Zum 3. Advent. Von Rainer Bucher.
Feste haben viele und wichtige Funktionen. Sie sind gemeinschaftsbildend und setzen einen Unterschied zum Alltag: Man erlaubt sich, was man sich normalerweise nicht erlauben würde. Feste manifestieren Selbstzustimmung nach innen und die eigene Bedeutung nach außen und sie tun all das letztlich, um das Leben trotz und in all seinen Gefährdungen zu feiern. Deswegen sind Feste auch oft an den heiklen Punkten der Biographie oder des Jahres angesiedelt, wo man erschrecken könnte vor der Zerbrechlichkeit des Lebens: Weihnachten etwa feiert man, wenn es am dunkelsten ist.
Man feiert, wo man erschrecken könnte vor der Zerbrechlichkeit des Lebens.
Fast alle Feiern greifen ganz selbstverständlich zu drei Dingen: zu spezifischen Orten, zu immer gleichen Ritualen und zu Schönem. Wer auf eine Hochzeit geht, geht in die Kirche oder in den schönsten Raum des Standesamts, er erwartet ein geregeltes Trauungsritual und er oder sie macht sich schön. Spezifische Orte speichern Erwartungen, Rituale koppeln Handlung und Symbolgehalt, die Schönheit der Feste aber markiert die Differenz zum Alltag und inszeniert ein sinnliches Gemeinschaftserleben.
Deswegen ist Ostern zwar das theologisch bedeutendste, aber nicht das populärste kirchliche Fest. Es hat keinen wirklichen Ort, denn das Grab ist leer und der Himmel ziemlich nebulös und die Auferstehung ist auch nur schwer rituell nachspielbar. An Weihnachten hingegen klappt das Feiern gut: Man feiert im neugeborenen Kind Jesus das Leben an sich. Dass die Geburt auch der gefährlichste Moment des Lebens ist, wird genau darin verarbeitet.
Zentrales jährliches Selbstvergewisserungsereignis der Familie
Weihnachten, wie wir es in unseren Breiten kennen, ist nicht so arg alt. Es entstand im späten 18. Jahrhundert mit der bürgerlichen Familie und deren bescheidenem Wohlstand und ihrer zunehmenden Bildung. Weihnachten wurde nach und nach zum wichtigsten familiären Fest im Jahr, zum zentralen jährlichen Selbstvergewisserungsereignis der Familie und zum Höhepunkt ihres Selbsterlebens. Für viele, wenn nicht die meisten, ist heute Weihnachten vor allem ein Familienfest. Die Familie ist einer der wichtigsten, aber eben auch einer der prekärsten Lebenskontexte. Deshalb braucht sie auch immer wieder Feiern, um sich zu erleben, auch um zu überleben.
Mit dem Weihnachtsfest verbindet sich die Sehnsucht nach innerer familiärer wie äußerer Wärme.
Zudem, und das ist viel älter, findet Weihnachten nach der Wintersonnenwende statt, also am Tiefpunkt der Dunkelheit und noch vor jenem der winterlichen Kälte. Da sehnt man sich nach Nähe, Wärme und Trost. Mit dem Weihnachtsfest verbindet sich die Sehnsucht nach innerer familiärer wie äußerer Wärme und Geborgenheit: tiefe menschliche Sehnsüchte mithin. Wenn man ihnen Form und Ausdruck verleiht, greift man wie selbstverständlich zu Schönem und Festlichem – und auch zu guten Speisen.
All diese Sehnsüchte sind berechtigt und unabweisbar. Sie sind auch ganz und gar nicht unchristlich. Aber das Christentum behandelt sie dann doch ziemlich merkwürdig. Es sagt: Sie sind ebenso stark wie ihre Erfüllung nie ganz zu erreichen. Man braucht sie weder zu verstecken, noch sollte man glauben, man hätte ein Recht auf ihre Erfüllung. Und vor allem: Sie werden nie wirklich gestillt. Außer bei Gott.
Das Christentum ist eine sehr realistische Religion. Es begreift den Menschen weder als durchgängig gut, liebevoll und aufmerksam, noch als durchgängig böse, hasserfüllt und egoistisch. Man sollte christlich daher realistisch sein in seinen Erwartungen und Hoffnungen und Sehnsüchten, auch und gerade an Weihnachten.
Wir feiern, dass Gott sich auf unser prekäres Leben eingelassen hat.
Das Christentum trifft zudem eine unzweideutige Option für die Armen und Leidenden, anders gesagt für die Liebe und die Barmherzigkeit: Man weiß, wo und als was Jesus geboren wurde, wen er favorisierte und was er verkündete. Wenn man an das Leben überhaupt und auch an das Leben in der Familie mit dieser realistischen Nüchternheit und zugleich mit liebender Aufmerksamkeit und Geduld herangeht, dann gibt es etwas zu feiern.
Wir feiern an Weihnachten, dass Gott sich auf unser prekäres Leben eingelassen hat. Zu diesem Fest gehören die Armut des Stalls wie die Chöre der Engel. Hören Sie sich doch mal auf Youtube „Odetta’s song“ aus Pasolinis Matthäus-Film an. Das ist die Szene einer Geburt in größter Armut – und eine Szene größter Schönheit. Schönheit rettet die Welt nicht. Aber die gerettete Welt ist schön und Schönheit eine Ahnung, wie die gerettete Welt sein könnte.
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Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Graz und Mitglied der feinschwarz-Redaktion.
Bild: Rainer Bucher, Kirche „Unsere Liebe Frau“ Bayreuth