Ob von Flüchtlingen oder von Migranten die Rede ist, verändert die Perspektive. Maria Katharina Moser über Worte, die Taten legitimieren.
Es war absehbar. Es war ausgesprochen. Wenn europäische Länder ihre Grenzen schließen, kann es „unschöne Szenen“ (©Sebastian Kurz) geben. Jetzt sind sie Realität. Polizisten in voller Montur schießen mit Tränengasgewehren auf Schutzsuchende, die verzweifelt an Grenzzäunen rütteln. Die Gewalt bricht los – und die Diktion ändert sich. Namhafte Medien und Journalisten sprechen zunehmend nicht mehr von Flüchtlingen, sondern von Migranten. Wer genau liest und zuhört, wir feststellen, dass es oft weiterhin „Flüchtling“ heißt, wenn darüber geschrieben oder gesprochen wird, dass Menschen einer schwierigen Situation ausgeliefert sind. Wenn sie aber mit Eisenstangen Tore aushebeln, werden sie gern als Migranten bezeichnet. Eine Kleinigkeit, könnte man meinen. Aber wie so oft steckt der Teufel im Detail. Wie so oft transportiert die Wortwahl eine ganze Weltsicht. Wie so oft liefert die verwendete Begrifflichkeit ein moralisches Urteil mit. Wie so oft legitimieren Worte Taten.
Man ändere ein Wort…
Das Wort „Flüchtling“ ruft Konnotationen von Krieg, Verfolgung und Opfer wach. Opfern widerfährt Schlimmes, ohne dass sie dafür verantwortlich wären, sie verdienen Unterstützung und Hilfe. Das Wort „Migrant“ hingegen ruft Konnotationen von Masseneinwanderung aus wirtschaftlichen Gründen, Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, Bedrohung „unseres“ Wohlstands wach. Man ändere ein Wort – und Schutzsuchende werden von der Seite der unschuldigen Opfer, die Hilfe brauchen, umgebucht auf die Seite der Täter, die eine Bedrohung darstellen, gegen die man sich wehren darf, ja muss. Mit den Begriffen „Flüchtling“ und „Migrant“ wird angeknüpft an das Spiel mit der Opfer-Täter-Dynamik. Ein Spiel mit der Schuld. Ein moralisches Spiel. Denn die moralische Vernunft verteilt zwischen Tätern und Opfern Schuld und Unschuld.
… und dieses Spiel mit Worten hilft mit, den Einsatz von Gewalt gegen Menschen an Europas Grenzen zu legitimieren.
Begonnen hat die Opfer-Täter-Umkehr in Österreich mit der Rede von der Überforderung: „Wir können nicht mehr“ ist zum geflügelten Wort geworden. Wir können diese Last nicht mehr schultern. Die Grenze des Zumutbaren ist erreicht. Mehr ist nicht möglich. Und niemand ist verpflichtet, Unmögliches zu leisten. Österreichs PolitikerInnen haben sich selbst, das Land und die Menschen hierzulande als Opfer der Fluchtbewegung inszeniert. Der nächste Schritt ist, Flüchtlinge als Täter zu inszenieren. Aus Flüchtlingen werden im öffentlichen Diskurs Migranten – ein Spiel mit Worten, das mithilft, den Einsatz von Gewalt gegen Menschen an Europas Grenzen zu legitimieren.
Maria Katharina Moser ist wissenschaftliche Referentin des Instituts für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie (IöThE) / Bild: by nafas / pixelio.de
Dieser Beitrag ist als Gastkommentar in der Wiener Zeitung vom 7.3.2016 erschienen.