Andree Burke macht für feinschwarz.net eine Zwischen-Zeit im Nachdenken über „den Beruf“ und über die Zukunft pastoraler Berufe.
Es gibt eine Forschungsthese, die mich, seitdem ich auf sie gestoßen bin, immer wieder beschäftigt – und in gewisser Weise sogar aus dem Konzept gebracht hat: In mehreren pädagogischen und soziologischen Disziplinen machte Mitte / Ende des 20. Jahrhunderts und bis in das beginnende 21. Jahrhundert hinein eine Behauptung vom „Ende“ oder zumindest von einer „Krise“ des Berufs die Runde.
Warum mich das irritiert hat? Bis Herbst vergangenen Jahres war ich für das Netzwerkbüro Theologie & Beruf an der Katholisch-Theologischen Fakultät der WWU Münster verantwortlich. Seither bin ich zuständig für die Fort- und Weiterbildung im Erzbistum Hamburg und interessiere mich für Employability-Konzepte in der hauptamtlichen Pastoral. Der „Beruf“ kommt seit Jahren ganz selbstverständlich in meinem Denken und Tun vor.
Und auch wenn schon diese in der Regel unhinterfragte Selbstverständlichkeit ein Indiz gegen die Annahme ist, dass es mit „dem Beruf“ gänzlich vorbei sei, steckt doch etwas hinter dieser Behauptung. Erwerbsbiografien verändern und flexibilisieren sich wahrnehmbar. Das bedeutet zum Beispiel, dass Tätigkeiten und Anstellungsverhältnisse mit zunehmender Häufigkeit innerhalb von Erwerbsbiografien wechseln. Es wird seltener, dass Menschen ihr ganzes Leben in einem Anstellungsverhältnis verbringen.
Zugleich sinkt die Beliebtheit von auf einen Beruf fokussierten Ausbildungen zugunsten von Studiengängen, deren Curricula zunehmend clusterartig zusammengestellt sind und daher den Anstrich haben, eine berufliche Vielfalt zu eröffnen und Flexibilität zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass Erwerbstätige heute in zunehmendem Maße mehr von ihrer Erwerbstätigkeit erwarten, als lediglich einer Tätigkeit zum bloßen Erwerb nachzugehen – es wächst zum Beispiel der Anspruch, dass Arbeit sinnvoll und erfüllend sein soll.
Kurzum: Nicht so sehr die Ausdifferenzierung einzelner Berufe prägt den Diskurs, sondern vielmehr eine individuelle Beruflichkeit als eine die Erwerbsbiografie begleitende und veränderliche Ausdrucksform der persönlichen Lebensgestaltung. Der stabile Berufsbegriff erodiert zugunsten einer eher fluiden „Beruflichkeit“.
Dass damit nicht unbedingt ein Ende des Berufs als stabilisierender gesellschaftlicher Rahmenkonstruktion bedeutet sein muss, heben Veröffentlichungen zu Beginn des neuen Jahrtausends dann auch tatsächlich hervor. Aber eine Krise im Sinne einer Umwendung oder Neubestimmung erlebt der Beruf dennoch. Das, was ein Erwerbsleben prägt, ist heute eher die stetige Ausdifferenzierung der eigenen Erwartungen, Kompetenzen und Werte als die unbedingte Loyalität gegenüber einem Berufsbild oder Arbeitgeber. So geraten die beiden Dispositive in die Nähe eines Gegensatzes zwischen lebenslangem Beruf und einer fluiden, individuellen Beruflichkeit.
Konsequenterweise wecken diese Verschiebungen auf beiden Seiten des Schreibtisches ein Ringen um berufliche Attraktivität. Aufseiten der Arbeitnehmer_innen gilt es, sich durch eine hohe Employability auszuzeichnen, um sich im Falle eines Arbeitsplatzwechsels Chancen auf eine neuerliche Anstellung zu erhalten – eine hohe Employability durch lebenslanges Lernen bietet heute diejenige Beschäftigungssicherheit, die (einst) den Beruf als biografische Konstante prägt(e). Aufseiten der Arbeitgeber_innen wird es zunehmend erforderlich, Attraktivität durch arbeitnehmer_innenorientierte Angebote zu erzeugen: Headhunting, Employer-Branding und New Work etablieren sich als wichtige Schlagworte für die Arbeitswelt und zeigen, dass Arbeit individueller, komplexer und in noch höherem Maße abhängig von denen wird, die sie verrichten.
Die spannende pastoraltheologische Frage wäre: Kann man diese Entwicklung auch für die pastoralen Berufe annehmen? Im Grunde genommen wäre doch gerade von pastoralen Tätigkeiten zu erwarten, dass sie in starker Abhängigkeit zu denen stehen, die sie verrichten – ja, sie sind einer gewissen Flexibilität und Werteorientierung geradezu bedürftig; von Komplexität und Individualisierung ganz zu schweigen.
Andererseits scheinen Abgrenzungsdiskurse wie die zwischen den Berufsbildern von Priestern, Pastoral- und Gemeindereferent_innen im Weg zu stehen, um die pastoralen Berufe solchermaßen auf ihre Potenziale individueller Beruflichkeit hin zu dekonstruieren. Mit der Ausdifferenzierung verschiedener pastoraler Berufe werden stabile Grenzen aufrechterhalten, die oftmals den Zugang zu bestimmten (Erwerbs-)Tätigkeiten über die Aufnahme in eine Berufsgruppe steuern. Attraktivität im Sinne der Entwicklung hin zu einer fluiden Beruflichkeit erzeugt das nicht.
Aber muss es in Zukunft dabei bleiben? Müssen pastorale Tätigkeiten in verschiedene Berufe abgegrenzt werden? Oder können sie über ein Gemeinsames, wie die Seelsorge-Tätigkeit, identifiziert werden? Wäre es ein Problem, einen priesterlichen, ehelichen, monastischen oder einen anderen Lebensstil zum Ausgangspunkt der Suche nach je individuellen Qualifikationen zu einzelnen Tätigkeiten zu machen – aber nicht zur Fixierung auf einen einzelnen Beruf? Was spricht dagegen, eine Seelsorgerin oder einen Seelsorger anzustellen, die oder der nicht in erster Linie einer Berufsgruppe zugeordnet ist, aber sich auf die Ausübung einer Seelsorge-Tätigkeit verpflichten lässt?
Es wäre wünschenswert, würde das Streben nach eindeutiger Abgrenzung im besten Sinn des Wortes relativiert. Denn auf diese Weise könnte es sich finden, dass überraschenderweise mehr Menschen sich an pastoralen bzw. Seelsorge-Tätigkeiten beteiligen möchten, als es momentan vielleicht den Anschein hat. Allerdings ist es dann nicht die lebenslange Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, sondern die Motivation, sich für ein gemeinsames Ziel einzusetzen, die Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen auf unbestimmte Zeit miteinander verbindet.
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Dr. Andree Burke verantwortet die Fort- und Weiterbildung im Erzbistum Hamburg.
Bild: privat
Grafik: Juliane Maiterth
Leseempfehlungen
- Kim-Schwope, Samuel; Knop, Julia; Kranemann, Benedikt (Hgg.): Die Kirche und ihr Personal. Auf der Suche nach zukunftsfähigen Profilen und Identitäten seelsorglicher Berufe (Erfurter Theologische Schriften; 52), Würzburg 2020.
- Kraus, Katrin: Vom Beruf zur Employability? Zur Theorie einer Pädagogik des Erwerbs, Wiesbaden 2006.
- Rosendahl, Anne; Wahle, Manfred: Debatten zur Krise von Beruf und Beruflichkeit: A Never Ending Story? Seit 2016 online unter http://www.bwpat.de/ausgabe29/rosendahl_wahle_bwpat29.pdf