Mit Einladung der Jesuit Conference of European Provincials verbrachte Irmgard Klein 25 Tage lehrend in Pakistan. Von Lahore über Rawalpindi bis in die Millionenstadt Karachi führte die Route aus Seminaren mit dem Titel „Exploring Feminist Theology“.
Blumen, Wasser und die Heiligkeit der Bücher haben sich auf der Reise als Interfaith-Gemeinsamkeiten herauskristallisiert. Ebenso wie die Fragen, wie mit wachsender Enge in der eigenen Glaubensgemeinschaft und wie mit politischen Veränderungen umgegangen werden kann.
Ghetto-Mentalität – Minderheitenkirche – Christinnen in Burka?
Mit Schiiten, Ahmadis, Parsis, Hindus, Sikhs, Bahai … gehören Christ_innen zu den religiösen Minderheiten im sunnitisch dominierten Pakistan. Rund 2% der Pakistanis bekennen sich zum christlichen Glauben.[1] Katholik_innen stellen mit 1 Mio weniger als 1% der Gesamtbevölkerung dar. „Die christliche Gemeinde ist überschaubar, man kennt einander“, meint Juan Carlos Pallardel SJ. Seit vier Jahren gestaltet der peruanische Jesuit das Leben in Loyola Hall, der Niederlassung der Societas Jesu in Lahore/Punjab, mit.
Mir verschlägt es die Sprache
Seine Schwerpunkte sind der interreligiöse Dialog, ignatianische Spiritualität und Impulse zur theologischen Reflexion. „Als Minderheitenkirche besteht die Gefahr, eine Ghetto-Mentalität zu entwickeln“, beschreibt Pallardel eine Problematik. Ein Seminarist erzählt in einer kommunikativ-theologischen Gesprächsrunde am National Catholic Institute in Karachi, dass in seiner Heimatgemeinde im Landesinneren auch christliche Frauen Burka tragen. „Zu ihrem Schutz und weil es unsere Kultur ist“, behauptet er. Mir verschlägt es die Sprache.
Frauenperspektiven – drittes Geschlecht – mutige Sprüche
Die reale Freiheit und die Situation von Frauen in Pakistan sind stark von ökonomischem Status, sozialer Stellung (Kaste), Stadt oder Land als Wohnort, Bildung und Religion abhängig. „Meine pakistanische Kultur ist viel älter als Islam und Christentum. Denken Sie an ‚Das tanzende Mädchen von Mohenjo Daro.‘ (Bronzestatue, 2500 v.Chr.) So frei können Frauen in diesem Land sein.“ Die Menschenrechtsaktivistin Tahira Abdullah[2] hält einen flammenden feministischen Vortrag auf der Konferenz „Perspectives on & of women“ im Christian Study Centre in Rawalpindi. Die unabhängige Frauenrechtsorganisation Women’s Action Forum wurde als Antwort auf die Diktatur General Zia ul-Haqs 1981 gegründet.[3]
Lebenszeichen der Frauenbewegung
Die pakistanische Frauenbewegung zeigt immer wieder kräftige Lebenszeichen. Der Aurat-March zum 8.3.2019 brachte z.B. die vielen, unterschiedlichen NGOs und Gruppen auf die Straße.[4] „Stop being Menstrual phobic“ – lautete eines der Transparente. Khan/Kirmani weisen auf die Anerkennung des Dritten Geschlechts, der in Südostasien mit langer, kultureller Tradition lebenden „Khwaja Siras“[5], in Pakistan hin. 2017 wurde die Transgender Persons (Protection of Rights) Bill 2017 beschlossen.[6] Die Diskussionen auf der Konferenz in Rawalpindi, halb Urdu, halb Englisch mit der islamischen Juristin Dr. Aayesha Rafiq (Fatima Jinnah Women University) und Tahira Abdullah (Islamabad) wurden offen und respektvoll geführt.
Blumen und Wasser – Interfaith Gemeinsamkeiten
Während meines Aufenthalts bin ich in klösterlichen Gemeinschaften untergebracht. Die gut bewachten Ordenshäuser bedeuten Sicherheit auf der einen Seite, andererseits aber auch eine Parallelwelt. Wahrscheinlich ergeht es Muslimen, die nach Österreich kommen ebenso, denke ich mir. Zu einigen Gelegenheiten ist Kontakt mit Andersgläubigen möglich, was mich sehr freut. „Die Jasminblütengirlanden sind eine wichtige Opfergabe für die Muttergottes“, erklärt mir Schwester Roohy in der St. Patrick Kathedrale in Karachi. Ähnlich werden Rosenblüten zu Hauf vor den schiitischen Heiligtümern verkauft.
Göttliche Mitte der Welt
Eine besondere Begegnung: Eine muslimische Polizistin und ihr 7jähriger Beschützer ermöglichen uns den Besuch des Gurdwara Panja Sahib, eines wunderbaren Sikh-Heiligtums in Hasan Abdal. Es erinnert mich an die Wallfahrtskapelle Maria Waldrast in Tirol, die ein altes Wasser- und Quellheiligtum ziert. Als christliche Besucherinnen ist es kein Problem, die Hand in Guru Nanaks Handabdruck – so erzählt es die Legende – im Stein über einer kristallklaren Quelle zu legen. Im Sikhismus sind die Grenzen zwischen den Religionen theoretisch keine Hürde. „Es gibt keine Hindus, es gibt keine Moslems, es gibt nur Geschöpfe Gottes.“ Blumen und Wasser tragen allgemein-menschliche Wünsche vor die göttliche Mitte der Welt.
Die Heiligkeit der Bücher – Schuhbänder lösen
Sogar der apostolische Nuntius aus dem Libanon zieht seine Schuhe aus, als am 31. August das National Catholic Institute in Karachi seinen Lehrbetrieb aufnimmt. Ausnahmslos alle werden gleich, wie beim Betreten einer Moschee, beim Gebet für einen guten Beginn und ein gutes Gedeihen des 70 Studenten umfassenden Seminars. Die Teilnehmer_innen an den feministisch-theologischen Lehrveranstaltungen sind unglaublich bibelbewandert.
Ich vermisse historische Kritik
Mir scheint, es ist eine Auswirkung der starken Konzentration auf den Koran, die sie umgibt. Oder die evangelikalen Gemeinschaften bringen auch Katholik_innen, die in meiner Sozialisation zumindest streckenweise bloß mit dem Rosenkranz in der Hand von Gott reden können, dazu, das Wort zu ehren. Zugleich vermisse ich kritische und historische Betrachtungen der biblischen Überlieferung.
Talibanisierung – wie kooperieren und reagieren auf politische Veränderungen?
„Die große Mehrheit der Pakistanis ist nicht einverstanden mit der herrschenden Politik und vor allem nicht mit den fundamentalistischen Gruppen, die das Land immer wieder durch Anschläge destabilisieren“, verlautbart ein Teilnehmer in Karachi. Politische Fundamentalismen und extreme Anschauungen, die Menschenrechte unterminieren sind Herausforderungen, die ich auch aus Österreich kenne. „Wie können wir als Theolog_innen mit diesen Aufgaben umgehen?“, frage ich. „Mehr mit dem Herzen sprechen, Gefühle und Erfahrungen zu Wort kommen lassen.“ „Less head-talk more heart-talk“
Viele Widersprüche
Meine pakistanische Lehr- und Lernerfahrung ist von vielen Widersprüchen geprägt. Keine Gesundheitsversorgung, immense Staatsschulden, aber Atomwaffen. Menschen aus verschiedenen Kirchen und verschiedenen Religionen sind respektvoll und herzlich miteinander. Gut ausgebildete Wissenschaftlerinnen – die nicht unabhängig leben dürfen. Müllberge (vor allem in Karachi), darin leben die Armen, und westliche Einkaufszentren nebeneinander. Ich bin randvoll mit vielen Eindrücken und dankbar für die unglaubliche Gastfreundinnenschaft.
Dr. Irmgard Klein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Fakultät Innsbruck.
Bildquelle: Irmgard Klein
[1] Kirche in Not, Länderbericht Pakistan, https://www.kirche-in-not.de/was-wir-tun/laenderschwerpunkte/asien/pakistan (17.9.2019).
[2] Die Aktivistin setzt sich auch aktiv gegen die Blasphemie-Gesetze ein.
[3] Die Zia ul-Haqs Islamisierung drängte Frauen in den privaten Bereich zurück. “The aim was to push women back into the confines of the chador and chardiwari (the veil and the four walls of the home), thus marking women’s bodies as symbols of the Islamic nation. The contemporary women’s movement emerged from within this context of Islamisation. Hence, it is no surprise that much of the writing about the women’s movement at this time deals with the issue of Islamisation/secularism.” Khan, Ayesha; Kirmani, Nida (2018): Moving Beyond the Binary. Gender-based Activism in Pakistan. In: Feminist Dissent 3, S. 151–191, 156.
[4] Aurat-March, Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Aurat_March (17.9.2019).
[5] “A series of Supreme Court rulings between 2009 and 2012 gave legal status to members of the Khwaja Sira community. The first major victory for Khwaja Siras was the addition of a third gender category in the national identity cards in 2011 (Khan, 2011a).” Khan und Kirmani 2018, S. 172
[6] Guramani 2018, https://www.dawn.com/news/1393766 (17.9.2019).