Der Maler Markus Lüpertz übergibt einer Frankfurter Hochschule ein Kunstwerk zum David-Goliat-Narrativ. Sara Kipfer beleuchtet die Facetten dieser biblischen Gewaltgeschichte.
David gegen Goliat, Greta Thunberg gegen Ex-US Präsident Donald Trump, Schwach gegen Stark, Klein besiegt Groß, der Unterlegene tötet den Herausforderer. Die biblische Geschichte von David und Goliat wird beim Nahostkonflikt bemüht, wenn Umweltverbände gegen Konzerne klagen oder sie wird von der Werbung aufgegriffen, um gezielt übermächtige Feindbilder zu schaffen. Der legendäre Zweikampf von David und Goliat ist zentraler Bestandteil der westlichen, säkularen Kultur. Ein möglicher Grund mag darin liegen, dass die Geschichte geradezu paradigmatisch ist für menschliches Verhalten. Sie spielt mit dem Phänomen, dass die Mehrheit der Menschen mit den Außenseiter:innen und den Schwächeren sympathisiert und nicht mit dem vermeintlichen Gewinner. Dieser sogenannte Außenseitereffekt zeigt sich etwa im Fußball, aber auch in politischen Debatten: Offenbar fällt es einfacher, die Unterlegenen zu unterstützen.
Markus Lüpertz hat, wie das für sein Werk charakteristisch ist, ein in der Kunstgeschichte weit verbreitetes Motiv aufgegriffen. Er verpflichtet sich damit klar der Tradition, führt diese aber weiter. In der bildenden Kunst ist das Thema, wie David dem übermächtigen Goliat gegenübertritt, seit frühchristlicher Zeit beliebt.[1] Je grösser Goliat im Verhältnis zu David dargestellt wird, desto triumphaler erscheint der Sieg des Hirtenjungen.[2] Die biblische Erzählung untermauert das ungleiche Machtverhältnis, indem sie zu Beginn die Bedrohung, die von Goliat ausgeht, schildert (1Sam 17,4–7): sechs Ellen und eine Spanne, also ungefähr drei Meter, betrug seine Größe. Seine Rüstung bestand aus einer Kombination unterschiedlicher Elemente: Der eherne Helm, den Goliat trägt, ist typisch für Mesopotamien, die Beinschienen aus Bronze sind in der Ägäis verbreitet, und das Krummschwert war in Ägypten und der Levante bekannt. Der Schuppenpanzer kommt sowohl im mesopotamisch-syrischen Raum als auch in Ägypten vor. Auch der Speer aus Eisen ist eine in der frühen Eisenzeit sehr kostbare Waffe, aber keinem spezifischen Kulturraum zuzuordnen. Elemente aus unterschiedlichen Kulturräumen wurden in der Erzählung miteinander kombiniert und auf Goliat übertragen, um ihn nicht nur als übermächtigen Gegner, der alle Feinde Israels in sich vereint, darzustellen, sondern ihn auch nahezu unverwundbar erscheinen zu lassen.
Immer noch ein siegreicher Held?
Markus Lüpertz stellt jedoch nicht den übermächtigen Goliat, dem David entgegentritt, dar, sondern ein anderes, beliebtes Bildmotiv: David hält den Kopf Goliats, der nur unwesentlich grösser ist, als sein eigener Kopf, in der rechten Hand. Anders als in der Bildtradition (etwa bei Caravaggio) betont Markus Lüpertz nicht die Wunde, die David Goliat zugefügt hat. Der Kopf des Gegners ist insgesamt schwer malträtiert: ein Ohr abgeschlagen, der Hals ausgefranst, der Mund zur Fratze verzogen, die Augen kaum mehr erkennbar. Die martialische Darstellung ringt mit dem blutigen Narrativ in dem der übermächtige Gegner nun plötzlich zum Opfer wird. Bleibt David auch nach dem Sieg über den Herausforderer die Sympathie erhalten? Darf und kann er als siegreicher Held gefeiert werden, wenn er den blutüberströmten Kopf des Gegners als Trophäe präsentiert?
Während in der biblischen Erzählung die Beschreibung von Goliat als Feind, sein Äußeres und sein provozierendes Auftreten, viel Raum einnimmt, wird David, kaum beschrieben. Der biblische Text ist nicht so eindeutig, wie das meist vorausgesetzt wird, sondern ambivalent: Einerseits war David bereits im Dienste Sauls (1Sam 16,21f.) und entsprechend war er Krieger und mit einer Steinschleuder bewaffnet. Damit wäre der mit der Präzision der Fernwaffe herbeigeführte Sieg hinterlistig und geschickt kalkuliert. Andererseits wird David als kleiner Hirtenjunge vorgestellt, der seine Brüder besucht (1Sam 17,12–18), sich Saul erst vorstellen muss und nicht zu den Kriegsmännern zählt (1 Sam 17,33). Den offenbar noch nicht kriegstüchtigen jungen David hätte demnach eine gewisse Leichtsinnigkeit und vielleicht auch ein gefährlich naives Gottvertrauen auf das Schlachtfeld geführt, sodass ein tatsächlicher Überraschungssieg verbucht werden konnte.
Gewalt kann von Unterlegenen ausgehen.
Im einen Fall wird die Wundertat Gottes minimiert, die Erzählung entmythologisiert und ihrer Wirkkraft beraubt. Die Erzählung bliebe im Rahmen der Logik von Waffen und Gewalt. Wer die Geschichte von David und Goliat so auslegt, verlässt sich nicht darauf, dass Siege auch ganz anders entschieden werden können und dass nicht immer der Stärkere Erfolg hat. Im anderen Fall wird ein Weg aufgezeigt, wie der Schwache den Starken bezwingen kann, wie der schutzlos und ohne Rüstung angreifende Zivilist David den übermächtigen Soldaten Goliat durch Geschick und Klugheit tötet. Diese Auslegung betont, dass Macht und Ohnmacht nicht festgesetzte Größen sind, sondern nur in Relation existieren. Diese Auslegung läuft allerdings auch Gefahr, dass die Rolle eines „Freiheitskämpfers“, eines Guerillas oder Partisanen, ideologisch überhöht oder verharmlost wird. Gewalt kann durchaus vom Unterlegenen ausgehen, Macht manifestiert sich in Strukturen. In der Geschichte von David und Goliat geht es somit nicht einfach um „gut“ gegen „böse“, auch wenn oder obwohl die Erzählung durch Davids Kampfansage an Goliat eine klar religiös-fundamentalistische Deutung erhält. Die Realität, das macht auch die Erzählung von David und Goliath deutlich, ist immer komplexer: Es gibt keine eindeutige Unterteilung in Täter und Opfer.
Ungewissheit vor und Sicherheit nach dem Sieg in einem Bild.
Genau diese Ausgewogenheit zwischen Sympathie für den unterlegenen David und der gleichzeitigen Warnung vor einer Idealisierung des Sieges scheint Markus Lüpertz im Blick zu haben: Er stellt David gleichermaßen vor und nach seinem Zweikampf mit Goliath dar. In der linken Hand hält David die noch geladene Waffe, seine Steinschleuder mit dem Stein, den er eingesammelt hat, kurz bevor er Goliat mutig gegenübertritt. Mit der rechten Hand packt David den blutüberströmten Kopf Goliats. Es gibt offenbar nichts, was sich für David durch diese heldenhafte Tat verändert. Er bleibt durchgehend der Gleiche. Damit setzt Markus Lüpertz ganz neue und eigene Akzente. Meist wird dargestellt, wie David den Kopf Goliats in der einen, und dessen riesiges Schwert, in der anderen Hand hält. In seltenen Fällen hält David statt des Schwertes seine Steinschleuder (beispielsweise Guido Reni), jedoch nie die noch geladene Waffe. Die Ungewissheit vor und die Sicherheit nach dem Sieg vermengen sich im Bild von Markus Lüpertz.
Ambivalenz erzeugt unbequeme Aufgaben.
Dabei stellt er David nicht schmächtig, sondern durchaus kräftig und mit kantigem Gesicht dar. Er könnte Steinschleudersoldat und Hirtenjunge in einem sein. Das detailliert gestaltete Gesicht Davids steht im Kontrast zu der abstrakten und klaren Flächengliederung: ein dunkelblauer Hintergrund, der leuchtend rote, zerkratzte Kopf Goliats, das grüne Gewand Davids, die dunkle braune Erde, auf der er steht, und seine auffällig helle Haut.
Die Erzählung von David und Goliat und das Bild von Markus Lüpertz präsentieren keine allgemeingültigen Wahrheiten. In den Blick genommen werden ambivalente Möglichkeiten: Davids Vertrauen in den Sieg auf der einen und sein tatsächlicher Sieg auf der anderen Seite.
Das Bild in der Aula der Frankfurter Hochschule Sankt Georgen stellt allen Theolog:innen an prominentem Ort unbequeme Aufgaben: Es mutet zu, die immer neuen Versuchungen zur Vereindeutigung zu problematisieren. Es ist eine fulminante Aufforderung, die Dichotomie zwischen Opfer und Täter, Sieger und Besiegtem zu verlassen. Hier wird Gegenwartskunst zu einer Zu-Mutung und bewahrt damit vor zu leichten und zu schnellen Antwortversuchen.
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Titelbild: Ausschnitt „David“ von Markus Lüppertz, Frankfurt a.M. 2024.
[1] Kipfer, Sara, Art. „Goliath. Visual Art“, in: The Encyclopedia of the Bible and its Reception Vol. 10, Walter de Gruyter, Berlin et al. (2015), 598–602.
[2] Stefan Ark, David gegen Goliath. Die Geschichte der Geschichten einer Geschichte. Zur fächerübergreifenden Rezeption einer biblischen Story, Altes Testament und Moderne 4, Münster 1998.