Kann die Theologie vom Kabarett lernen? Oder hat hier jemand Angst vor zu viel Nähe… René Dausner ergründet die vertraute Fremde zweier Welten.
Erstaunlicherweise wird die Bedeutung des Kabaretts für die Leistungsfähigkeit der Theologie als einer ernstzunehmenden Wissenschaft noch immer unterschätzt. Vermutlich, weil die Sorge besteht, Theologie und Kabarett in eine gewisse, vielleicht für beide Seiten gefährliche Nähe zu bringen. Die Folge ist eine fein säuberliche Trennung beider Bereiche, als wäre eine Theologie ohne Witz und Humor, Trauer und Angst sowie das Kabarett ohne religiösen Eifer und Glaubwürdigkeit besser zu händeln und leichter zu ertragen. Bei Licht besehen ist das genaue Gegenteil der Fall. Eine Spurensuche in nicht-apologetischer Absicht.
Kabarett als Gabe der Beobachtung und Kunst des Zuhörens
Ein höchst eindrückliches Beispiel für den Versuch, Kabarett und Theologie nicht nur zu verbinden, sondern aus einer wechselseitigen Erhellung das eine Feld zu beschreiten, ohne das andere zu verlassen, bietet der niederrheinische Kabarettist, Schriftsteller, Moderator und Schauspieler Hanns Dieter Hüsch (1925-2005). Hüsch, der die Bühne suchte und die Kanzel nicht scheute, war ein Intellektueller par excellence, der – um es in lutherischer Diktion zu sagen – den Leuten aufs Maul schaute. Zugucken, zuhören, aufschreiben und vortragen – mehr und anderes sei seine Kunst nicht, hat er einmal mit bescheidenem Selbstbewusstsein gesagt.
Wer ihn je live erlebte, lernte einen ausgebufften Komiker, einen feinsinnigen Sprachkünstler und einen ausgezeichneten Denker kennen, der die auch für Theolog:innen unerlässliche Begriffsanstrengung nicht scheute. Seine Abschiedstournee, über die zu schreiben mir als Debütant im Feuilleton des Bonner General Anzeigers vor fast zwanzig Jahren die Möglichkeit gegeben wurde, stand unter dem ebenso poetischen wie mehrfach ironisch gebrochenen Titel: „Wir sehen uns wieder“. In diesem Programm, bei dem die Orgel – wie stets – nicht fehlen durfte, sprach Hüsch mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit von Gott in alltäglichen Begegnungen.
Kirchenkritik und Gottessehnsucht
Gott war ein Thema für Hanns Dieter Hüsch. Oder präziser: gerade kein Thema und schon gar nicht ein Thema unter anderen, sondern eine lebendige Größe, ein Gegenüber, das in seinem Schaffen einen festen Platz beanspruchen durfte. Allen, die ernsthaftes Kabarett auf politische oder gesellschaftliche Diskurse verengten, redete Hüsch ins Gewissen. Immer wieder. Aber auch, und das war seine Stärke, auch denjenigen, die glaubten, ihren Gott bereits gefunden zu haben und gleichsam schwarz auf weiß nach Hause oder zu Markte tragen zu können. Wer Hüsch ein wenig näher kennt, kennt gewiss auch seine sogenannte religiöse Mitteilung aus dem Jahr 1988. Was Hüsch in diesem Text mit wenigen Worten skizziert, hat noch immer und angesichts aktueller Debatten umso mehr ein aufklärerisches Potential. Fast beiläufig und naiv führt der Text hin zu der provokanten These, Gott sei aus der Kirche ausgetreten. Auf erste Reaktionen, die damals „Propaganda und Legende“ und – sachidentisch – heute „Fake News und Alternative Facts“ genannt würden, trägt Hüsch einen Hirtenbrief der „Oberen und Mächtigen der Kirche“ vor, der nichts an Bedeutung eingebüßt hat:
„Wir, die Kirche, haben Gott, dem Herrn, in aller Freundschaft nahe gelegt, doch das
Weite aufzusuchen und aus der Kirche auszutreten und gleich alles mitzunehmen,
was die Kirche schon immer gestört:
nämlich seine wolkenlose Musikalität, seine Leichtigkeit und vor allem: Liebe, Hoffnung und Geduld;
seine uralte Krankheit, alle Menschen gleich zu lieben,
[…]
seine Herrlichkeit, seine Komik, großzügig bis zur Selbstaufgabe, sein utopisches
Gehabe,
seine Vorliebe für die, die gar nicht an ihn glauben,
seine Virtuosität des Geistes überall und allenthalben, auch sein Harmoniekonzept bis
zur Meinungslosigkeit, seine unberechenbare Größe und vor allem, seine Anarchie
des Herzens undsoweiter undsoweiter.“
Während dann, so Hüsch, die einen aus der Botschaft eine gute Erzählung zu konstruieren suchten, weil Gott als „Werbeträger“ ohnehin ausgedient habe und daher „der neue Slogan“ „Kirche ohne Gott“ genutzt werden könne, zögen andere die Konsequenz, dass Gott nun „endlich“ frei sei. „Kommt“, mit dieser Pointe endet der somit zu theologischer Rede gewandelte Text, „wir suchen ihn“. Gottsuche – ohne Grenzen des Denkens, mit kritischem Geist und wachem Sinn und im Vertrauen auf die Tragfähigkeit der Sprache schuf Hüsch eine theologische Kabarettkunst im ausgehenden 20. Jahrhundert. Blieb er damit ein Solitär? War er gar ein Auslaufmodell?
Zur Generierung eines zeitgenössischen Liebeslieds
Oder: gibt es sie noch, auch im 21. Jahrhundert – begabte Kabarettist:innen, die ebenso humoristisch wie kritisch das Zeitgeschehen begleiten und dabei religiöse Fragen und zumal die Frage nach Gott nicht übergehen? Dass die Frage rhetorisch ist, belegt eindrücklich einer der begabtesten Künstler:innen der jüngeren Generationen. Er ist ein sogenannter Klavierkabarettist, der wie Hüsch die Musikalität der Sprache auch in Reimform liebt und die gesellschaftrelevante Dimension der religiösen Frage nach Gott erkennt und benennt. Sein Name? Bodo Wartke, der jetzt schon mit seinem Liebeslied einen jener „unsterblichen Sätze“ (Hüsch) geprägt und in allen möglichen und unmöglichen Sprachen der Welt als Ohrwurm ausbuchstabiert und im Rahmen seines 25-jährigen Bühnenjubiläums als digitalen Spiel-Bausatz-Generator zur Verfügung gestellt hat (https://www.bodowartke.de/liebesliedgenerator).
Kabarettistisches Plädoyer für Aufklärung und Toleranz in religiösen Fragen
Liebe avanciert bei Bodo Wartke zu einem Grundthema, das er in unterschiedlichen Nuancierungen und Wendungen aufzugreifen und abzuwandeln versteht; auch wenn er das Kalauerhafte, das im Kabarett seinen festen Platz hat, nicht auslässt, ist – zumal in der Thematisierung von Religion und Gesellschaft – die Kritik von Fundamentalismen aller Art und Fanatismus federführend. Im Jahr 2016 veröffentlichte Wartke das Lied „Nicht in meinem Namen“, mit dem er aus der imaginierten Perspektive Gottes spricht: „Wenn ich ein Gott wäre von irgendeiner traditions-/reichen, populären Weltreligion, / – von welcher Religion ist dabei völlig egal – / dann hätt‘ ich was zu sagen, das geht euch alle an, denn / ihr habt da etwas Wesentliches missverstanden, / und das bereits zum wiederholten Mal“. Wartke wendet sich dabei in aufklärerischer Tradition gegen Hass, Krieg und Völkermord, gegen die Hypostasierung eines als vermeintlich gottgegebenen Rechts und setzt mit dem Refrain „ihr handelt nicht in meinem Namen“ einen Kontrapunkt gegen Engstirnigkeit und gegen jedweden Missbrauch Gottes für Terrorismus und Gewalt.
Mit dem Lied „Das Land, in dem ich leben will“, das im Folgejahr erschien, benennt Wartke die positiven Werte, die ihm das Leben lebenswert erscheinen lassen. Auch hier wird die zeitgeschichtliche Negativfolie religiöser Intoleranz und fundamentalistischer Strömungen deutlich, aber der Akzent ist ins Visionäre und Utopische gewendet.
„Im Land, in dem ich leben will, ist egal, was du bist,
ob Buddhist, Moslem, Jude, Christ oder Atheist,
weil sich selbstverständlich alle gegenseitig akzeptieren
und keiner versucht, den anderen zu missionieren.“
Geschichtsbewusstsein ist dabei leitend für die Bewahrung sowohl der Vergangenheit als auch der Schöpfung, die auf kunstvolle Weise miteinander verklammert werden; das Land, in dem es sich zu leben lohne, ist somit ein Land, „…wo Holocaust und Klimawandel nicht geleugnet werden“, „ein friedliches Land“, „das tolerant ist, aber gleichzeitig auch ganz / klare Kante zeigt gegen jede Form von Intoleranz“. Zu einem der neuesten und für die katholische Kirche und Theologie herausforderndsten Werk dürfte das Lied mit dem Titel „Das System“ gehören, das sich kritisch-rhapsodisch mit dem sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche befasst und dabei systemische Fehlkonstruktionen kritisiert. Dieses Lied hat Bodo Wartke am 14.5.2021 als Single veröffentlicht und dessen Erlös als Spende für den „Eckigen Tisch“ bestimmt.
Zeichen der Hoffnung und Zuversicht
Bodo Wartke ist somit nicht nur ein moderner Liedermacher, der sich – wie Hanns Dieter Hüsch – religiösen Themen zuwendet und dabei den Gottesbezug aufgreift, sondern auch – wie dieser – gezielt daran arbeitet, die Welt ein Stück besser werden zu lassen. Nicht irgendwie und irgendwo und irgendwann, sondern gleich jetzt und hier. Hic Rhodus, hic salta. Am Ende zitiert er aus dem Hohenlied des Apostels Paulus, um über die für ihn problematische Kategorie des Glaubens und auch noch über den Aspekt der Liebe hinaus die Hoffnung als Form eines Zukunftsoptimismus zu preisen. Mit diesem Loblied auf die Hoffnung wider alle Hoffnungslosigkeit, gegen Bitternis und Traurigkeit, gegen Verbrechen und Schuld deutet Bodo Wartke – im Gegensatz etwa zu der Kabarettistin Carolin Kebekus, die den Reformwillen der katholischen Kirche nur als Bekundung einzelner, einsamer Menschen zu verstehen vermag – einen sehr schmalen, aber vielleicht einzigartigen Ausweg aus der krisenbehafteten Gegenwart an.
Einem solchen Kabarett zuzuhören, das Fragen formuliert und zum Nachdenken animiert, könnte zum Segen werden für Theologie und Kirche in Zeiten berechtigter Kritik.
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Dr. René Dausner ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Hildesheim. Bild: Stephanie Hofschläger – pixelio.de