatologische Produkte vermarktet. Oftmals wird diese Art pauschalisierender, normierender massenmedialer Bewerbung dann noch von Studien über die (angebliche) Wirksamkeit der Produkte unterstrichen. Bei Un- wie Betroffenen manifestiert sich nicht nur das „zu erreichende bzw. erstrebende Bild einer makellosen Haut“, sondern, dass dieses Ideal durch die Verwendung eines bestimmten Produktes erreicht werden könne. Nicht nur, dass der längst widerlegte Mythos von „mangelnder Hygiene“ durch eben dieses wording am Leben gehalten wird; in der omnipräsenten Werbung für Kosmetikprodukte liegt überdies eine ausgeprägt schönheitsnormierende Suggestiv- und Selektivkraft, die auf tiefreichenden Sexismen und Rassismen beruht. Die Auswirkungen für Selbst- und Fremdwahrnehmung von Hauterkrankten sind verheerend und erstrecken sich auf sämtliche Lebensbereiche.[12]
2. Gesellschaftsgeschichte „makelloser“ Haut
Die Idealisierung heller, jugendlich glatter und ebener Haut und die Stigmatisierung davon abweichender Erscheinungsbilder hat auf dem europäischen Kontinent eine lange Kontinuität. Schon im Alten Testament wurde „Aussatz“ (Lepra) als göttliche Strafe gedeutet. Betroffene wurden vom Priester für „unrein“ erklärt, was unweigerlich den Ausschluss aus der Gemeinschaft nach sich zog.[13] Bleiweiß und Puder verwendeten bereits antike Griechinnen, um ihren Teint aufzuhellen.[14] „Vornehme Blässe“ galt seit jeher als Distinktionsmerkmal privilegierter Oberschichten, gottbegnadeter Dynastien, hegemonialer Kultur(en).[15] Die außerordentliche Bedeutung heller Haut zeigt sich insbesondere in der ikonographischen Überlieferung. Im christlichen Abendland wurde helle, makellose Haut mit der Jungfräulichkeit Mariens und unberührter Jugend in Opposition zum triebhaften „Fleischlichen“ gestellt. Frauen wurden bis in die Moderne hellhäutiger als Männer gemalt.[16] Die (bis heute!) geschlechtsdisparate Idealisierung des dermatologischen Erscheinungsbildes lässt sich besonders entlang der Codierung von Un/reinheit und Mutterschaft nachverfolgen.
Ich möchte an dieser Stelle einfach eine Reihe von Begriffen und Sprüchen aus der christlichen Ikonografie, die z.B. im Brill Lexikon der christlichen Ikonografie[17] als Sinnbilder für Un/reinheit bzw. Mutterschaft (Mariens) stehen, einigen Werbebildern und -sprüchen gegenüberstellen (Kombinationen mgl.):
- Wasser / Regen(tropfen):
„Sie ließen sich von ihm im Jordan taufen, weil sie rein geworden waren […]“ (Mk 1,5)
- Licht vs. Schatten / weiß und blau:
- Mutterschaft/ Schutz(mantel):
Es gibt unzählige weitere Motive (Blüten/Blumen, langes Haar, (schützende) Hand, Blau, Raute usw.).[18]
Natürlich waren und sind religiöse Vorstellungen keine Singularitäten, sondern in ihrer Bedeutung verflochten mit verschiedenen Kulturpraktiken und -entwicklungen. Dass jedoch christliche Symbole noch in der Gegenwart, ob bewusst oder unbewusst, „aktivierbar“ sind, kann ohne ihre noch immer bestehende und kulturell eingeschriebene Strahlkraft kaum erklärt werden.
3. „Skin positivity“ oder Diskriminierung 2.0?
Gegen die verzerrte, abwertende Wahrnehmung von dermatologischen Auffälligkeiten als „Unreinheiten“ und der grundsätzlich mangelnden gesellschaftliche Aufklärung im Zusammenhang mit „Hautproblemen“ hat sich mittlerweile eine laute Gemeinschaft gebildet. Unter dem Begriff der „Skinpositivity“ versammeln sich eine Vielzahl von körperpositiven oder -neutralen Aktivist:innen (verschiedenster Herkünfte und thematischer Schwerpunkte), um über Social Media oder analog (z.B. auf Tagungen) mit Betroffenen und Interessierten ins Gespräch zu kommen, sich über individuelle Schicksale, Therapien, Ausgrenzungserfahrungen usw. auszutauschen. Zugleich schließen sie damit eine Lücke in der (sozio-kommunikativen) Aufklärung der Einordnung verschiedener Hauterscheinungen, für die sich schlicht bislang keine staatliche Bildungs- und Rechtsinstitution verantwortlich fühlte.
Haut erschließt ein unbegrenztes Produktspektrum
Die sich daraus entwickelte vermarktbare Position des „Skinfluencers“ bringt allerdings wiederum missbräuchliches Potential mit sich. Sie führen uns nicht nur (überteuerte) Produktreihen vor, die auf Versprechen von gestern abheben: Sie profitieren von einem weit gesponnen „Einfluss-Netz“. Viele der von großen deutschen Hautpflegemarken abonnierten Instagramaccounts führen zu „Hautgesundheitscoaches“, deren Programme von Meditation über „Herbalism“ bis hin zu Astrologie und „Moonergy“ reichen. Haut lässt sich beliebig mit jedem gesundheitsbezogenen Thema bzw. ganzheitlichen „lifestyle“-Konzepten verbinden, erschließt ein nahezu unbegrenztes Produkt- und Dienstleistungsspektrum, in kostspielige „Pflegereihen“ mit „Anschlusskaufzwang“ umgemünzt, alles amalgamiert zu einer riesigen Wertschöpfungsmaschinerie.
Warum schreibe ich diesen Text?
Wahrscheinlich, weil ich selber betroffen bin, weil ich schon zu häufig mit vor Verzweiflung, Scham, vielleicht sogar Ekel weinenden Mädchen und Frauen in Wartezimmern saß, weil ich über das Aufklärungsdefizit empört bin, aus dem Hautkosmetik Wert schöpft, weil ich fassungslos bin, dass sogar rechtlich verbrieft[19] evidenzlos mit Wirksamkeitsversprechen geworben werden darf und weil ich denke, dass in diesem Zusammenhang einige für mich positiv konnotierte christliche Symboliken entgegen dem Heil des Menschen instrumentalisiert werden.
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Laura Brauer lebt und arbeitet in Berlin. Ihre Passion für verschiedenste Arten der Textproduktion spiegelt sich auch in ihren Studienfächern Geschichte und evang. Theologie wider, die sie an der Humboldt-Universität studiert. Laura Brauer veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen in Studierendenzeitungen, theologischen Feuilletons sowie der Jüdischen Allgemeine. Seit Dezember 2023 ist sie stellvertretende Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an der Theologischen Fakultät zu Berlin.
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[1] Vgl. https://www.aerzteblatt.de/archiv/67082/Akne-Erheblicher-Leidensdruck.
[2] Aufgrund von Urheberrechtsbedenken beziehe ich nur markenverfremdete Beispiele ein. Ich habe aber darauf geachtet, aus einer gewissen Breite von Derma Cosmetics sowie Drogeriekosmetik mit signifikanter Marktrepräsentation zu wählen und gleichzeitig auf wiederkehrende Muster zu achten.
[3] Vgl. https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Dermokosmetik.
[4] https://www.dermasence.de/ratgeber/dermasence-wissen/blog/die-haut-als-spiegelbild-der-seele; https://www.eucerin.de/ueber-eucerin/purpose.
[5] https://www.dermasence.de/meine-haut/hauttyp/unreine-haut-akne.
[6] Wenn die Folgeerkrankungen wie psychische Erkrankungen in dieses Verständnis mitreinzählen: https://www.cosmosdirekt.de/risikolebensversicherung/volkskrankheiten-praevention/.
[7] https://www.aerzteblatt.de/archiv/67082/Akne-Erheblicher-Leidensdruck; Verharmlosung kann zur Verschlimmerung, Fehldiagnose usw. führen: z.B. https://www.springermedizin.de/seltene-erkrankungen/acne-inversa/acne-inversa-eine-seltene-erkrankung-mit-weitreichenden-auswirku/19360702; https://www.vice.com/de/article/evyjmp/akne-ist-mehr-als-pickel-es-ist-eine-scheisskrankheit.
[8] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/699406/umfrage/umsatzprognose-im-deutschen-kosmetik-und-koerperpflegemarkt/; https://www.kosmetiknachrichten.de/2022/12/08/schoenheits-und-haushaltspflegeprodukte-2022-umsatz-steigt-auf-301-milliarden-euro/#:~:text=Entsprechend%20deutlich%20fiel%20deshalb%20das,Höchststand“%2C%20so%20der%20IKW.
[9] https://www.ikw.org/der-ikw/fakten-zahlen.
[10] Alltägliche Handlungen sind durchzogen von Evaluierungspraktiken: Luhmann, Die Realität der Massenmedien, hrsg. Rössel et al. (2017), S. 121; https://media-bubble.de/die-macht-der-massenmedien/.
[11] Luhmann, ebd., S. 64.
[12] Z.B. kam eine jüngst auf dem EADV-Kongress (European Academy of Dermatology and Venereology) vorgestellte Studie zum Ergebnis, dass Gesichter mit Akne als deutlich weniger attraktiv, vertrauenswürdig, erfolgreich, selbstbewusst und dominierend wahrgenommen wurden. Weibliche Akne in den Bereichen um Kiefer, Mund und Kinn erhielt in der Wahrnehmung der Befragten die niedrigsten „Attraktivitäts- und Glücklichkeitswerte“, sogar dann, wenn die betroffene Frau lächelte. Obwohl in der letzten Dekade die Zahl der allein unter an Akne leidenden Frauen weltweit um 10 % stieg, mithin also die Sichtbarkeit von Akne in der Gesellschaft sichtbar zunahm, kann von einer Normalisierung keine Rede sein: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20231013_OTS0001/eadv-kongress-studie-enthuellt-signifikantes-stigma-in-verbindung-mit-akne-bei-weiblichen-erwachsene, https://biermann-medizin.de/akne-bei-frauen-studie-enthuellt-erhebliche-stigmatisierung/.
[13] Mußgnug, D., Nothelfer der Haut in der christlichen Ikonographie, in: Jung (2007), Kleine Kulturgeschichte der Haut, S. 25.
[14] Wietig et al., Kulturgeschichtliche Aspekte heller Haut, in: Jung (2007), Kleine Kulturgeschichte der Haut, S. 121.
[15] Ebd., S. 120.
[16] Wietig et al., Zum ästhetischen Wertewandel in Kultur und Kosmetik, in: Jung (2007), Kleine Kulturgeschichte der Haut, S. 191.
[17] https://dh.brill.com/lcio/col/3_99; http://www.eskala.de/kirchentraum/symbole_kunstlexikon.pdf.
[18] https://www.cohausz-florack.de/blog/artikel/bgh-urteil-kosmetikhersteller-muessen-ihre-werbeaussagen-nicht-wissenschaftlich-absichern/.
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