Die Machttransformation im Führungsstil vom Herrschen zum Dienen ermöglicht Win-Win, die Überwindung der Ausbeutung! Das ist der Kerngedanke von Servant Leadership. Und diesen verknüpft Annette Edenhofer mit Themen und Didaktik des Religionsunterrichts.
Was ist Servant Leadership (SL)?
Robert K. Greenleaf1 entwickelte SL für den Unternehmensbereich. Im Zentrum steht ein neuer Begriff von Macht. Macht ist Dienen. Für Greenleaf haben alle Menschen unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung den „natürlichen Wunsch zu dienen“. Führung gelinge darüber, Vorbild im Dienst an der gemeinsamen Sache zu sein. Greenleafs literarische Inspiration ist der Diener Leo aus Hermann Hesses „Morgenlandfahrt“: Leo will dienen. So stärkt er das bessere Selbst aller für eine gute Reise.
Führen ist Dienen, Dienen ist stark
Vorbildliches SL sucht nach guten Lösungswegen für gute Ziele. Fokus ist damit gewaltfreie Kommunikation für Gemeinwohlförderung, nicht Servilität. Diese Kehrtwende vom Herrschen zum Dienen reklamiert Greenleaf für alle Kommunikationsfelder: Basale Trainingsorte für den guten Umgang mit anderen Menschen, sich selbst und der Natur seien Familie und Bildungseinrichtungen.2 Also ist auch Religionsunterricht SL-Lernort! Greenleafs Anliegen ist planetarisch: Die Transformation der gewaltgeschüttelten Welt der Ungleichheit in einen Ort gerechten Friedens ist möglich! Rigides Top-down sei ein kontraproduktives Souveränitätsideal, unterdrücke de facto Interessen und Menschen und schaffe immer Gegendruck.
Dienende Führung dagegen motiviere Menschen, für die man Verantwortung trägt, zu Selbstführung. Selbst dienen zu wollen, stärke jene Teamfähigkeit, die Lagermentalitäten endlich überwinde, und überhaupt kein Ziel mehr erzwingen wolle. Dann sei Energie frei, nachhaltige Lösungswege zu entdecken. So entstehen nach Greenleaf „beste Produkte“, definiert als Win-Win-Projekte aller beteiligten Lebewesen: Familien, Bildung, Landwirtschaft und Investment ließen sich in Zukunft ohne Ausbeutung gestalten, nicht aber ohne Frustrationen. Neu ist, Scheitern als Dienst am Lernen zu kultivieren.3
Nicht Perfektion, sondern fehlerfreundliche Kooperation.
Nur die Einsicht, dass Visionäre immer auch hinter ihr besseres Selbst zurückfallen könnten, ermögliche fehlerfreundliche Experimentierlust. Kreativität verlange regelmäßiges kollegiales Feedback. Die Methode ist diszipliniertes Zuhören und Storytelling vom Bessermachen. SL sieht Institutionen als Dienstnetzwerke. Als Systeme aber gerieten sie in Widerspruch zur eigenen Agenda. In solchen Identitätskrisen bitten Servant Leader um die Kritik aller, suchen die schmerzliche Perspektiverweiterung, anstatt Machtexempel zu statuieren. Greenleaf glaubt an die ethische Transformation der Welt, gerade von Markt und Politik.4 Damit ist Luhmanns systemtheoretischem Credo widersprochen, es gebe entweder Wirtschaft oder Ethik, aber keine Wirtschaftsethik.5. SL und katholische Soziallehre mit ihren Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität können für fair trade inspirieren, ein zukunftsweisendes Thema des Religionsunterrichts!
Greenleaf experimentierte 40 Jahre auf dem kompetitiven Feld der Kommunikationsbranche. In „Servant Leadership: A Journey into the Nature of Legitimate Power and Greatness“ (1977/2002) reflektiert er Führen als Dienst, Menschen zu ermutigen, Konkurrenzkämpfe in den Wettstreit für das gemeinsame Gute umzugestalten. Ab 1964 lehrte er in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT), als Unternehmensberater und begleitete Universitätsgründungen. Metastudien zu servant lead companies bestätigen Greenleafs These vom Gewinn aller Beteiligten.6. Die Deutsche Bank, Flughafenbetreiber, Anlagenbauer, Starbucks oder dm folgen nun SL, auch Pina Bauschs Tanztheater, Klöster, Bildungseinrichtungen, Krankenkassen und NGOs.7 Orte, an denen das Friedenspotenzial der Menschheit aktiviert ist, Religionsunterricht ist einer!
Mehr Gemeinschaftssinn, mehr Geduld! Und Scheitern?
Noch aber fehlt der Durchbruch! Greenleaf wirbt für echte Selbstverwirklichung durch mehr Gemeinschaftssinn und Geduld! Genauso ruft Papst Franziskus‘ Enzyklika Laudato Si (2015) unter dem Begriff „Stewardship“ zu SL auf und beklagt die Gegenkraft gieriger Ungeduld, die Angst, zu kurz zu kommen. Sünde als Zerstörung der Schöpfung zunächst anzuerkennen, ermögliche, das „gemeinsame Haus“ nach dem Schöpfungsplan zu sanieren.8 SL erneuert die tugendethisch-christliche Idee vom Nutzen des Dienens auf der Basis psychologischen und organisationsentwicklerischen Wissens.
Greenleaf war beflügelt vom Kulturwandel durch SL. Mobbing, durchschaut als hilflose Stressreaktion, habe bald ausgedient! Heute benennt SL das Risiko des Scheiterns deutlicher.9 Immer noch kann Gewaltunterbrechung lebensgefährlich werden, wenn Kooperationswille fehlt. Jesus stirbt am Kreuz. Bis heute gibt es Märtyrer:innen. SL und die christliche Botschaft sehen Gewinn im Scheitern: Unter Druck nicht zu früh aufzugeben, stärkt Zivilcourage gegen Mitläufertum. SL ist ein zartes Pflänzchen in einer gewalttätigen Welt. Umso wichtiger ist Greenleafs Rat, aufkeimender Gewalt zu wehren durch Einladung zum Mitgestalten. Abstrafung könne nur letztes Mittel sein, das mangelnde Talentförderung zuvor offenbare.10 Hier liegt großes Potenzial für Religionsunterricht.
SL als Navi für Religionsunterricht: Katholisch heißt global gesprächsfähig.
Mit SL hat die biblische Globalisierungsidee wieder Priorität – gegen Höherwertigkeitsreflexe oder Minderwertigkeitskomplexe: „Geht zu allen Völkern!“ (vgl. Mt 28,19) sagt: Sucht plurale Diskurse – ohne Arroganz, ohne Angst! Christus heißt wörtlich Rechtschaffener. Nachfolge ist ko-kreativer Gottesdienst an Rechtschaffenheit in der zerrissenen Welt. Der Dialog mit allen Menschen hat das Lernziel kooperative Talentförderung, im Streit Feindesliebe. Abholender katholischer Religionsunterricht in der pluralen Gesellschaft ist Brückenbau zwischen Schüler:innen mit verschiedenen Spiritualitäten in einer Klasse. Das Zweite Vatikanum hatte Religionen und Weltanschauungen mit Abstufungen respektiert. (Vgl. Nostra Aetate) Der dialogbereite Katholizismus heute nutzt das Modell wechselseitiger Wertschätzung und Kritik nach dem Kriterium der Gewaltfreiheit.11 Trotz Unterschieden gibt es Gemeinsamkeiten. Kreuz und buddhistische Bettelschale sagen: Ohne Leiden keine Erlösung von der Gier. Im Teilen wird Materie weniger, aber Wohlwollen mehr. Hubertus Halbfas‘ Religionswerk arbeitet Übereinkünfte von Religionen, atheistischen und agnostischen Ansätzen für Klassen aller Altersstufen heraus, um zukünftige Generationen für Friedensengagement zu vernetzen. So lässt sich im Religionsunterricht mit Gewinn thematisieren, dass Glauben und Nicht-Glauben wissenschaftstheoretisch gleichwertig sind. Beide Haltungen sind Gesamtinterpretation von Fakten. Zum Glauben gehört Zweifeln und Dialoglernen: Gewohnte und fremde Traditionen sind gut, wenn sie liebesfähiger machen.12
Didaktik: Konflikte stiften Beziehung
Dienende Didaktik ist gewaltfrei, ehrt Religionsfreiheit und Vielfalt – zwischen Buntheit und Narzissmus. Nach Paulus soll Didaktik „allen alles werden“ (1 Kor 9:22): Als stressig erlebte Schüler:innen sind Gottesgeschöpfe. Sie verdienen würdigende Grenzsetzung und ermutigendes Training, ihre Begabungen gezähmt in die Gruppe einzubringen. Nach SL führt falsche Toleranz zu „schwarzer Pädagogik“.13 Verpasste Führung zeigt sich im Hochziehen von Augenbrauen, Drohungen wie „Was soll nur aus Dir werden?“ und Ignoranz, nur mit „den Guten“ Unterricht zu machen. Religionslehrkräfte haben unter dem SL-Stichwort Fehlerfreundlichkeit das Recht auf Überforderung, aber die Pflicht, Führung für Menschen zu lernen. Didaktik muss vom obersten Lernziel aller Unterrichtsthemen durchdrungen sein: Vernünftig Lieben lernen im Namen Gottes, d.h. wissen, wer was für wen tun kann! Die Transformation zur Einen Welt geschieht nach SL durch Begegnung, wo Abwehr war. Jesus lernt durch die Heilungsbitte der Syrophönizierin, dass seine Mission aller Welt gilt, nicht nur Israel. Seine Göttlichkeit besteht in konsequenter Liebe, niemanden zu ignorieren oder zu unterdrücken weder Fremde noch Feinde (Mk 7: 24-30). Religionsunterricht befähigt im Klassenzimmer für globalen Frieden.
Themen: Befähigung zu Kritik und Engagement
Gemäß des SL-Storytellings sind Bibel- und Kirchengeschichte als Lerngeschichten zu lesen, durch Versöhnung von der eigenen Gewalt loszukommen. Die Gleichzeitigkeit von Dienst- und Schuldgeschichte überrascht nicht. Papst Franzikus‘ Ermutigungsschreiben an den LGBTQ-Aktivisten James Martin im Juni 2021 ergeht kurz nach dem Breve gegen die Segnung homosexueller Paare. Die Aufarbeitung des Missbrauchs sexualisierter Gewalt konfrontiert unweigerlich mit weiterem Machtmissbrauch, den der Synodale Weg benennt. Aber nur ein anderer Gebrauch von Amt und Geld wird Wandel bringen, wie der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke in „Die Täuschung“ (2021) diagnostiziert.
Jesusnachfolge ist Machtkritik. Spätestens ab der Mittelstufe sind kirchenpolitische Spannungen theologisch zu diskutieren: Die als bequem gescholtene Handy-Generation will sich einsetzen für eine gerechtere Welt, zeigt Fridays for Future. Religionsunterricht ab Klasse 1 kann mit Worten und Taten Welt gestalten – mit Projekten für Gleichaltrige mit Migrationshintergrund, für alte Menschen oder Mitarbeit in der Amnesty-Gruppe. Im Schulparlament lässt sich Demokratie nach dem Apostelkonzil (Apg 15) einüben und erstes Fundraising im Geist der christlichen Sozialethik organisieren.
Religionsunterricht zielt auf gelingende Persönlichkeitsentwicklung. Gesellschaftsengagement gehört untrennbar dazu. SL bietet Praxisanleitung für die wechselseitige Begünstigung beider Perspektiven.14 Religionslehrkräfte coachen Wissen und Projekte mit viel persönlichem Einsatz. Greenleafs Testfrage kann jede neue Stunde inspirieren: „Wachsen diejenigen, denen gedient wird, als Persönlichkeiten? Werden sie, während ihnen gedient wird, gesünder, weiser, freier, autonomer, wahrscheinlicher selbst zu Dienern?“15
Text: Dr. Annette Edenhofer, Professorin für Religionspädagogik, Katholische Hochschule für Sozialwesen (KHSB), Berlin.
Bild: https://alchetron.com/Robert-K-Greenleaf
- 1904-1990, Manager bei AT&T. ↩
- Vgl. Greenleaf, Robert K., New York 1977/2002, Servant Leadership. A Journey into the Nature of Legitimate Power und Greatness, vii-ix ↩
- Vgl. Greenleaf, Servant Leadership, 34-37. ↩
- Vgl. Greenleaf, Servant Leadership, 49-90. ↩
- Vgl. Luhmann, Niklas, Frankfurt/M. 1994, Wirtschaft der Gesellschaft, 7-12; dagegen: vgl. Heger, Wolfram, „Corporate Responsibiltiy Management bei der Daimler AG“, in: forum wirtschaftsethik 2/2014, 16-18. ↩
- Vgl. Ng, Xin Le / Choi, Sang Long et al., „The Effects of Servant Leadership on Employee’s Job Withdrawal Intention“, in: Asian Social Science; Vol. 12, No. 2; 2016, 99-106. ↩
- Vgl. 14 Berichte, in: Servant Leadership. Prinzipien dienender Führung in Unternehmen, Berlin 2/2014, Hg. Leonhard J. Schnorrenberg et.al., 137-341. ↩
- Vgl. Papst Franziskus, Freiburg 2015, Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, Nr. 9, 116. ↩
- Vgl. Sprenger, Reinhard K., „Wer führt, ohne dass ihm die Menschen folgen, geht nur spazieren“, in: Servant Leadership, Hg. Schnorrenberg et al., 2/2014, 151-153. ↩
- Vgl. Greenleaf, Servant Leadership, 44. ↩
- Vgl. Höhn, Hans-Joachim, Würzburg 2011, Gott, Heilswege, Offenbarung, 333-349. ↩
- Vgl. Halbfas, Hubertus, Ostfildern 2020, Kann ein Christ Atheist sein? – Kann ein Atheist Christ sein? 9-10, 192-204. ↩
- Vgl. Miller, Alice, Frankfurt/M. 1980, Am Anfang war Erziehung, 17-112. ↩
- Vgl. z.B. Sipe, James W./Frick, Don M., Mahwah 2009, Seven Pillars of Servant Leadership. ↩
- Greenleaf, Servant Leadership, 27. ↩