Synodalität und Ökumene haben vieles gemeinsam, nicht zuletzt die Tatsache, dass beide Stichworte an Goethes Faust erinnern «Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube». Um so wichtiger ist es für Nicola Ottiger, die Gunst der Stunde zu nutzen und mutig voranzugehen.
«Krass theologisch unterbelichtet» sei die ökumenische Dimension in den bisherigen Debatten rund um Synodalität, schreibt mir ein Kollege. Ich finde, er hat recht. Zu befürchten ist, dass beide Themen, sowohl Synodalität als auch Ökumene, viele nicht so wirklich «hinter dem Ofen» hervorholen, um es jahreszeitgemäss auszudrücken. Zu anstrengend, zu komplex? Hat das eine wie das andere überhaupt Aussicht auf Erfolg?
Allein die Tatsache, dass dieser synodale Prozess überhaupt stattgefunden hat, ist von grosser Bedeutung
Was das kommunikative Grossprojekt Weltsynode (2021 – 2024) in der römisch-katholischen Kirche angeht, sind tatsächlich Erfolge zu verzeichnen. Mag das Glas auch als halb voll oder halb leer angesehen werden: Allein die Tatsache, dass dieser synodale Prozess überhaupt stattgefunden hat, ist von grosser Bedeutung, handelt es sich doch um eine vierjährige Auseinandersetzung über die im dritten Jahrtausend notwendige Form des Kircheseins auf allen Ebenen der Kirche und in einer neuen Form des Dialogs von Hierarchie und Basis. Theologische wie gesellschaftliche Anforderungen an Synodalität und damit an Partizipation und Bereitschaft zur Sendung wurden benannt. Der Wille zu Entwicklung und Veränderungen in dieser Kirche ist in den offiziellen Dokumenten nun schwarz auf weiss nachzulesen. Dies lässt sich nicht (mehr) in Abrede stellen. Darauf wird man sich berufen können. Dass Papst Franziskus auf das übliche nachsynodale Schreiben verzichtet und stattdessen das Abschlussdokument der Synode approbiert hat, setzte überraschend nochmals ein starkes Zeichen.
Was zählen wird, ist das Einlösen der Hoffnungen
Aber dies war erst ein Anfang. Was zählen wird, ist das Einlösen der Hoffnungen auf eine gemeinschaftlichere Kirche mit mehr und echter Teilhabe des ganzen Gottesvolkes. «Hingehaltene Hoffnung» (Spr 13,12) wird sich verantworten müssen und sich hierzulande in weiter schwindenden Mitgliederzahlen ganz konkret rächen. Die Erfahrungen mit dem synodalen Prozess der letzten vier Jahre, auch in den deutschsprachigen Ländern, sind aus verschiedenen Gründen unterschiedlich, und auch die weiteren Entwicklungen werden hinsichtlich Weltkirche und Ortskirchen disparat sein. An erschreckend grossem Reformbedarf mangelt es nicht. Unter anderem wird man sich eingestehen müssen, dass dieser vierjährige Prozess von einem grösseren Teil der kirchlichen Basis kaum bemerkt worden ist. Von theologischer Seite wurde und wird immer wieder kritisch vermerkt, dass theologische Arbeit und Standards kirchlich zu wenig aufgenommen werden. Und schliesslich ist es die sogenannte Frauenfrage, die sich als heimliches, da offiziell ausgeklammertes, Hauptthema der Weltsynode zu erkennen gegeben hat, die über Wohl und Wehe dieser Kirche mitentscheiden wird.
Hervorgehobene Bedeutung von Ökumene in allen offiziellen Dokumenten der Weltsynode
Noch nicht ins allgemeine Bewusstsein gedrungen ist die wesentlich ökumenische Dimension von Synodalität. Auch daran wird sich Synodalität bzw. die Kirche messen lassen müssen. Denn «Weltkirche» ist die Kirche nur mit den anderen Kirchen zusammen, wie Dorothea Sattler zu recht schreibt. [1] Bemerkenswert sind die hervorgehobene Bedeutung von Ökumene in allen offiziellen Dokumenten der Weltsynode und die Teilnahme von ökumenischen Delegierten aus anderen Kirchen und christlichen Gemeinschaften. Dass dies als Ausdruck eines «ökumenischen Kairos» [2], und die «Intensität des ökumenischen Eifers» gar als «(e)ine der wichtigsten Früchte der Synode 2021 – 2024» [3] gewertet wird, sind Spitzenaussagen, die mehr sein müssen als nur eine captatio benevolentiae an die anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Diese haben den synodalen Weg der römischen Kirche mit Interesse verfolgt. Tatsächlich wird die Ökumene zu einem Testfall für Synodalität.
Theologisch ist die Sache – wie immer bei der Ökumene – klar: Es gibt das «gemeinsam auf dem Weg sein» mit Christus, der selbst «der Weg, die Wahrheit und das Leben» ist (Joh 14,6), letztlich nur als ungeteilte Gemeinschaft der Christen. Deshalb darf Ökumene, trotz aller Herausforderungen auf allen Ebenen der Kirche, vor Ort wie kontinental und weltkirchlich, kein optional extra (Desmond Tutu) sein. Ökumene ist eine oft verkannte Gnade Gottes. All das, was eigentlich längst gemeinsam möglich wäre[4], fällt allzu oft einem Gemisch aus Trägheit, Kirchenfrust oder Ängsten zum Opfer.
Synodalität und Ökumene haben viele Gemeinsamkeiten
Synodalität wird zunächst als binnenkirchliche Aufgabe angesehen und angegangen werden müssen, aber eben nicht nur. Es wäre theologisch wie (kirchen)-praktisch verantwortungslos und eine verpasste Chance, mit anderen Kirchen nicht über Synodalität ins Gespräch zu kommen und von ihren theologischen Reflexionen und Erfahrungen zu lernen. Denn Synodalität und Ökumene haben viele Gemeinsamkeiten, sie sind koextensiv, so Daniel Kosch. [5]
Als Mitherausgeberin eines ersten Sammelbandes zum Themenkomplex Synodalität und Ökumene[6] bin ich beeindruckt von den Reflexionen aus verschiedenen konfessionellen und fachtheologischen Perspektiven sowohl auf die römisch-katholische Weltsynode, als auch von grundlegenden kritischen Rückfragen, mit denen im Diskurs über Synodalität und Ökumene alle Kirchen konfrontiert sind. Einige Kirchen kennen bereits «demokratischere» Verfahren der Mitbeteiligung an kirchlichen Entscheidungen, und zwar ohne nach politisch-demokratischem Vorbild einfach die Meinung der Mehrheit abzurufen. Wenn das Gebet um den Heiligen Geist und seine Führung wesentlich sind, dann muss dies beispielswiese strukturelle Folgen haben, insofern Gottes Geist sich auch im Glaubenssinn der Gläubigen äussert. Alle Kirchen sind von der Verhältnisbestimmung von Hierarchie bzw. Leitung und dem ganzen Kirchenvolk herausgefordert, und hierbei natürlich auch von der Frage nach der Bedeutung eines petrinischen Einheitsdienstes. Nicht überraschend ist auch die Frauenfrage ein längst identifizierter Brennpunkt der Ökumene, der in synodalen Prozessen weiter eine zentrale Rolle spielen wird.
Es wird kein Zufall sein, dass die römisch-katholische Synode 2021 – 2024 und die Veröffentlichung des Dokumentes «The Bishop of Rome» [7] durch das Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen zeitlich zusammenfallen. Es ist der römischen Kirche bewusst, dass sie selbst wesentlich synodaler werden muss, damit ihr Vorschlag, den Papst neu als «Bischof von Rom» im Dienste der Einheit der Kirche(n) verstehen zu lernen, bei den anderen christlichen Kirchen eine Chance hat. Gleichzeitig haben auch die Orthodoxie und die Kirchen der Reformation ihre ekklesiologischen Hausaufgaben zu machen. [8] Das 1700-Jahr-Jubiläum Konzil von Nizäa (325), das 2025 von den Kirchen ökumenisch begangen wird, stellt eine Herausforderung für alle dar, wenn es mehr hervorbringen soll als nur ein paar ökumenische Feierlichkeiten.
Den Weg der Synodalität mutig und entschlossen gehen
Der synodale Weg weist uns «zu einer vollen und sichtbaren Einheit der Christen, wie sie durch die Anwesenheit von Delegierten anderer christlicher Traditionen bezeugt wurde», so das Abschlussdokument der römisch-katholischen Weltsynode. [9] Synodalität ist also – wie die Ökumene auch –, nicht einfach etwas für die Unentwegten, die trotz allem die Hoffnung auf Veränderung von Kirche nicht aufgegeben haben. Sie ist eine Selbstverpflichtung, die sich die römisch-katholische Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil gegeben und jetzt durch die Weltsynode bekräftigt hat. Einmal mehr wird Geduld erforderlich sein. Aber Geduld und hingehaltene Hoffnung sind nicht dasselbe. Es gilt, mutig und entschlossen den Weg der Synodalität zu gehen,[10] im Vertrauen auf das Evangelium, mit dem die Spaltungen der Christenheit unvereinbar sind, und im Glauben an Gottes Geist, der ein genuin ökumenischer Geist ist. So ist zu hoffen, dass die ökumenische Dimension auf dem weiteren synodalen Weg, auf allen Ebenen der Kirche, nicht prominent ignoriert wird. Gerade den deutschsprachigen Ländern kommt dabei als «Reformationsländern», auch mit ihrer bereits geleisteten Pionierarbeit für die Ökumene, eine besondere Rolle und Verantwortung zu. Die «greifbare synodale Umkehr», welche die Ortskirchen herbeiführen sollen, geschieht nicht ohne «Beteiligung aller Getauften am Leben der Kirche» [11]. Gottes Geist wirkt und führt zu mehr Synodalität, wenn damit auch Getaufte anderer Konfessionen gemeint sind und konkret einbezogen werden.
Das Buch zum Thema: Ottiger, Nicola/Ritter, André: Synodale Kirche(n) und kirchliche Synodalität. Ökumenisch-theologische Perspektiven (Ökumene in Theorie und Praxis 15), Luzern 2024. Der Sammelband enthält Beiträge zum synodalen Weg in der katholischen Kirche, zum Verständnis von Synodalität in der orthodoxen, protestantischen und altkatholischen Tradition und thematisiert auch kontroverse Fragen wie jene nach dem Stellenwert des päpstlichen Primats.
[1]Vgl. Dorothea Sattler, Der Synodale Weg in Deutschland und die weltweite Ökumene, in: Nicola Ottiger/André Ritter: Synodale Kirche(n) und kirchliche Synodalität. Ökumenisch-theologische Perspektiven (Ökumene in Theorie und Praxis 15), Luzern 2024, 49–58, 57.
[2]Vgl. Synthese-Bericht der Ersten Sitzung der XVI. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode vom 28. Oktober 2023, Kapitel 7, Abs. a.
[3]Schlussdokument der XVI. Generalversammlung der Ordentlichen Bischofssynode vom 26. Oktober 2024, Teil IV, Nr. 137.
[4]Vgl. die Selbstverpflichtungen und konkreten Vorschläge der Kirchen Europas in der Charta Oecumenica. Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa. Verabschiedet vom Rat der Europäischen Bischofskonferenzen und von der Konferenz Europäischer Kirchen am 22. April 2001. Die Charta Oecumenica wird mit Blick auf ihr 25-Jahre-Jubiläum derzeit überarbeitet.
[5]Vgl. Daniel Kosch, Auf der Suche. Synodalität im Kontext der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz, in: 35 – 47, 45.
[6]Nicola Ottiger/André Ritter: Synodale Kirche(n) und kirchliche Synodalität. Ökumenisch-theologische Perspektiven (Ökumene in Theorie und Praxis 15), Luzern 2024.
[7]The Bishop of Rome. Primacy and Synodality in the Ecumenical Dialogues and in the Responses to the Encyclical Ut unum sint. A Study Document of the Dicastery for Promoting Christian Unity (COLLANA UT UNUM SINT 7), Città del Vaticano 2024. Das Dokument wurde im Juni 2024 an alle christlichen Kirchen und Gemeinschaften geschickt mit Bitte um Rückmeldung.
[8]Kurt Kardinal Koch, Ökumenische Perspektiven im Blick auf das Papstamt. Kurt Kardinal Koch zum 75. Geburtstag, Rede vom 13. November 2024 an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern, hg. von Nicola Ottiger, abrufbar bei: Schriften des Ökumenischen Instituts Luzern – Universität Luzern.
[9]Vgl. Schlussdokument der XVI. Generalversammlung der Ordentlichen Bischofssynode vom 26. Oktober 2024, Einleitung, Nr. 4.
[10]Vgl. Eva-Maria Faber, Entschlossen vorangehen! Ignatianische Spiritualität als Stachel für die ökumenische Praxis, Münster 2023.
[11]Vgl. Schlussdokument der XVI. Generalversammlung der Ordentlichen Bischofssynode vom 26. Oktober 2024, Einleitung, Nr. 9.
Nicola Ottiger ist Honorarprofessorin für Ökumenische Theologie an der Universität Luzern und Leiterin des Ökumenischen Instituts. Seit vielen Jahren unterrichtet sie auch am Religionspädagogischen Institut Luzern RPI.
Beitragsbild: Ökumenisches Institut Luzern (Quelle: IStock)