Das bekannte Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen richtet sich als Warnung an die Jüngergemeinde. Beim Anblick eines gotischen Kirchenportals denkt Elisabeth Birnbaum jedoch über Bibelmissbrauch und kirchliches „Othering“ nach.
Die klugen und die törichten Jungfrauen
Am Freiburger Münster stehen im prächtigen Portal unter anderem zehn Frauenfiguren. Unschwer zu erkennen, stellen sie die klugen und törichten Jungfrauen des Gleichnisses in Mt 25 dar. Zehn Jungfrauen (die Zahl 10 steht für Vollständigkeit) erwarten darin den Bräutigam, um ihn zum Hochzeitsfest zu geleiten. Fünf davon werden von Anfang an als „klug“ kategorisiert, fünf als „töricht“. Den klugen gelingt ihr Vorhaben und sie betreten mit dem Bräutigam den Festsaal, die anderen sind im entscheidenden Moment außer Haus und werden nicht mehr eingelassen.
Der Unterschied zwischen klug und töricht ist das mitgebrachte oder eben nicht mitgebrachte Lampenöl. Alles andere haben die Jungfrauen gemeinsam: Sie haben Lampen, sie haben den Willen, den Bräutigam zu erwarten und ihm entgegenzugehen, sie schlafen (alle!) ein, weil er auf sich warten lässt, und werden durch eine Stimme geweckt. Aber das Öl für die Lampen haben nur die klugen. Und die törichten, immer noch im festen Willen, den Bräutigam zu begleiten, irren in der Stadt herum, um Öl zu bekommen, und verpassen so den Moment.
Ein Gleichnis für die eigene Gemeinde
Dieses Gleichnis erzählt Jesus (Mt 25,1-13) nur seinem engsten Kreis, nur seinen Jüngern (vgl. Mt 24,3). Es steht im Kontext seiner Endzeitreden, der Fokus liegt auf dem richtigen Timing. Niemand kennt den Zeitpunkt der Ankunft „des Bräutigams“, viele, die auf ihn warten, werden möglicherweise einschlafen. Es kommt nur darauf an, im entscheidenden Moment bereit zu sein. Wer das nicht ist, dem nützt die beste Absicht nichts.
Zwar bleibt erstaunlich vieles an dem Gleichnis offen, etwa wo bzw. wer die Braut ist. Ob die klugen Jungfrauen ihr Öl nicht teilen wollen oder nicht können. Ob die törichten Jungfrauen schließlich noch Öl bekommen haben oder nicht. Warum der Bräutigam nicht einfach öffnet, wo doch die törichten Jungfrauen jeden guten Willen bezeugen. Und vor allem: wofür das Öl steht, das ja den Unterschied macht?
Über Außenstehende spricht das Gleichnis nicht.
Nichtsdestotrotz ist der Duktus klar. Es handelt sich bei dem Gleichnis um eine ausdrücklich nach innen gerichtete Erzählung: an die Jünger, an die Gemeinde. Alle Mitglieder dieser Gemeinschaft haben ein gemeinsames Ziel: dem „Bräutigam“ sprich: Christus zu begegnen. An sie ergeht eine Mahnung zur internen Selbstkritik und eine Warnung vor allzugroßer Selbstsicherheit. Denn nicht allen in dieser Gemeinschaft wird ihr Vorhaben gelingen.
Was mit dem Öl gemeint ist, sagt das Gleichnis nicht. Die Auslegungsgeschichte interpretiert dementsprechend unterschiedlich: Glaube oder gute Werke, Askese, Jungfräulichkeit, Tugendhaftigkeit u.v.a. Aber dass das Gleichnis nur über solche urteilt, die mit ihren Lampen gekommen sind, um auf den Bräutigam zu warten, ist unmissverständlich. Über Außenstehende spricht das Gleichnis nicht.
Die Synagoge als törichte Jungfrau
Umso erschreckender ist es zu sehen, was mit diesem Gleichnis an zugegebenermaßen prachtvollen gotischen Kirchenportalen in Städten wie Erfurt oder Freiburg gemacht wird. Denn dort wird die Gemeinschaft der Jungfrauen/Gemeindemitglieder doppelt aufgesprengt. Nicht nur stehen die fünf klugen Jungfrauen genau gegenüber von den törichten, die einen links, die anderen rechts an den Seitenwänden. Sondern beiden Gruppen gesellt sich jeweils noch eine weitere Figur hinzu: den klugen Jungfrauen die personifizierte Ecclesia, die Kirche, den törichten Jungfrauen die personifizierte Synagoge.
Die blinde (Freiburg) bzw. entthronte, sündige (Erfurt) Synagoge ist ein übles antijüdisches Klischee, das nicht oft genug beklagt und bekämpft werden kann. Dagegen ist schon viel gesagt und manches getan worden. Doch neben dem unerträglichen Antijudaismus liegt in dem Bildprogramm noch ein eklatanter Widerspruch zur Intention des Gleichnisses und ein ebenso eklatanter kirchlicher Missbrauch der Bibel zur Feier der eigenen Überlegenheit.
Unakzeptable Gleichsetzung
Der Widerspruch zur Intention des Gleichnisses liegt vor allem darin, dass ein Gleichnis, das sich ausdrücklich nach innen, an eine „Wir-Gemeinschaft“ richtet, plötzlich auf eine davon zu unterscheidende Gemeinschaft ausgedehnt wird. Dass somit Kriterien, die für dieses Innen gelten, plötzlich ins Außen verlagert werden. Mit anderen Worten: Man vergleicht Gemeindemitglieder, die Christus begegnen möchten, aber den Zeitpunkt verpassen, mit der Synagoge, die diese Begegnung niemals wollte. Die daher auch weder Anlass hatte, auf ihn zu warten, noch Grund, sich eventuell fehlendes Öl zu besorgen, noch um Einlass bitten würde, wenn der Bräutigam die Tür verschließt. Im Bild des Gleichnisses ist die Synagoge schlicht nicht enthalten. Über ihre Zuordnung zu „klug“ oder „töricht“ kann daher keine Aussage getroffen werden. Die Gleichsetzung mit den törichten Jungfrauen ist demnach absolut fehl am Platz.
Kirchliches Othering
Ebenso schlimm ist der Missbrauch des Gleichnisses für die kirchliche Eigenpropaganda. Dass die Kirche als solche und als ganze wie selbstverständlich zu den „klugen“ Jungfrauen gehört, ist eine Selbstüberhebung, die das Gleichnis in seiner bedrohlichen Warnung geradezu karikiert. Denn eben gegen eine solche Gewissheit der Gemeinde, das endzeitliche Heil zu erlangen, schreibt das Gleichnis an. Statt sich bange zu fragen, wie der Weltenrichter am Ende des Tages richten wird, bestimmt man selbst die Kriterien und richtet über alle anderen. Das widerspricht nicht nur diesem Gleichnis fundamental. Es ist auch ein „Othering“ der schlimmsten Sorte, für das die Bibel herangezogen wird. Ein neutestamentlicher Text wird aus dem Kontext gerissen und zu einem Manifest gegen andere und für die eigene Überlegenheit verzerrt und missbraucht.
Wer zu den törichten Jungfrauen gehört, entscheiden nicht die klugen.
… auch heute?
Dass diese Vorgangsweise nicht nur auf gotischen Portalen, sondern bis heute, nicht nur im antijüdischen, sondern auch in anderen, vor allem (sexual-)moralischen Kontexten immer wieder anzutreffen ist, sollte zu denken geben. Eine sorgfältige Lektüre des Gleichnisses und der Bibel überhaupt könnte hier Abhilfe schaffen. Der Kirche täte jedenfalls bei aller Überzeugung, das entscheidende Öl zu besitzen, die Erkenntnis gut: Wer zu den törichten Jungfrauen gehört und welches Öl es tatsächlich ist, das ihnen fehlt, entscheiden nicht die klugen. Schon gar nicht die selbsternannten.
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Bildnachweis: wikimedia commons: Roland Meinecke GFDL 1.2
Elisabeth Birnbaum, Wien, ist promovierte Alttestamentlerin und seit 2017 Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks.