Warum die Kirche ein Problem mit ihrem „Content“ hat und Datenbanken und der Glauben stumm bleiben, wenn man keine Fragen an sie stellt. Von Matthias Wörther.
Die Kirche ist in dieser Welt vor allem ein ‚Content-Anbieter‘, hat aber massive Probleme damit. Das hängt sicher an der ‚Verpackung‘ und den Kommunikationsformen. Erst allmählich passt sie Webauftritte, Social-Media-Nutzung, PR-Arbeit usw. dem Stand der digitalen Dinge an.
Deren Aktualisierung ist überfällig, aber selbst wenn in dieser Hinsicht alles optimiert wäre, bliebe das Problem mit dem kirchlichen und religiösen ‚Content‘ weiter bestehen. Der Erfolg von Verkündigung ist nicht allein eine Frage der medialen Verpackungskunst.
Der Glaube bedarf einer zeitgemäßen Form. Aber selbst die perfekte Vermittlung seiner Inhalte bleibt wirkungslos, sollten sie nicht das tatsächlich einlösen, was er zu sein behauptet: eine grundsätzliche und zuverlässige Orientierung in der Welt. Die Relevanz des Glaubens beruht auf seiner Überzeugungskraft im Leben der Einzelnen. Wenn er nicht von sich selbst her Autorität gewinnen kann, helfen ihm auch ausgefeilte Medienkampagnen nicht weiter.
Sinnstiftende Begriffe, zutreffende Metaphern und Identität ermöglichende Erzählungen
Die Probleme von Verkündigung und Evangelisierung sind erst in zweiter Linie Verpackungsprobleme. Sie beruhen vor allem auf der ungelösten Frage, wie Gott, sein Handeln in der Welt und die Relevanz eines Glaubens an ihn in einer aufgeklärten Welt einleuchten können. Es geht nicht nur um die Übersetzung der tradierten Dogmatik in die Gegenwart, sondern um den Entwurf eines glaubwürdigen Begriffs von Gott, vom Menschen, von der Schöpfung und von der Geschichte der Menschen in ihr und mit ihr. Die Defizite an sinnstiftenden Begriffen, zutreffenden Metaphern und Identität ermöglichenden Erzählungen werden auch von der Moderne immer deutlicher wahrgenommen.
So hat der Neurowissenschaftler Ernst Pöppel erst vor kurzem in der Neuen Zürcher Zeitung (29.8.2017) eine Lanze für die Poesie gebrochen: „Gedichte in allen Sprachen bringen anthropologische Universalien und kulturelle Eigenheiten auf einzigartige Weise zum Ausdruck und liefern Einsichten in die menschliche Natur, die Art des Denkens und Erlebens, die sonst oft von einer kastrierten wissenschaftlichen Sprache überschattet werden.“
Kontakt zu den Erkenntnissen der Wissenschaft als Quelle der Metaphorik
Der Glaube hat lange Zeit mit seinen Begriffen, Bildern, Erzählungen und Ritualen die Situierung des Menschen im Umfassenden geleistet, dann aber zunehmend den Kontakt zu den Erkenntnissen der Wissenschaft als Quelle seiner Metaphorik aus dem Blick verloren. Evolution und Schöpfung gehen bildlich-anschaulich und begrifflich-theologisch trotz mancher Anstrengung noch nicht wirklich zusammen. Wenn aktuell Versuche in dieser Hinsicht unternommen werden, dann eher von Dichtern als von Theologen.
Ein grandioser Entwurf in diesem Sinn ist Raoul Schrotts poetische Aneignung und Individualisierung der Evolution ‚Erste Erde Epos‘ (Hanser, München 2016). Schrott sieht die ‚Behelfskonstruktionen des Göttlichen‘ (Vorwort, 21) als überwunden an. Dennoch möchte er sich im gigantischen Geschehen von Universum, Evolution und Geschichte verorten. Dichtung, so schreibt er, „… führt alles zu uns und auf uns zurück, indem sie nach der Bedeutung des Wissens für uns fragt und es in Bildern imaginierbar werden läßt.“ (Vorwort, 20f.)
Schrotts Diagnose der Gegenwart kann man nur zustimmen, und sie gilt für die Naturwissenschaften wie für die Theologie: „Da sind viel zu wenige Sprachformeln, um all die Formen des neuen Wissens auszudrücken, kaum Bilder, um die Erkenntnisse figurativ zu gestalten. Die Wissenschaften bieten solche zwar vereinzelt an, am Rande und wie beiseite gesprochen: Entsprechungen dafür müssen in unserem alltäglichen Denken immer erst entdeckt oder erfunden werden.“ (Vorwort 23f.)
Dem, was da draußen und in uns ist, eine existenzielle Bedeutung abgewinnen
Schrott leistet diesen schöpferisch-poetischen Kraftakt in erster Linie für sich selbst: „Es ging mir nicht um einen jeden umfassenden, festzusetzenden Entwurf; ich wollte vielmehr für mich wissen, was da draußen und in uns ist: mich dem entgegenstellen, mit meinen Möglichkeiten, um ihm für mich eine existenzielle Bedeutung abzugewinnen.“ (Vorwort, 25) Fast zwangsläufig weist sein individuelles Sprechen jedoch über sich hinaus, denn „… jedes Reden von der Welt kommt irgendwann auf die Koordinaten unserer Existenz zu sprechen: auf Liebe, Kinder und immer wieder auf den Tod.“ (Vorwort, 26)
Womit wir wieder beim kirchlichen ‚Content‘ sind, den es zeitgemäß in digitalen Kanälen zu kommunizieren gilt. ‚Content‘ verkörpert eine Auffassung von Wissen, die Karl Popper als ‚Kübeltheorie‘ kritisiert hat. Man kann Wissen nicht à la Nürnberger Trichter ‚an sich‘ in die Köpfe füllen, genauso wenig wie unsere Wahrnehmung als Sammeln von kleinen Abziehbildchen der Realität in unserem Gehirn zu verstehen wäre.
Verkündigung hat ein Entpackungsproblem …
Fatalerweise kommt die Rede vom ‚Content‘ aber einer tief verwurzelten kirchlichen Denkweise entgegen, die sich am Begriff des ‚depositum fidei‘ festmachen lässt. Versteht man die ‚Glaubenshinterlage‘, den ‚Glaubensschatz‘, in einem statischen, um nicht zu sagen archivalischen Sinn, dann kommt die gängige Auffassung von ‚Content‘ gerade recht: Wir füllen unseren Schatz einfach in digitale Container (z.B. Websites) um und übergeben ihn den Gläubigen und der Öffentlichkeit. So ein Container heißt dann beispielsweise ‚Weltkatechismus‘ und kann ‚distribuiert‘ werden, ohne dass man den Deckel zu heben und den Inhalt begutachten muss, weil der Inhalt per definitionem richtig, vollständig und von höchster Stelle abgesegnet ist: Signed, sealed, delivered.
Es wäre nun aber zu kurz gedacht, diesen formalen Informationstransfer als rein kirchliches Unwesen zu begreifen. Der verbreitete oberflächliche Umgang mit Inhalten steht in direktem Zusammenhang mit einem Informationsbegriff, der seine mathematische und technische Herkunft nicht verleugnen kann. Es geht um die Menge der Bits und Bytes, um Kanäle und ihre Kapazität, um die Optimierung von Vernetzungen, um Erhöhung der Übertragungsgeschwindigkeit, um flächendeckende Versorgung usw., nicht jedoch um das, was da eigentlich mit großer Geschwindigkeit transportiert wird, wer es ordnet, wer es begreift und wer es überhaupt braucht. Überdies herrscht die Vorstellung, mit der Digitalisierung würden die Phänomene ihrer Vergänglichkeit entzogen, ließen sich Entscheidungen objektivieren und könne man die Welt vollständig in den Griff bekommen.
Die Inhalte der Glaubensschatztruhe neu entdecken und bewerten
Wie gesagt: Auch die Verkündigung muss sich der Gegenwart und ihren Anforderungen anpassen. Insofern hat sie ein Verpackungsproblem. Aber sie sollte den Informationshype von ihren eigenen Erfahrungen her beurteilen. Weit eher als ein Verpackungsproblem hat sie nämlich ein Entpackungsproblem. Sie müsste den Deckel ihrer Glaubensschatztruhe öffnen, um neu zu entdecken und zu bewerten, was die Theologie alles weiß und zu gegenwärtigen Entwicklungen anmerken könnte, unter anderem:
Information, Wissen und Handlung fallen nicht in eins. Informationen werden erst zu Wissen, wenn ich tatsächlich individuell über sie verfüge und mich verstehend auf sie beziehen kann. Erst dann vermögen sie Sinn zu stiften und mein Handeln bestimmen.
Information an sich besitzt keine Autorität. Sie bekommt erst dann Autorität, wenn sie mir eingeleuchtet hat, sich als meine Wirklichkeit erhellend erweist und sich in verschiedenen Situationen bewährt. Dabei ist sie entscheidend von meiner Zustimmung abhängig. Bleibt Autorität äußerlich und wird nur behauptet oder formal durchgesetzt, besitzt sie kein Gewicht.
Auch ein perfekt digitalisiertes Kunstwerk ist nicht das Kunstwerk, sondern eine bestimmte Perspektive auf es. Wäre also die ganze Wirklichkeit digitalisiert, bliebe sie weiterhin prinzipiell von ihrem Abbild unterschieden. Insofern die Wissensgesellschaft die Digitalisierung anbetet, verehrt sie einen Götzen.
Tradition ist nicht gleich Archivierung. Die größte Datenbank bleibt stumm, hat man keine Frage an sie und weiß nicht, was man in ihr suchen soll. Lebendige Tradition dagegen ist in der Lage, die Masse des Vergangenen und Bewahrten im Licht gegenwärtiger Fragestellungen zu sichten und zu ordnen und dessen Relevanz zu behaupten.
Die Relevanz des Glaubens in der Gegenwart der Menschen
Um also die Titelfrage abschließend zu beantworten: Die Verkündigung hat unter anderem auch ein Verpackungsproblem. Ihr eigentliches Problem aber liegt anderswo: Der Glaube ist derzeit nicht in der Lage, seine Relevanz in der Gegenwart der Menschen zu behaupten. Er besitzt keine Autorität, weil er weder eine überzeugende Gesamtvision des gegenwärtigen Lebens entwerfen kann, noch als konkrete Orientierung in unübersichtlichen Zeiten dient. Wenn Kirche also gehört und verstanden werden will, ist es sehr viel wichtiger, ganz grundsätzlich Theologie zu betreiben, als an aufgestylten Websites zu basteln. Die Gegenwart braucht Inhalte, keinen Content.
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Bild: Rainer Bucher. Zu sehen ist die Arbeit „Nicht ganz dicht“ des Innsbrucker Bischofs und Künstlers Hermann Glettler.
Matthias Wörther ist Leiter der Fachstelle Medien und Kommunikation der Erzdiözese München und Freising.
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