Warum nicht zum Valentinstag einmal ein Brot schenken? Was dem Wachsen der Liebe gut tut. Von Fulbert Steffensky.
Der römische Dichter Ovid erzählt in den Metamorphosen, seinem Buch der Verwandlungen, die Geschichte von Philemon und Baucis, jenem Ehepaar, das als einziges den müden Wanderern Zeus und Hermon Gastfreundschaft gewährte. Dafür wurden sie von der Flut verschont, die über die ungastlichen Bewohner des Landes verhängt wurde. Sie baten die Götter darum, im gleichen Augenblick sterben zu dürfen. Nach einem hohen Alter starben sie nicht, sie wurden von den Göttern in eine Eiche und eine Linde verwandelt, und so blieben sie, lebendig und verwandelt, beieinander. In Nachdichtungen dieses Stoffes werden die beiden Bäume ein beliebter Ort für ein Stelldichein und Liebesszenen. Im zweiten Teil von Goethes Faust ist der Name des Paares das Symbol einer alt gewordenen Liebe.
Liebe ist auch Arbeit
Gibt es sie noch, Philemon und Baucis, die Liebe und die Gemeinschaft mit vielen Jahren, in der zwei Menschen wie alte Bäume nebeneinander stehen? Liebende, wenn sie lange miteinander leben wollen, müssen Gesetze der Liebe beachten. Liebe ist auch Arbeit, und Arbeit braucht Anweisungen – hart gesagt: Gebote.
Erstes Gebot: Du sollst die Ekstase nicht vergötzen!
Es ist gefährlich, die Liebe und die Qualität einer Beziehung allein an ihrer Ekstase zu messen. Der Zeitgeist befiehlt zwar: Sei jederzeit auf der Spitze deiner Gefühle! Denn du bist nur, wo du dich fühlst. Du bist nur in deiner eigenen Unmittelbarkeit lebendig, darum wolle sie und verfolge sie und verlasse den Ort, an dem du sie nicht mehr findest! So entsteht eine Erfülltheitssehnsucht, ein Unmittelbarkeitsdiktat, das die Langfristigkeit der Liebe verhindert. Liebe hat ihren Ort nicht nur in der Ekstase. Ich sage es besser so: Ekstase ist übersetzbar in Gewöhnlichkeit, Unscheinbarkeit und Alltag.
Es gibt eine Ekstase im Schwarzbrot des Alltags.
Auch wenn zwei zusammen spülen, ist es ein Liebesspiel, sozusagen ein Liebesspül. Auch wenn zwei sich abmühen, einander zu ertragen, ist es eine Lesart der Ekstase. Auch wenn einer für die andere kocht, ist es eine Übersetzung des Satzes aus dem Hohen Lied: Seine Wangen sind wie Balsambeete, in denen Gewürzkräuter wachsen. Die Liebe muß es lernen, die einfachen Dinge zu achten: das Essen, die Arbeit, die Tränen, die gemeinsamen Bücher und – wie gesagt – das Spülen. Es gibt eine Ekstase, die nicht nur im erfüllten Augenblick besteht, sondern in der Köstlichkeit der langen Zeit und im Schwarzbrot des Alltags.
Zweites Gebot: Du sollst dich Ganzheitszwängen nicht unterwerfen!
Es gibt ein Leiden, das durch überhöhte Erwartungen entsteht; die Erwartung, daß die eigene Ehe vollkommen sei; daß die Partnerin einen vollkommen erfülle; daß ich im Beruf völlig aufgehe; daß die Erziehung der Kinder vollkommen gelingt. So ist das Leben nicht! Die meisten Lieben gelingen halb; man ist meistens nur ein halb guter Vater, eine halbe gute Lehrerin, ein halb glücklicher Mensch. Und das ist viel!
Die meisten Lieben gelingen halb – und das ist viel!
Es gab den alten Totalitätsterror, der mir befahl, vollkommen zu sein wie der Vater im Himmel. Es gibt ihn neu! Gegen den neuen Terror möchte ich die gelungene Halbheit loben. Die Süße und die Schönheit des Lebens liegen nicht im vollkommenen Gelingen und in der Ganzheit. Schön, wenn wir gelegentlich mit unserer Liebe, mit der Freundschaft, mit unseren Lebensoptionen bis in die Nähe der Ganzheit kommen. Schön, wenn wir nicht im Zynismus und im Verrat der Wünsche ersticken! Aber das Leben ist endlich, nicht nur in dem Sinn, daß wir sterben müssen. Die Endlichkeit liegt im Leben selber: im begrenzten Glück, im begrenzten Gelingen, in der begrenzten Ausgefülltheit. Die große Leidenschaft kann sich auch im halben Herzen verstecken.
Man kann sich Wasser sein, und gelegentlich Wein.
Die Suche nach der ganzen Liebe ist der Glaube der säkularen Gegenwart, „der Fundamentalismus der Moderne“, sagt Ulrich Beck. „Es muß doch mehr als alles geben!“, ist der Titel eines Kinderbuchs. Mehr als die Totalität sind die kleinen Schritte, das halbe Herz, wo das ganze noch nicht zu haben ist. Es ist nicht versprochen, daß Menschen einander den Himmel auf Erden bereiten. Aber man kann sich Brot sein, manchmal Schwarzbrot und manchmal Weißbrot. Man kann sich Wasser sein, und gelegentlich Wein. Und die schwer zu glaubende Erfahrung zumindest von einigen alten Paaren: je älter man miteinander wird, um so mehr wird das Wasser zu Wein. Philemon und Baucis sind schon einmal gesichtet worden.
Mein drittes Gebot: Du sollst nicht knauserig in deiner Beziehung sein!
Es gibt Begriffe in der neuen Lebensformendebatte, die ich vom Geist der Kaufmannschaft geprägt finde. Die Worte Verhandlungsmoral und Selbsterfüllung zähle ich dazu. Da sitzen die kleinen Ehekerlchen und berechnen und zählen sich auf, was sie haben; was sie auszugeben bereit sind, und was nicht. Vom ersten Kuß an kalkulieren sie den möglichen schmerzlosen Ausgang aus der Beziehung. Da haben sie notiert, wie oft wer schon die Küche gemacht, eingekauft und das Bad sauber gemacht hat. Jeder sitzt auf seiner Ehepfründe und bewacht seine Rechte, und der Ehefrieden ist ein Tauschgeschäft.
Die Berechnung als Grundlage einer Beziehung ist zerstörerisch.
Zwar ist den Frauen nicht zu verdenken, wenn sie ihre Männer gelegentlich an den Putzeimer und in die Küche treiben. Aber die Berechnung als Grundlage einer Beziehung ist zerstörerisch; nicht nur zerstörerisch, die Schönheit ist in dieser Haltung gestorben. Dagegen nenne ich ein altes Wort und eine alte Sache: die Großmut. Wie schön ist die Großmut, die nicht aufzählt und die keine Angst hat, sich selber zu verlieren – immer vorausgesetzt, sie wird nicht einem Liebespartner zudiktiert, denn es gibt Tugenden, in denen man nur gemeinsam bewandert sein kann. Der Geist der Buchhaltung macht die Großmut zu einer Asylantin in unserem Land.
Viertes Gebot: Du sollst Deine Unabhängigkeit nicht vergötzen!
Unabhängigkeit als Ideal ist die Selbstverdammung zur eigenen Dürftigkeit. Ich muß mein eigener Lebensmeister sein, und mehr als mich selber ist nicht zu haben. Ich muß mein eigener Kraftspender, Lehrer und Tröster sein. Ich muß der Bäcker meiner eigenen Lebensbrote sein. Es gibt zwei Lebensschönheiten, die eine: Ich selber sein zu dürfen; die andere: nicht nur ich selber sein zu müssen, sondern von der Kraft, dem Trost und dem Reichtum der anderen zu leben. Es ist mehr Spiel im Leben und weniger Zwang, wenn man nicht der dauernde Meister seiner selbst und der Erfinder der eigenen Schönheit sein muß; wenn man sich in der Gnade eines anderen Menschen tummeln kann. Es ist schön und lebenserleichternd, angewiesen zu sein. Es steckt ein Stück Gewaltfreiheit darin, nicht nur auf sich selber zu setzen.
Es ist schön und lebenserleichternd, angewiesen zu sein.
Wenn ich mir nur mich gönne und nicht mehr, dann werte ich zugleich das andere Leben und den anderen Reichtum ab. Ich betone mich und nehme allem anderen den Akzent und die Wichtigkeit. Es ist eine schwere Kunst, bedürftig zu sein und sich trösten zu lassen, die Kunst der Passivität. Viel Erwachsenheit gehört zu ihr, vielleicht auch viele Lebensniederlagen; vielleicht auch große Wünsche an das Leben, die einen lehren, daß man sich selber nicht genug ist; die einen ein einfaches und schönes Wort lehren: Ich brauche Dich! In deinen Augen bin ich schön.
Ich brauche Dich! In deinen Augen bin ich schön.
Fünftes Gebot: Du sollst die Liebe nicht zu deinem Privatding machen
Ich erzähle von einem Gespräch, das Studierende der Theologie mit ihrer Kirchenleitung hatten. Es ging um die Weise, in der sie ihre Beziehungen lebten. Eine Gruppe beschwerte sich darüber, daß man sie vor der Übernahme eines Pfarramtes zwänge, zu heiraten und ihre Verhältnisse zu formalisieren, wie sie es nannten. Sie sagten: Unsere Sexualität und unsere Beziehungen sind unsere Privatsache und gehen keinen etwas an. Zugleich war da eine Gruppe von gleichgeschlechtlich lebenden Studierenden. Diese fragten die Kirchenleitung, warum sie ihnen die Öffentlichkeit ihrer Lebensweise verweigere. Ich habe die eindringliche Frage einer Studentin im Ohr: „Warum wollen Sie meine Liebe nicht segnen, Herr Bischof? Warum darf ich mich nicht öffentlich zeigen?“
Man ist auf Dauer nur die, die sich zeigen und darstellen darf.
Zwei sich widersprechende Wünsche: Die einen wollen die Öffentlichkeit, die ihnen verweigert wird. Die anderen verlangen die Privatheit und verweigern jede Einsicht in ihre Liebe. Meine ganze Sympathie ist beim Wunsch der Schwulen und Lesben. Sie haben eines verstanden: daß man auf Dauer nur der ist, der sich zeigen und darstellen darf. Indem man gesehen und gehört wird; indem man öffentlich wird, bekommt man Gesicht.
Sechstes Gebot: Ihr sollt euch nicht in euch selbst erschöpfen!
Die katholische Ehelehre behauptet, eine Ehe käme nicht zustande, wenn das Paar keine Kinder wolle. Das mag biologistisch sein, aber es ist zugleich eine Art verdrehter Weisheit. Man kann auf Dauer nur zusammenleben, wenn man mehr will als sich selber; wenn man mehr Lebensabsichten hat als die selbstgenügsame Zweisamkeit. Es brauchen nicht nur leibliche Kinder zu sein. Man kann Lebensphantasien und Optionen teilen, man kann Projekte und Arbeiten adoptieren und natürlich fremde Kinder. Wenn Menschen, die sich lieben, keinen anderen Blick haben als den in die eigenen Augen, dann verkommen sie.
mehr Lebensabsichten als die selbstgenügsame Zweisamkeit
Mit sich allein sind die Liebenden immer in schlechter Gesellschaft. Wir kennen die trostlose Komik einer Ehe, in der zwei sich immer ähnlicher werden, weil sie nur sich selber kennen. Sie werden sich gleich wie zwei Möpse. So ist der eine nicht mehr die Ergänzung des anderen, sondern seine Verdoppelung. Ein Haus ist erst dann ein Haus, wenn viele darin wohnen, essen, lachen und weinen. Das gilt auch für das Ehehaus.
Siebtes Gebot und Krönung aller Gebote: Verachtet die Spiele der Liebe und die Zärtlichkeit nicht! Verachtet sie nicht bis zum letzten eurer Tage!
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Fulbert Steffensky, geb. 1933, Studium der katholischen und evangelischen Theologie, 1975-1998 Professor für Religionspädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg.
Bei dem Text handelt es sich um eine überarbeitete, leicht gekürzte Fassung aus: Fulbert Steffensky, Der alltägliche Charme des Glaubens, Würzburg (Echter) 2002, 6. Aufl. 2009, 78-92.
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