In den letzten Monaten kam es vermehrt zu Einschüchterungsversuchen und Übergriffen gegenüber Theolog*innen an österreichischen Fakultäten – zunehmend auch im privaten Bereich. Diese müssen auch im Zusammenhang mit internationalen rechten christlichen Netzwerken gesehen werden. Die österreichische Sektion der ESWTR (European Society of Women in Theological Research) hat sich an die Österreichische Bischofskonferenz gewendet, mit der Bitte, sich dazu zu positionieren. Sigrid Rettenbacher, Vorsitzende der ESWTR Österreich, zeigt Verbindungslinien dieser internationalen antidemokratischen christlichen Netzwerke nach Österreich auf.
In jüngerer Zeit sind einige Publikationen erschienen, die sich mit rechten christlichen Netzwerken beschäftigen.[1] Diese finanzkräftigen Netzwerke agieren auf internationaler Ebene – mit Verbindungen bis nach Russland und in die USA – und sind auch in Europa – unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit – ein bestimmender Faktor. Sie gehen strategisch vor und bringen Personen gezielt in wichtige Positionen – in Politik, Hochschulwesen, Diözesen und Medien –, um ihre Agenden konkret umsetzen zu können.[2] Inhaltlich eint diese Netzwerke in einer „Ökumene des Hasses“[3] eine Ablehnung von Menschen- und Freiheitsrechten im Namen „traditioneller christlicher Werte“ – von Frauenrechten, über Rechte der LGBTQIA*-Community bis hin zu Religionsfreiheit. Die Abwendung der angeblichen Bedrohung des christlichen Abendlands durch den Islam steht ebenso auf ihrer Agenda. Ausdrückliches Ziel ist die Schwächung demokratischer Grundwerte und die Suche nach anderen Formen der gesellschaftlichen Ordnung, u.a. nach dem Vorbild des Austrofaschismus.[4] Auch im aktuellen vom Justiz- und Innenministerium in Auftrag gegebenen Rechtsextremismusbericht des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) finden diese demokratiegefährdenden Netzwerke Erwähnung.[5]
Ausgangspunkt der Wiederbelebung des Integralismus auf europäischer Ebene
Begibt man sich tiefer in die Thematik dieser Netzwerke hinein, kommt man an einem Namen nicht vorbei, der direkt in die katholische Kirche und Fakultätslandschaft Österreichs führt: Edmund Waldstein O.Cist., Mönch und Priester in Heiligenkreuz, der an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz und an der Katholischen Hochschule ITI in Trumau lehrt und sich an der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck in Moraltheologie habilitiert. Im amerikanischen Kontext wird er als einer der katholischen Influencer beschrieben,[6] dessen Einflussbereich bis zum katholischen Vize-Präsidenten J.D. Vance reicht. Letzterer liebäugelt nicht nur mit den Ausführungen Waldsteins, sondern auch – wie der amerikanische Verteidigungsminister Pete Hegseth – mit dem Austrofaschismus.[7] Waldstein ist ein prominenter Vertreter des katholischen (Neo-)Integralismus, der liberale Demokratien in Frage stellt und eine Unterordnung der weltlichen Gewalt unter die geistlichen Gewalt anstrebt.[8] 2012 fand in Trumau eine Tagung statt, die den Ausgangspunkt der Wiederbelebung des Integralismus auf europäischer Ebene markiert, an der neben anderen internationalen Köpfen des Integralismus auch Waldstein teilnahm.[9]
This strategy has allowed integralism to function as a kind of Catholic veneer for authoritarians like Trump or Viktor Orbán, but it could just as easily be invoked to support even more brazen brutality.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung warnt – unter ausdrücklicher Nennung von Waldstein – ebenso vor dem Integralismus[10] wie der amerikanische systematische Theologe Timothy Troutner: „Integralist intellectuals offer a strident critique of the dominant political ideology of the United States and Western Europe, which they call ‚liberalism.‘ In place of liberalism’s supposedly neutral procedural arrangements, integralists hold that a just society should promote a particular, Catholic vision of the ‚common good.‘ They do not aim to pursue a Catholic agenda within pluralistic societies that defend religious freedom and other liberal rights, but to dictate the very terms in which the public square is understood. Their ultimate hope is to create ‚integral‘ Catholic regimes that ‚subordinate‘ temporal government to the spiritual authority of the Church. The integralists’ sweeping rhetoric about the dangers of ‚liberalism,‘ however, can license almost any political project that promises to combat it. Such vagueness seems intentional. Relying on concepts like the ‚common good‘ helps conceal the specific commitments integralists actually have, and terms like ‚subordinate‘ leave vague the measures required to realize their ideal confessional state. This strategy has allowed integralism to function as a kind of Catholic veneer for authoritarians like Trump or Viktor Orbán, but it could just as easily be invoked to support even more brazen brutality. In the medieval regimes integralists admire, the ‚common good‘ or the ‚subordination of the temporal to the spiritual‘ sometimes entailed burning heretics at the stake and putting Jewish people into ghettos.“[11]
Edmund Waldstein optiert in seinem Internetblog „Sancrucensis“ offen für die Todesstrafe für Häretiker*innen.
Dass Integralist*innen tatsächlich die Bestrafung und Tötung von Häretiker*innen befürworten, kann man auf ihrer Internetseite „The Josias“[12] sehen. Dort wird lobend auf Benedikt XIV. und seine Zwangsnahmen gegen Häretiker*innen – inkl. Todesstrafe – Bezug genommen[13] und ablehnend auf Papst Franzsikus‘ Verurteilung der Todesstrafe und der diesbezüglichen Änderung im Katechismus rekurriert. Unter „Doubts and Objections“ wird dargelegt, inwiefern diesen Änderungen Franzikus‘ unter gegebenen Umständen nicht Folge zu leisten ist.[14] Edmund Waldstein optiert in seinem Internetblog „Sancrucensis“ offen für die Todesstrafe für Häretiker*innen: „All the baptized are subjects of the Church, and she should treat them prudently, as an abbot treats his monks. Sometimes this includes punishing them if they violate their baptismal obligations. The Church should be careful not to scrape off the rust too violently, lest she break the vessel. But she must also be mindful of Heli, who neglected to punish his sons, to the great detriment of the common good. In certain circumstances, this can mean that she needs to call in the secular arm to put heretics to death. This power can be abused, but it also has a legitimate use. In fact, one of the errors of Martin Luther, condemned by Pope Leo X is the proposition ‚That heretics be burned is against the will of the Spirit.‘“[15]
Sie fördern ein Klima, in dem sich Gläubige im Recht sehen können, theologisch Forschende einzuschüchtern und zu bedrohen.
Wenn man aktuelle Entwicklungen beobachtet, wo Kolleg*innen aufgrund ihrer theologischen Forschung Einschüchterungen, Angriffen und Bedrohungen ausgesetzt sind, geben solche Ausführungen zu denken. Sie fördern ein Klima, in dem sich – genährt durch geistliche Autoritätspersonen – Gläubige im Recht sehen können, theologisch Forschende einzuschüchtern und zu bedrohen. So stechen auch Waldsteins Netzwerke innerhalb der Kirche ins Auge: Als Herausgeber seiner Ausführungen tritt u.a. ein Priester der Erzdiözese Salzburg in Erscheinung,[16] als Übersetzer seiner Texte Johannes Moravitz, ehemals Lehrender in Heiligenkreuz, der heute als Europareferent im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz für die COMECE (Commission of the Bishops‘ Conference of the European Union) tätig ist, die im Zusammenhang mit rechten christlichen Netzwerken ebenfalls schon Erwähnung findet.[17]
Außerhalb der Kirche pflegt Waldstein Netzwerke in den Iran und zur rechten Szene, wie man im von Waldstein gegründeten „Vienna-Qom Circle for Catholic-Shi’a Dialogue on Religion, Philosophy and Political Theory (ViQo Circle)“ sehen kann.[18] Laut Waldstein ist „das iranische Ayatollah-Regime dem westlichen Liberalismus überlegen …, weil es der Bevölkerung religiöse Regeln auferlege.“[19] Adrian Vermeule, Professor für Verfassungsrecht in Harvard, Freund von Waldstein und ebenfalls führender Kopf des Integralismus, meint „islamische Staaten hätten ‚das richtige Modell, aber die falsche Religion.‘“[20] Der ViQo Circle veranstaltete 2020 eine Tagung zum Thema „Die Zukunft der Religion in säkularen Gesellschaften“, deren Beiträge im EOS-Verlag publiziert wurden.[21] Zu den Autor*innen gehören Vertreter*innen theokratischer Positionen aus dem islamischen und christlichen Bereich, gespickt mit rechtsextremen Perspektiven. Neben Waldstein tritt u.a. David Engels als Autor in Erscheinung, ein bekannter Vertreter der Neuen Rechten. Der Herausgeber des Bandes, Christian Machek, ebenfalls Absolvent von Heiligenkreuz, hat mit Waldstein den ViQo-Circle ins Leben gerufen. Seit 2012 hat er einen Lehrauftrag für politische Philosophie an einem Priesterseminar in Deutschland und ist aktuell Mitarbeiter von „Europa Aeterna – Akademie für politische Philosophie“, die sich auf die Ideen David Engels beruft und die durch – rechte bzw. integralistische – philosophische, politikwissenschaftliche und theologische Erziehung und Bildung Visionen und konkrete Vorschläge für die Zukunft Europas entwickeln möchte.[22]
Es ist an der Zeit zu schauen, was der „rechte“ Glaube ist und welche Ansprüche er (nicht) stellen darf.
Befasst man sich näher mit den rechten christlichen Netzwerken, die verschiedene Akteur*innen und Gruppierungen innerhalb der katholischen Kirche umfassen, stößt man unumgänglich auf Heiligenkreuz und Trumau als Zentren integralistischer Ideen. An der Katholischen Hochschule ITI hat soeben unter der Schirmherrschaft von Kardinal Schönborn, Großkanzler der Hochschule, ein Kongress zur Abwehr der sog. „Gender-Ideologie“ stattgefunden, an dem führende Vertreter*innen des Rechtskatholizismus wie die Trumau-Absolventin und Politikerin Gudrun Kugler, die auch im aktuellen Rechtsextremismusbericht genannt wird,[23] teilnahmen. Schönborn hat Trumau als „eine einzigartige Bildungseinrichtung mit großer internationaler Strahlkraft“[24] bezeichnet. Es bedarf einer Debatte, welcher inhaltlicher Natur diese Strahlkraft ist, was wissenschaftlich-theologische Qualitätsstandards sein sollen und welche politischen Agenden damit (nicht) verknüpft sein dürfen. Wer Wissenschafts- und Redefreiheit in einer liberalen Demokratie bejaht, muss sich mit jenen Gruppen innerhalb der katholischen Kirche beschäftigen, die sich gegen einen Pluralität von Positionen stellen und diese gegebenenfalls gewaltsam unterdrücken wollen. Es ist an der Zeit zu schauen, was der „rechte“ Glaube ist und welche Ansprüche er (nicht) stellen darf.
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Sigrid Rettenbacher ist systematische Theologin und forscht und lehrt an der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz sowie an der University of Portland. Sie ist Vorsitzende der österreichischen Sektion der ESWTR (European Society of Women in Theological Research).
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[1] Gionathan Lo Mascolo (Hg.), The Christian Right in Europe. Movements, Networks, and Denominations, Bielefeld 2023; Hans-Ulrich Probst/Dominik Gautier/Karoline Ritter/Charlotte Jacobs (Hg.), Topoi und Netzwerke der religiösen Rechten. Verbindende Feindbilder zwischen extremer Rechter und Christentum, Bielefeld 2024; Kevin Vallier, All the Kingdoms of the World. On Radical Religious Alternatives to Liberalism, Oxford 2023; Thomas Schmidinger, „Wenn der Herrgott das Wichtigste auf der Welt ist.“ Katholischer Traditionalismus und Extremismus in Österreich, Berlin 2023.
[2] James M. Patterson, Neo-Integralismus – Eine Gefahr für die liberale Demokratie, 4f., abrufbar unter: https://www.kas.de/de/web/geschichtsbewusst/zeitgeschichte-aktuell/detail/-/content/neo-integralismus-eine-gefahr-fuer-die-liberale-demokratie; Neil Datta, „Agenda Europe“: ein extremistisches christliches Netzwerk im Herzen Europas, abrufbar unter: https://www.gwi-boell.de/de/2019/04/29/agenda-europe-ein-extremistisches-christliches-netzwerk-im-herzen-europas. Dort werden auch Verbindungen bis in den Vatikan genannt.
[3] Charlotte Jacobs/Karoline Ritter/Dominik Gautier/Hans-Ulrich Probst, Topoi und Netzwerke der religiösen Rechten, in: Hans-Ulrich Probst/Dominik Gautier/Karoline Ritter/Charlotte Jacobs (Hg.), Topoi und Netzwerke der religiösen Rechten. Verbindende Feindbilder zwischen extremer Rechter und Christentum, Bielefeld 2024, 11-23, 16f.
[4] Vom Austrofaschismus hat sich die Österreichische Bischofskonferenz im April 2024 explizit distanziert: https://www.bischofskonferenz.at/148197/lackner-zu-austrofaschismus-kirchliches-versagen-einbekennen.
[5] DÖW, Rechtsextremismus in Österreich 2023. Unter Berücksichtigung der Jahre 2020 bis 2022, Wien 2025, abrufbar unter: https://www.doew.at/cms/download/2ga0l/rechtsextremismus_in_oe_2023.pdf.
[6] Eva Konzett, Mönch der Macht. Wie ein österreichischer Mönch zum Stichwortgeber der US-Rechten wurde, Falter 44/24, abrufbar unter: https://www.falter.at/zeitung/20241029/moench-der-macht; Timothy Troutner, The New Integralists. What they get wrong, and why we can’t ignore them, Commonweal 2020, abrufbar unter: https://www.commonwealmagazine.org/new-integralists; Vgl. auch Brigitte Theissl, „Theo Bros“: Wie junge radikale Christen einen Gottesstaat errichten wollen, Der Standard (29. März 2025), abrufbar unter: https://www.derstandard.at/story/3000000263254/theo-bros-wie-junge-radikale-christen-einen-gottesstaat-errichten-wollen.
[7] Andreas Kemper, JD Vance, Austrofaschismus und der antifeministische Hildebrand-Kreis, Compact 2024, abrufbar unter: https://blog.campact.de/2024/11/jd-vance-austrofaschismus-antifeminismus-hildebrand/; vgl. auch den in Anm. 6 genannten Falter-Artikel.
[8] In Deutschland sympathisiert Peter Schallenberg, Professor für Moraltheologie in Paderborn, mit dem Integralismus (vgl. Peter Schallenberg, Staat, Kirche und Gnade. Der neokonservative katholische Integralismus in den USA, in: Herder Korrspondenz 3/25, 46-48).
[9] Kevin Vallier, All the Kingdoms of the World. On Radical Religious Alternatives to Liberalism, Oxford 2023, 10.
[10] Patterson, Neo-Integralismus.
[11] Das Zitat findet sich im in Anm. 6 genannten Artikel.
[13] https://thejosias.com/2025/03/29/pope-benedict-xiv-on-state-coercion-of-heretics/: „A different judgment is to be given concerning heretics or schismatics, for the agreed opinion of the Fathers and theologians is that after initial efforts, i.e. careful, mild and appropriate methods to dissuade them from error, have all been made to no avail, they can at length be compelled to the faith by threats and terrors, and if they are obstinate they can finally be punished by death by calling in the assistance of the secular arm.“
[14] https://thejosias.com/category/doubts-and-objections/.
[15] https://sancrucensis.wordpress.com/2019/03/20/integralism-and-the-lamb-that-was-slain/.
[16] Edmund Waldstein, Integralismus und Freiheit, in: Alkuin Schachenmayr/Johannes Lackner (Hg.), Gesta Sanctottensis. Coleurwesen und Theologie, Münster 2021, 147-165.
[17] Neil Datta/David Paternotte, “Gender Ideology” Battles in the European Bubble, in: Gionathan Lo Mascolo (Hg.), The Christian Right in Europe. Movements, Networks, and Denominations, Bielefeld 2023, 43-59, 46, 48.
[19] Patterson, Neo-Integralismus, 21.
[20] Ebd.
[21] https://viqocircle.org/2021/07/24/the-future-of-faith-in-secular-society-proceedings-of-the-2020-viqo-conference-published/.
[22] https://europa-aeterna.org/uber/. Sowohl Machek als auch Engels stehen auch mit dem rechtskatholischen Renovatio-Institut in Augsburg in Verbindung (https://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts/archiv/jaenner-2023/christliche-und-voelkische-abendlandretter-tagen-in-wien).
[23] DÖW, Rechtsextremismus in Österreich 2023, 117. Diese Erwähnung wird von der Beobachtungsstelle „Observatory on Intolerance and Discrimination against Christians in Europe (OIDAC Europe)“, der Gudrun Kuglers Mann, Martin Kugler, über Jahrzehnte Pressesprecher von Opus Dei, als Präsident vorsteht, als Fall von Christ*innen-Verfolgung gelistet: https://www.intoleranceagainstchristians.eu/index.php?id=12&case=9519.
[24] https://www.katholisch.at/aktuelles/143721/herzensanliegen-eines-heiligen-schoenborn-wuerdigt-hochschule-trumau.