Advent 2018 – Worauf wartest du? Was steht aus? Oder an? Olaf Trenn startet die Sonntagslektüre im Advent am Berliner Hauptbahnhof.
Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, … Berlin Hauptbahnhof. Sonderzug 1. Advent 2018. Erwartete Ankunftszeit Sonntag, 02.12.2018, 10:03 Uhr. Der Bahnsteig füllt sich allmählich. Es ist kalt und die Wartenden sind in Wintermäntel gehüllt. Schon bald herrscht ein ziemliches Gedränge. Erwartungsvoll recken sich Hälse aus wagenradstarken Schals.
Einzelne Sätze fallen wie: „Siehst du schon was?“ Oder: „Aus welcher Richtung wird er kommen?“ Der Sekundenzeiger der Bahnhofsuhr dreht seine Runden und schiebt den Minutenzeiger unaufhaltsam voran. Da kommt es zu Irritationen unter den Erwartungsvollen. „Befinden wir uns eigentlich auf dem richtigen Gleis?“ „Keine Ahnung, ich habe mich einfach dazu gestellt.“ „Sonderzüge fahren immer auf diesem Gleis ein. Jedenfalls war es im letzten Jahr noch so, glaube ich jedenfalls.“
Sonderzüge fahren immer auf diesem Gleis ein.
Mit einem Mal ist nichts mehr klar. Es kommt zu Diskussionen zwischen den Menschen. „Wer sagt eigentlich, dass es immer dasselbe Gleis ist, auf dem der Advent ankommt? Was, wenn wir auf etwas warten, das gar nicht kommt, nicht hier ankommt, völlig anders ankommt, als wir es erwarten? Und wer ist verantwortlich für die termingerechte Ankunft des Advents?“
Es bilden sich Fraktionen: Die Traditionellen bleiben auf ihrem angestammten Gleis. „Advent kam immer hier an. Und immer auf die gleiche Art und Weise. Also bloß keine Experimente, bitte!“ Andere wechseln kurz entschlossen den Bahnsteig. „Dort ist einfach mehr Platz! Schließlich weiß keiner so genau, wo er ankommt. Und wer oder was das ist, auf den oder das wir warten. Und was er uns bringt. Und wozu es gut ist.“
Schließlich weiß keiner so genau, wo er ankommt.
Wo fährt er ein? Auf dem Gleis der schnell noch zurechtorganisierten Betriebsfeiern auf der Bowlingbahn oder im Ente-satt-Restaurant? Dem Gleis der kommerziellen Weihnachtsmärkte mit Rostbratwurst, Migräne-Glühwein und besinnlicher Musik aus blechernen Lautsprechern in Dauerschleife? Auf dem Gleis der Kältebusse und dann eben doch geöffneten U-Bahnhöfe, Notübernachtungen und unbürokratischer Hilfe für Menschen ohne Obdach aber mit Hund und Erfrierungen an Fingern und Zehen? Auf dem Gleis rutschfester Socken-Betulichkeit mit aromatisiertem Zimt-Tee, Duftlämpchen und Lieblingsschmöker? Oder auf dem Gleis, wo vereinzelt ein paar Übriggebliebene stehen, die die Zeit der Ankunft als Fastenzeit buchstabieren?
Der Sonderzug Advent 2018 – wo kommt er an? Jemand tippt dir von hinten auf die Schulter, eine Person, eher unauffällig und dir ein wenig ähnlich. Leise flüstert sie dir ins Ohr: Egal, wo du stehst, ich bin hier. Ganz in deiner Nähe … ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.
Sacharja 9,9-10
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Die Sonntagsreihe im Advent 2018 heißt neue Texte in der gottesdienstlichen Leseordnung der evangelischen Kirchen willkommen, die am ersten Advent in Kraft tritt.
Olaf Trenn ist Pfarrer und Studienleiter in der Vikariatsausbildung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz.
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