Ein Leserbrief von Karl-Dieter Müller zum Beitrag Stolperstein Liturgische Sprache vom 12. April 2022.
Mit Recht weist der Artikel von Professorin Jeggle-Merz über die Kritik zur Sprache liturgischer Feiern – „eine lebensferne, wenig verständliche Sprache“ – hinaus auf das ‚nicht mehr selbstverständliche Ritual Liturgie‘ hin.1
Diesen Diskurs hat feinschwarz ja schon (danke!) geführt in der aktuellen Diskussion der Kirchenkritik, der Relevanzkrise der Kirche anhand des Anstoßes Erik Flügges an der unerträglichen kirchlichen Sprache (W. Beck, 26.5.2016) und des Buches von J. Feddersen/Ph. Gessler, Phrase unser. Die blutleere Sprache der Kirche (St. Gärtner, 7.11.2020).
Unser Glaube insgesamt ist heute auch ein Problem der Sprache. Wir machen immer deutlicher die Erfahrung, dass uns solche religiöse Sprache fremd wird – deutlich in der Erosion christlicher Glaubensinhalte und kirchlicher Traditionen. Die Glaubenssprache der Kirchen hat sich immer mehr von den Erfahrungen der Menschen entfernt. Es gibt eine massive Sprachlosigkeit in
Glaubensdingen und eine solche „Glaubenskrise“. „…Nicht Begriffe, nein, vor allem nicht alte Begriffe,/ Lieber nicht von Gott reden, als in der alten, verdreschten, verbrauchten Sprache. …“ (Silja Walter, 2001)
Viele solcher zentralen Worte des christlichen Glaubens sind im Lauf ihrer Tradition zu „Leerformeln“ geworden (z.B. „Erlösung“). Andere sind durch den Missbrauch der christlichen und kirchlichen Praxis in unserer heutigen Sprache unbrauchbar beworden (z.B. „Sünde“) oder aus ihr entschwunden (z.B. „Gnade“).2 Die Inhalte des Glaubens müssen neu erschlossen werden (nicht ein in Begriffe und Dogmen eingesperrter Glaube wie im Weltkatechismus von 1992!).
Im Entwurf zum (Würzburger) Synodendokument „Unsere Hoffnung“ hatte J.B. Metz dazu einen Satz geschrieben, dem (damals!?) die erschrockene Mehrheit ihre Zustimmung (1975) so verweigerte: Kirche „ darf nicht nur von einzelnen innerkirchlichen Reformen sprechen, wenn ihr tagtäglich der Verdacht entgegenschlägt, daß das Christentum den Fragen und Ängsten, den
Konflikten und Hoffnungen in unserer Lebenswelt, der mühsam verdeckten Sinnlosigkeit unseres sterblichen Lebens nur noch mit verbrauchten Geheimnissen antworte“.
Angemerkt sei: Die Über-setzung der christlichen Begriffe geschieht nicht durch Wortspiele oder sprachliche Experimente; sie geschieht durch das Leben der Christen und Christinnen! Es geht um mitmenschliche und gesellschaftliche Praxis des Heils („Compasssion“, J.B. Metz; vgl. auch
schon z.B. die Anstöße bei Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp).
Karl-Dieter Müller, Münster