Warum die Verbindung von Jenseits und Genialität in keiner anderen Stadt so wunderbar funktioniert wie in Wien, versucht Judith Klaiber anlässlich der Vielzahl an Hommagen zum 60. Geburtstag und dem Gedenken des Todestages von Falco (Hans Hölzel) zu ergründen.
„Wenn ich morgen meinem Gott gegenüber stehe, kann ich sagen: ‚Ich bin unschuldig. Ich hab niemandem was getan, ich hab niemanden g’legt, ich hab niemanden betrogen, niemandem weh getan… außer mir selbst.’ Und das wird er mir hoffentlich verzeihen.“
Rund um Hans Hölzels 60. Geburtstag und seinem Sterbedatum im Februar 2017 schossen unzählige Gedenkveranstaltungen, mediale Specials, neue Dokumentationen und Lesungen seiner Texte aus dem Wiener Boden, die – um mit Voodoo Jürgens zu sprechen – „heite Tote ausgraben“ und damit Hölzels Kunstfigur Falco wieder zum Leben erwecken. Theologisch gesprochen: ein schlechtin klassisches Aggiornamento.
Angelehnt an den Namen eines Skispringers wird der Musiker Falco während seiner Schaffenszeit zum Überflieger mit Flugangst. Als erster Künstler überhaupt schaffte er es mit einem deutschsprachigen Titel mehrere Wochen lang die US Charts als Nummer 1 zu dominieren und sprach dabei von Falconisierung: „Er war der Superstar, er war populär, er war exaltiert, genau das war sein Flair, because er hatte Flair, er war allen nur zu groß.“ (Rock Me Amadeus.)
Erst kürzlich wurde mit zwei jungen Burgschauspielenden – aus deutschenLanden, darum ohne Wiener Schmäh – im Vienna Ballhaus Falcos Oeuvre durch das Rezitieren und Vortragen ausgewählter Liedtexte gehuldigt, ohne Gesang und Musik. Nur die Wirksamkeit und Versatilität der puren geschliffenen Sprache stand an diesem Abend im Mittelpunkt, die mal zwischen der Schriftsprache Deutsch, dem österreichischen/wienerischen Dialekt, Englisch und Italienisch changiert und mit den für Falco ganz eigenen Lauten und Ausrufen hin zu seinem Schmäh-Gesang untermalt ist. „Ich bin bereit, denn es ist Zeit, für unser’n Pakt mit der Ewigkeit … will mich ergeben… Muss ich denn sterben um zu leben. “ (Out of the Dark). Während dieser Lesung kam ich nicht umhin mir die Frage zu stellen: Was ist eigentlich mit ganz Wien und seiner Morbidität los, und was macht das wiederum mit der Schaffenskraft eines Künstlers?
In der morbid-dekadenten Atmosphäre heimisch fühlen
Wenn wir uns in einem gedanklichen Stadtspaziergang durch Wien dem Zentralfriedhof zuwenden, auf dem an Allerheiligen eine Art „Volksfeststimmung mit Gräberseligkeit“ herrscht, die einen zunächst irritieren kann, so dauert es nicht lange, und man summt Wolfgang Ambros‘ Hit „Es lebe der Zentralfriedhof“, so dass man sich in der morbid-dekadenten Atmosphäre heimisch fühlen kann. „Der Dekadenz haben wir an Preis verlieh’n. Dabei san wir moralisch überblieb’n. Wir stehen und fallen und lieg’n.“ (Wiener Blut) Auf dem 2,5 km2 großen Friedhof sticht im Ehrenhain besonders das Grabmal eines Musikers hervor: ein Obelisk, der gleichsam die himmlische Decke „into the light“ durchzustechen scheint für den künstlerischen Teil der Persönlichkeit; durch eine zerbrochene, transparente CD (graviert mit Falcos Unterschrift) getrennt steht daneben ein unbehauener, kantig wirkender Stein, mit dem bürgerlichen Namen Hans Hölzel.
Schon der Schauspieler Helmut Qualtinger konstatierte einst: „In Wien musst erst sterben, damit sie dich hochleben lassen. Aber dann, dann lebst lang.“
„Ich krieg von dir niemals genug. Du bist in jedem Atemzug. Alles dreht sich nur um dich. Warum ausgerechnet ich. Zähl die Stunden, die Sekunden. Doch die Zeit scheint still zu steh’n. Hab’ mich geschunden, gewunden. Lass mich geh’n.“ (Out of the Dark)
„A schöne Leich muss sein!“
Wenn wir uns nun in unserem Spaziergang dem innersten Ring mit dem Stephansdom als zentralem Ausgangspunkt zuwenden, befindet sich unterhalb des Doms eine große Katakombenwelt. Man erfährt bei einer Führung von der Habsburger Tradition, dass die Dreiteilung der toten Körper bis 1878 noch praktiziert wurde: „Die Eingeweide kamen in die Herzogsgruft, die Leiber in die Kapuzinergruft und die Herzen ins ‚Herzgrüftl’ in der Augustinerkirche.“
Auch für die reiche Museenlandschaft ist Wien bekannt. Neben einem Schnapsmuseum gibt es ein Bestattungsmuseum mit der Dauerausstellung zu „Sterben und Tod“, weil „a schöne Leich muss sein!“ In diesem Bestattungsmuseum kann man im Sarg Probe liegen, und ein Sarg-Designer erklärt zudem, dass sein Sitzsarg leicht modifiziert auch als Hausbar verwendet werden könnte.[1] „Seine Venen sind offen, und riecht nach Formalin. Das alles macht eam kann Kummer, wie er ist in Wien. … Man sieht ganz Wien. Is so herrlich hin, hin, hin.“ (Ganz Wien). Scheinbar haben die Stadt und ihre EinwohnerInnen eine leidenschaftliche und innige Beziehung zum Morbiden, die sogar an einem Epitaph deutlich sichtbar und haptisch erfahrbar geworden ist: in den Arkaden der Minoritenkirche – unweit vom Stephansplatz und im Zentrum der politischen Macht – wird auf einem Grabmal der eros durch eine weibliche Brust und der thanatos durch einen Totenschädel verkörpert. Der Schädel ist dabei jedoch deutlich abgegriffener.
Auch vor dem Fußball macht die Passion für das Morbide nicht halt: Beim Traditionsverein „Wiener Sportklub“ nimmt man als Fan auf der sogenannten Friedhofstribüne Platz. Diese Tribüne mit Aussicht und Charme liegt gegenüber des Dornbacher Friedhofs.
Tanzcafé Jenseits
Was also liegt in der Wiener Luft?
Der Ort, an dem dieser leidenschaftlichen Todes-Sehnsucht, der morbiden Affinität nachgegangen werden soll, ist das Tanzcafé Jenseits: ein plüschig, rot-samtenes Lokal, an der Mariahilfer Straße gelegen. Früher einmal ein Bordell (hierbei sei nicht unerwähnt, dass der Orgasmus im Französischen liebevoll la petite mort genannt wird) lädt das Tanzcafé heute zu einer Reminiszenz an vergangene Tage ein. Just an Falcos heurigem Todestag wurden von Amadea S. Linzer im Tanzcafé Jenseits unter dem Titel „Verdammt wir leben noch“ Texte von Falco rund um seine sprachliche Ausdrucksfähigkeit inszeniert. Ob er sich zu Lebzeiten neben seinem Stammlokal (dem U4) auch einmal ins Jenseits begeben hat, ist mir nicht bekannt. Das Vermischen von Plüschigem und Halbseidenem im dortigen Ambiente lädt zum Genießen von vermeintlich Verbotenem, einem sich gänzlichen Hingeben, ein: „Wer hat verloren? Du dich? Ich mich? Oder, oder wir uns?“ (Jeanny Part 1)
In diesem Mosaik mit morbiden Anklängen und dem Herantasten an die Genialität von Hans Hölzel fällt ein befreiendes Moment auf, welches eine Atmosphäre schafft, über alles – auch eventuell Verbotenes oder Kriminelles – schreiben und dichten zu können und damit ein Ventil zu finden, um möglicherweise Unaussprechliches zumindest im Sprechgesang performativ zu vermitteln, sodass eine vermeintliche Lücke mithilfe von Kunst gefüllt und anerfüllt werden kann. „Wiener Blut. In diesem Saft die Kraft, die Wiener Glut… Im Stehen, im Fallen, im Liegen. Wir präsentieren Wien.“ (Wiener Blut)
Am 6. Februar 1998 starb Falco auf einer Kreuzung in der Dominikanischen Republik.
„…Dass wir im Fallen und im Liegen
erst so wirklich leben.“ (Verdammt wir leben noch)
Die Autorin des Beitrags war damals noch nicht einmal 10 Jahre alt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. DAVID, Daniela (2010), Morbide Metropole, URL: http://www.sz-online.de/nachrichten/morbide-metropole-312892.html (Stand: 09.02.2017).
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Dipl.theol. Judith Klaiber ist Universitätsassistentin am Institut für Praktische Theologie in Wien und Koordinatorin der Arbeitsgemeinschaft Interdisziplinäre Werteforschung
Beitragsbild: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e4/Wiener_Zentralfriedhof_-_Gruppe_40_-_Grab_von_Falco.jpg
Bild im Text: Foto J. Klaiber