Mit dem Smartphone haben wir die ganze Welt in der Hosentasche. Unschuldig aber ist das nicht. Valesca Baert-Knoll und Eva Maria Daganato über Zusammenhänge von Menschenrechtsengagement in Afrika (Kongo) und digitalem Wohlstand bei uns.
Gold, Diamanten, Zinn, Kupfer, Zink, Silber, Wolfram, Holz, Cobalt und Coltan: Die Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) zählt zu den rohstoffreichsten Ländern weltweit und dennoch oder gerade deshalb zählt das Land zu den ärmsten Ländern der Welt. Das in Zentralafrika gelegene, flächenmäßig ca. 6,5 mal größere Land als Deutschland, beeindruckt durch eine atemberaubende Landschaft, große Teile des Landes sind von Regenwald bedeckt. Die Hauptstadt Kinshasa, im Westen des Landes, ist die dritt größte Stadt Afrikas. Im Osten des Landes, am Kivu-See, erstreckt sich eine malerische Berglandschaft.
Bürgerkrieg im Ostkongo
Die landschaftliche Schönheit könnte nicht gegensätzlicher zu den dortigen Lebensverhältnissen sein, denn seit Jahren herrscht hier ein grausamer Bürgerkrieg. Die Ursachen für diesen Krieg sind vielfältig und vielschichtig. Geführt wird der Krieg von verschiedenen Rebellen- und Milizengruppen, die sich durch den Verkauf von Rohstoffen finanzieren. Besonders lukrativ erweist sich seit Jahren der Konfliktrohstoff Coltan (Tantal-Erz), denn dies ist in fast all unseren elektronischen Geräten enthalten und so wächst die Nachfrage kontinuierlich.
Vergewaltigung als Waffe
Im Kampf um die Vormacht bei der Ausbeutung der kongolesischen Bodenschätze machen marodierende Gruppen vor nichts Halt: Dörfer werden überfallen, Männer, Frauen und Kinder werden verschleppt, versklavt und vergewaltigt. Vergewaltigung wird von den verschiedenen Gruppen systematisch als Kriegswaffe eingesetzt. Durch Vergewaltigungen werden nicht nur die betroffenen Frauen und deren Familien, sondern ebenso deren Dorfgemeinschaft zerstört.
Kooperation mit Dr. Mukwege, Friedensnobelpreisträger des Jahres 2018
Betroffene werden schwer traumatisiert zurück- und alleine gelassen. Nicht jedoch von den Traumatherapeut*innen des centre olame, den Traumazentren, von denen es in der Provinz Süd-Kivu 18 gibt. Die Zentren unterstützen Frauen, Männer und Kinder, die Opfer dieser systematischen Gewalt wurden. Neben der psychologischen Begleitung wird eine medizinische Unterstützung im kooperierenden, von Dr. Mukwege gegründeten, Panzi Krankenhaus organisiert.
Thérèse Mema leitet diese seit zwei Jahren und setzt sich unermüdlich für die Menschen ein, die Unterstützung brauchen. Die Zentren werden vom Internationalen Katholischen Missionswerk missio Aachen mitfinanziert; als langjährige missio Projektpartnerin war Thérèse Mema im Dezember 2019 zu Gast in Deutschland – und zu einem inspirierenden Gesprächsabend an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen.
Thérèse Mema: Eindrücklich und aufrüttelnd.
Eindrücklich und aufrüttelnd. So kann man Memas Vortrag bezeichnen. In klaren Worten zeichnet Mema ein Bild der Situation in der DR Kongo, ihrer Arbeit, ihrer Ziele und Hoffnungen für die Zukunft sowie ihres Anspruchs an uns. Schlagartig werden die eher abstrakten Informationen die wir vorab über ihre Arbeit und die DR Kongo erhalten haben persönliche Wirklichkeit. Sie berichtet gnadenlos und pointiert von der Kriegswaffe systematischer sexueller Gewalt. Sie berichtet, dass die Opfer, sobald sie ihr Leid aussprechen, für dieses verantwortlich gemacht und aus ihrer Familie und aus ihrer ursprünglichen (Dorf-)Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Daher schweigen sie meist und beladen sich mit einer Schuld, die nicht die ihre ist.
centre olame: ein geschützter Raum
Kinder, die aus Vergewaltigungen hervorgegangen sind, werden als eine Art „Zeit-Bombe“ betrachtet und abgelehnt, wenn nicht gar verstoßen, da sie durch ihre Zeugung mit dem als Teufel assoziierten Rebellen-Vater verbunden sind. „Eine Vergewaltigung ist kein rein äußerlicher Akt, sie prägt innerlich“, sagt Mema. Sie kennt das Leid der Betroffenen, die Angst, die Scham und auch die immanente existentielle Bedrohung, welche durch den potenziellen Gesellschaftsausschluss droht. In den centre olame wird ein geschützter Raum eröffnet, in dem über das erfahrende Leid und Trauma gesprochen werden kann. Kernpunkt der Betreuung sind Beratungsgespräche und Familienmediation vor dem Hintergrund des christlichen Wertekanons. Langfristig strebt Mema eine völlige Entstigmatisierung und Resozialisierung der Betroffenen an.
„Was könnt ihr als Theolog*innen mir mit auf den Weg geben?
Mema verweist auf unsere Verantwortung mittels ihrer Gegenwart und ihres Wirkens, sie verzichtet völlig auf einen moralischen Impetus. Es schwebt kein erhobener Zeigefinger über dem Plenum. Sie stellt keine Schuldfrage, nivelliert diese aber auch nicht, es liegt schlicht nicht in Ihrem Interesse diese zu beantworten. Verurteilung ist nicht ihr Anliegen, stattdessen liegt ihr Fokus auf Handlungsoptionen, auf dem Hier und Jetzt mit der positiven Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Mema beendet ihren Vortrag nicht mit einem Appell, sondern mit einer Frage explizit an uns Theolog*innen: „Was könnt ihr als Theolog*innen mir mit auf den Weg geben? Wie kann ich meinem Land, den Menschen in der DR Kongo helfen?“
Es ist klar, eine einfache Antwort gibt es nicht. Stattdessen bleiben wir Mema eine Antwort schuldig, nehmen ihre Anfrage in unseren Herzen mit und greifen sie in gemeinsamen Gesprächen immer wieder auf. Auch im weiteren Seminarkurs beschäftigt ihre Botschaft weiter.
… dass unser Handy in die grausamen Lebensverhältnisse in der DR Kongo verstrickt ist.
Die vielschichtigen Aussagen der Studierenden bewegen sich um ein paar Kerngedanken. Alle können sich darauf einigen, dass sie „unglaubliche Wertschätzung/Respekt/Bewunderung für die Arbeit von Thérèse Mema“ empfinden. Für die Meisten schließt sich danach unmittelbar ein Gefühl der „Ohnmacht“ an aufgrund ihrer Partizipation an einer disharmonischen globalen Welt und den zugleich (scheinbar) begrenzten Möglichkeiten, an der Situation in der DR Kongo etwas zu verändern. Allmählich werden globale Zusammenhänge und dadurch generierte Ungerechtigkeiten erkannt. Es wird deutlich, dass unser Handy in die grausamen Lebensverhältnisse in der DR Kongo verstrickt ist. Sicherlich ist bekannt, dass Teile dieser Welt von Not geprägt sind, die unter anderem durch unser Konsumverhalten mitverschuldet wird. Diese Verflechtung wird in einigen Bereichen bereits thematisiert, Alternativen und Handlungsmöglichkeiten werden geschaffen.
„Wut darüber, dass wir so wenig über die Umstände in der Welt wissen.“
Über die ca. 60 Rohstoffe in den Handys machten sich, vor der Begegnung mit Mema, die Wenigsten Gedanken. Auf einem herkömmlichen Handy befindet sich keine Auflistung, die Auskunft über die Herkunft der Rohstoffe, deren Gewinnung oder die Arbeitsbedingungen in der Produktion geben würde. Aus diesen Erkenntnissen resultiert Wut: „Wut darüber, dass wir so wenig über die Umstände in der Welt wissen.“ Dieses Gefühl lässt sich auf viele Dimensionen übertragen: Das Leiden in der DR Kongo, die globale Ungerechtigkeit, korrupte Politiker, das passive Verhalten der Handykonzerne und die eigene Unkenntnis. Der Wunsch nach Veränderung kommt auf. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, ob wir nun, da wir über die Zusammenhänge in Kenntnis gesetzt wurden, verantwortlich dafür sind, etwas zu tun.
Wer muss Verantwortung übernehmen
Mema zeigte uns einen Weltausschnitt, eine bestimmte Situation und darin unumstritten Menschenrechtsverletzungen auf. Diese Ungerechtigkeit legt einen Vergleich mit der Situation, wie sie sein sollte, nahe. Dabei stoßen wir unumgehbar auf die Frage nach Verantwortung. Diese lässt sich multidimensional betrachten: Wer trägt Verantwortung für die aktuelle Situation, wer muss Verantwortung übernehmen und wie lässt sich die Situation verbessern?
Trotzdem – etwas verändern …
Der globale Kontext, in dem wir uns in dieser Debatte befinden, ist der weitestmögliche Verantwortungskontext. Einzelne Aktionen können eine nahezu unüberschaubare Reichweite und Wirksamkeit erzielen. Hinzu kommt eine Komplexität von internationalen politischen, wirtschaftlichen und institutionellen Verstrickungen, die nicht ohne Weiteres durchschaut werden kann. Menschenrechte werden verletzt und ohne dies zu wissen, stecken wir mit unseren Handys in einer Kette aus Handlungen, Resultaten, Herrschafts- und Ungleichheitsstrukturen. An die Übernahme einer Konsumverantwortung schließt sich dagegen eine andere Handlungskette an: vor der Kaufentscheidung sollten Informationen gesammelt und so ein Wissen angereichert werden, andernfalls lässt sich die Kaufentscheidung nicht begründen. Ebenso bedarf es eines bedachten Umgangs mit den elektronischen Geräten bis hin zu einer verantwortungsvollen Entsorgung.
Die Studierenden haben aus dem Wirken von Thérèse Mema vor allem eines für sich mitgenommen: „Auch wenn es vielleicht sinnlos erscheint, ist es trotzdem wichtig, dass jeder versucht aktiv etwas zu verändern und bei sich selbst anzufangen.“
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Valesca Baert-Knoll ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Religionspädagogik an der Universität Tübingen.
Eva Maria Daganato ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Praktische Theologie an der Universität Tübingen.
Bild: Thérèse Mema an der Universität Tübingen / von privat