Die Kirche geht voll ins Risiko. Sie legt weiterhin alle Macht in die Hände weniger Männer. Priester kann nur werden, wer zölibatär lebt und nicht homosexuell ist. Beide Kriterien behindern gleichzeitig ein Verhältnis zu Frauen. Eine Veränderung würde dazu beitragen, auch in der Zulassung von Frauen zu kirchlichen Ämtern eine positive Einstellung zu bekommen. Von Andreas Heek.
Eines kann der katholischen Kirche in der aktuellen Lage nicht nachgesagt werden: dass sie mutlos sei. Dies hat sich nach der Veröffentlichung des nachsynodalen Schreibens Querida Amazonia (QA) wieder einmal gezeigt. Papst Franziskus hat sich entschieden, nicht der Zweidrittelmehrheit der Bischöfe bei der Amazonien-Synode zu folgen, die verheirateten Männern die Priesterweihe spenden würde.
Verheirateten Männern nicht die Priesterweihe zu spenden – das ist mutig 1.0.
Das ist mutig 1.0 sozusagen. Der Papst schreibt selbst, dass es Gemeinden gibt, die zum Teil seit zehn Jahren keine Eucharistie gefeiert hätten. Außerdem gibt es so gut wie keine einheimischen Priester, sondern die meisten stammen aus Ordensgemeinschaften und aus Europa. Der Papst unterstreicht hingegen, dass die Eucharistie „Quelle und Höhepunkt“ kirchlichen Lebens sei. Deshalb werden Priester unbedingt benötigt. Denn nur diese seien befugt, der Eucharistiefeier vorzustehen (QA 92).
Viele Gemeinden im Amazonasgebiet haben allerdings keinen Zugang zur Eucharistie. Zur prekären Lage dieser trotz allem hoch engagierten und motivierten Frauen und Männer in diesen Gemeinden kommt noch eine weitere, ganz handfeste Tatsache hinzu: Der katholischen Kirche wird vehement Konkurrenz gemacht von diversen Freikirchen und Sekten, die einen großen Reiz auf viele vor allem benachteiligte Menschen ausüben.
Die katholischen Gemeinden können in den Urwäldern nicht ihr stärkstes Symbol geistlicher Heimat zur Wirkung kommen lassen: die Eucharistie.
Sie scheinen insbesondere eines bieten zu können: menschliche Nähe, Symbole der Vergemeinschaftung, kurz: ein Heimatgefühl. Die katholischen Gemeinden können in den Urwäldern dagegen nicht ihr stärkstes Symbol geistlicher Heimat zur Wirkung kommen lassen: die Eucharistie. Sie fühlen sich daher schwach, wie ausgehungert und nicht inkludiert in die große Mahlgemeinschaft der gesamten Kirche.
Die Kirchenleitung in Rom jedoch hält aus Traditions- und abstrakt-spirituellen Gründen am Pflichtzölibat fest. Das ist für die betroffenen Gemeinden tragisch. Für eine Kirche, die besonders in Südamerika einem gnadenlosen Konkurrenzkampf ausgesetzt ist, ist das eine – wie gesagt – mutige Wette auf ihre Existenz in der Zukunft.
Auch in Europa nehmen die Neuweihen von Priestern stetig ab.
Das Problem Amazoniens ist sicher besonders krass. Aber auch in Europa nehmen die Neuweihen von Priestern stetig ab. Während im Jahr 2000 in Deutschland 154 Priester geweiht wurden, waren es 2018 noch 60 (vgl. de.statista.com). Die Zahl derer, die nach den ersten Jahren ihren Priesterdienst aufgeben, vermindert diese Zahl nochmals um ungefähr ein Drittel.
Der extreme Priestermangel hat in den vergangenen Jahren zu immer neuen und enger getakteten Strukturreformen geführt. Gemeinden wurden zu „Sendungsräumen“ und „Pastoralbezirken“ zusammenführt. Nur auf diese Weise konnte die Verknüpfung von Gemeindeleitung mit dem Eucharistievorsitz erhalten bleiben.
Eine Kirche (…) geht voll ins Risiko, wenn sie Gemeinden die Eucharistiegemeinschaft extrem erschwert.
In Deutschland beginnt man nun, gewisse Leitungsaufgaben einer Pfarrei auf mehrere Köpfe zu verteilen, wie dies im Bistum Trier z.B. beschlossen worden ist. Bezeichnenderweise kommt der Widerstand dort nicht so sehr aus dem Kirchenvolk, das durch einen umfassenden Partizipationsprozess breit eingebunden war, sondern von Teilen des Klerus selbst. Plötzlich scheint der Klerus ein Identitätsproblem zu bekommen: er kommt nicht zurecht mit der teilweisen Trennung zwischen Leitung und Eucharistievorsitz.
Die Beteiligung von Laien an der Leitung von Pfarreigemeinschaften – auch dies möchte der Papst in Querida Amazonia fördern (Vgl. QA 94) – löst jedoch nicht das viel größere Problem der katholischen Kirche. Eine Kirche, die die Eucharistiefeier zurecht als ihren größten Schatz, als die größte Identifikationsquelle ihrer Gemeinschaft ansieht, geht voll ins Risiko, wenn sie Gemeinden diese Eucharistiegemeinschaft extrem erschwert, nur weil dieser allein ein zölibatärer Mann vorstehen kann.
Die klügsten und engagiertesten Frauen vom Priesteramt fernzuhalten – das ist Mut 2.0.
Dann gibt es aber auch noch einen Mut 2.0. Und der hängt mit dem zusammen, was insbesondere die neue innerkirchliche Frauenbewegung „Maria 2.0“ symbolisiert. Die Kirche geht nicht nur durch den Zölibat das Risiko ein, begabte (das heißt „Berufung“ konkret), vielleicht sogar die begabtesten Männer vom Priesteramt fernzuhalten, sondern ebenso und noch krasser die klügsten und engagiertesten Frauen. Diese sind bis dato komplett von der Wirkkraft des Heiligen Geistes im Klerikeramt ausgeschlossen. Bei den Männern wirkt zumindest ein kleiner Teil darin mit.
Wie viele gläubige Frauen gibt es derzeit noch, die die Motivation und einen optimistischen Glauben haben, um ein solches Amt ausfüllen zu können? Es sind vermutlich sehr viele. Anstatt sich darüber zu freuen, hält man am strikten Fernhalten der Frauen von den Weiheämtern fest.
Weibliche „Fachkräfte des Herrn“ gibt es sehr wohl. Aber die katholische Kirche leistet es sich, auf dieses Potential zu verzichten.
In vielen wirtschaftlichen Bereichen kann man es sich wegen des eklatanten Fachkräftemangels nicht mehr erlauben, auf Frauen zu verzichten. Die Motivation von Frauen für das Berufsfeld in der Pastoral ist jedoch nicht das Problem der katholischen Kirche. Schon jetzt übersteigt die Zahl der Theologie studierenden Frauen die der Männer. Weibliche „Fachkräfte des Herrn“ gibt es also sehr wohl. Aber die katholische Kirche leistet es sich, auf dieses Potential zu verzichten. Ist dies nun optimistisch, weil die Kirche hofft, irgendwann wieder mehr Männer für den Priesterberuf gewinnen zu können? Oder hat diese Einstellung tiefere Ursachen?
Der Papst bemüht in QA die etwas abstrakte Symbolsprache, dass Jesus sich als „Bräutigam der Eucharistie feiernden Gemeinschaft in der Gestalt des Mannes“ zeige (QA, Nr. 101). Er hält daran fest, dass das männliche Geschlecht Jesu und das Bild von Bräutigam (Priester) und Braut (Gemeinde) die ausreichende Argumentationsfigur für die Rechtfertigung des männlichen Priesteramtes ist. Wäre eine Frau Priesterin und somit – um im Bild zu bleiben – Braut, warum könnte dann die Gemeinde (Koinonia) nicht zum Bräutigam werden? Nur weil das Wort „Gemeinde“, grammatikalisch weiblich ist? Oder kommt hier die Symbolsprache an ihre Grenzen, weil sie traditionell im Bild von Bräutigam und Braut ein Herrschaftsverhältnis impliziert, also nicht von einer Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Mann und Frau ausgeht?
Wenn Frauen die Kraft und Zärtlichkeit der Gottesmutter weitergeben, warum dann nicht in einem geweihten Amt?
Theologisch ertragreicher könnten im Sinne einer Gleichwertigkeit der Geschlechter folgende Ausführungen in QA sein: „… der Herr wollte seine Macht und seine Liebe in zwei menschlichen Gesichtern kundtun: das seines göttlichen menschgewordenen Sohnes und das eines weiblichen Geschöpfes, Maria.“ Damit stellt der Papst Sohn und Mutter fast auf eine Stufe in der göttlichen Hierarchie.
Weiter heißt es: „Die Frauen leisten ihren Beitrag zur Kirche auf ihre eigene Weise und indem sie die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter Maria weitergeben.“ So könne man verstehen, warum die Kirche ohne Frauen zusammenbricht, wenn nicht die Frauen die Gemeinschaften zusammenhalten würden. „Hier wird sichtbar, was ihre spezifische Macht ist“ (QA, Nr. 101). Wenn also die Frauen es sind, die die Kraft und Zärtlichkeit der Gottesmutter weitergeben, warum dann nicht in einem geweihten Amt?
Männer und Frauen verkörpern die Christusstärke jeweils anders. Anders ja, aber nicht unvollständig oder falsch. Das ist der entscheidende Punkt.
Franziskus erkennt richtig, dass Männer und Frauen verschieden sind und jeweils anders die Christusstärke verkörpern. Anders ja, aber nicht unvollständig oder falsch. Das ist der entscheidende Punkt. Schon die Bibel reduziert Maria nicht auf ihre Fähigkeit zum Gebären, die ihr z.B. das wirkmächtige „Magnifikat“ in den Mund gelegt hat.
Maria ist auch anerkannterweise das einigende Kraftzentrum der Jünger nach Tod und Auferstehung Jesu. Sie sagt nicht nur „Ja und Amen“, sondern steht auch dann zu ihrem Sohn, wenn fast alle anderen aus Angst fernbleiben. Das ist Kraft und Zärtlichkeit in einem, die Franziskus zu Recht den engagierten Frauen zuschreibt. Vor allem aber ist Maria etwas, was oftmals als männliche Tugend angesehen wird: treu.
Theologisch ist die Weigerung der Erweiterung der Zulassungsbedingungen zum Priesteramt wenig verständlich.
Diese Treue der Frauen beschwört auch Papst Franziskus in seinem Schreiben. Er fordert sogar, „dass Frauen einen echten und effektiven Einfluss in der Organisation, bei den wichtigsten Entscheidungen und bei der Leitung von Gemeinschaften haben, ohne dabei ihren eigenen weiblichen Stil aufzugeben.“ (QA, Nr. 103) Dies ist zutreffend formuliert. Aber warum müssen Frauen ihren weiblichen Stil aufgeben, wenn man ihnen das Priesteramt ermöglicht? Und warum kann der effektivste Einfluss von Frauen in der Kirche nicht dadurch erfolgen, indem man sie am kirchlichen Lehramt beteiligt?
Theologisch ist die Weigerung der Erweiterung der Zulassungsbedingungen zum Priesteramt also wenig verständlich. Menschlich und psychologisch schon eher. Diejenigen, die über die Zulassung von möglicherweise verheirateten Frauen und Männern zum Priestertum entscheiden sollen, sind in einem ausgesprochen männlichen, und zwar klerikal-männlichen Umfeld geprägt worden.
Eine doppelte Barriere zu einem entspannten Verhältnis zu Frauen: der Zölibat und eine notwendig zu verheimlichende Homosexualität.
In diesem Umfeld gibt es eine doppelte Barriere zu einem entspannten Verhältnis zu Frauen: der Zölibat mit dem verkrampften Umgang mit Sexualität im Allgemeinen und insbesondere die große Anziehungskraft dieser Lebensform für homophile Männer. Dies zeigt u.a. auch die letzte Fassung der Richtlinien für die Priesterausbildung (DBK).
Homophobe homophile Priester: internalisierter Hass verhindert Reformen in der Kirche
Auf fast einhundert Seiten wird systematisch eine Heraushebung der Kandidaten aus der „normalen“ Berufsausbildung beschworen und der Beruf des Priesters zu einer übernatürlichen, ja übermenschlichen Berufung stilisiert. Überaus großen Wert wird dabei u.a. auf die „psychische Gesundheit“ der Kandidaten gelegt. Aus diesem Grund gibt es unzählige Varianten geistlicher Beratung, Gewissensprüfungen und dergleichen mehr, um den Kandidaten auf „Herz und Nieren“ zu prüfen.
Auf dieser Grundlage kann es sowohl zur eigenen sexuellen Identität als auch zu Frauen kein entspanntes Verhältnis geben.
So als ob der Priester nur als ein makelloses Wesen akzeptabel wäre, will man sich vergewissern, nur die „Reinsten“ und „Besten“ zu bekommen, ohne wirklich objektive Kriterien zu benennen. Viel wird darüber hinaus umschrieben, wozu viele Prüfungsinstanzen eigentlich dienen, nämlich den Umgang mit Sexualität, Begehren und Beziehung „zu regeln“. Vielleicht gibt es durch das Befolgen all dieser Richtlinien Priester, die einen korrekten Umgang mit Frauen pflegen können, entspannt ist er aber keineswegs.
Da geoutete Homosexualität zu einem Ausschluss von der Zulassung zur Priesterweihe führen würde, muss diese also um jeden Preis verheimlicht werden. Auf dieser Grundlage kann es sowohl zur eigenen sexuellen Identität als auch zu Frauen, die jenseits des grundsätzlichen Begehrensraumes liegen, kein entspanntes Verhältnis geben.
Zölibat und der Ausschluss von Homosexualität: Die Überwindung dieser Zulassungskriterien würde dazu beitragen, auch in der Zulassung von Frauen zu kirchlichen Ämtern eine positive Einstellung zu bekommen.
Die zwei Haupteinschränkungen zur Zulassung zum Amt des Priesters sind der Zölibat und der Ausschluss von Homosexualität. Beide Eischränkungen behindern ein Verhältnis zu Frauen. Die Überwindung dieser Kriterien würde dazu beitragen, auch in der Zulassung von Frauen zu den kirchlichen Ämtern eine positive Einstellung zu bekommen.
Bis jetzt bleibt es dabei: die Kirche geht voll ins Risiko und legt alle Macht in die Hände weniger Männer. Die Kollateralschäden dabei sind die eingeschränke Würdigung von Frauen im Besonderen und der sogenannten „Laien“ insgesamt. Sie kommen aus der „zweiten Klasse“ kirchlicher Hierarchie nicht heraus, so qualifiziert sie auch sein mögen.
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Andreas Heek, Leiter der Arbeitsstelle Männerseelsorge der Bischofskonferenz und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der LSBTIQ-Seelsorger/innen in den deutschen Diözesen.
Bild: cottonbro / Pexels.com
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