Fallen wir zu Ostern zurück in vorkonziliare Muster? Auf dem schweizerischen Sonnenhügel jedenfalls werden seit Jahrzehnten priesterlose Liturgien gefeiert – berichtet Lukas Fries-Schmid.
Die Ausgangslage ist klar: Laut vatikanischer Anweisung soll die Osternacht in diesem Jahr einzig in Bischofs- und Pfarrkirchen gefeiert werden. Diese Anweisung gelte ausdrücklich auch für Orden und Gemeinschaften, heisst es im entsprechenden Dekret aus Rom.[1] Auf Bistumsebene wird das gegenwärtige Versammlungsverbot so umgesetzt, dass einerseits sämtliche Gottesdienste untersagt sind, gleichzeitig die Priester aber ausdrücklich aufgefordert werden, die Eucharistie „privat“, das heisst hinter verschlossenen Türen zu feiern.[2] Schliesslich soll auf das Läuten der Glocken verzichtet werden. Stille sei auch ein Zeichen, lautet die Begründung.[3]
Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass die Kirchentüren von innen verschlossen werden![4] – Diese Erfahrungen haben die Gläubigen im übertragenen Sinne schon oft gemacht, wenn sie mit den Erfahrungen ihres Alltages, mit ihren Nöten und Sorgen, aber auch mit ihrer Freude und Dankbarkeit an die Kirchtüren geklopft haben in der Hoffnung auf ein sakramentales Zeichen statt bloss eines gutgemeinten offenen Ohres.
Das bedeutet einen Rückfall in die Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, als die Eucharistie als Hokuspokus («hoc est corpus meus») eines Priesters ohne aktive Beteiligung der Gläubigen verstanden wurde. – Deutlicher kann die Kirche nicht mehr offenbaren, dass sie sich den Gedanken des Volkes Gottes und des allgemeinen Priestertums gar nie wirklich angeeignet hat.
Nicht auf Konsument*innen reduzieren
Das bedeutet, dass die Gläubigen und die Suchenden auf Konsument*innen reduziert werden, die sich bei Bedarf einen von einem Priester oder Bischof zelebrierten Gottesdienst über irgend ein elektronisches Medium reinziehen können. – Offensichtlich traut die Kirche ihren Gläubigen nicht zu, im Notfall die Gegenwart Gottes dort zu feiern, wo sie stattfindet, nämlich im Alltag, Zuhause. Dann müsste sie sich aber wenigstens eingestehen, dass sie ihre eigenen Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Das bedeutet, dass die Botschaft der Auferstehung Christi, an die wir auch in schweren Zeiten glauben, nicht hörbar von den Kirchtürmen und Dachreitern verkündet wird. – Diese Stille ist für mich ein Zeichen dafür, dass die Kirche in der gegenwärtigen Situation kapituliert hat und nicht mehr weiss, wie sie dem, was sie glaubt, angemessen Ausdruck verleihen kann.
Was bedeutet das für uns?
Im Sonnenhügel werden seit 1993 Hausgottesdienste ohne Priester gefeiert, weil nie ein Priester in dieser Gemeinschaft dauerhaft mitgelebt hat und weil die Gegenwart Gottes trotzdem eine Realität ist, welcher die Gemeinschaft zusammen mit ihren Gästen auch liturgisch Ausdruck verleihen will.
Dass uns das Lob Gottes dabei bisweilen im Hals stecken bleibt, wie dies in der gegenwärtigen Situation der Fall ist, ist für uns nicht aussergewöhnlich, sondern alltäglich. Das ständige Zusammenleben mit Menschen in akuten Krisensituationen macht die Feier des Karfreitags oft einfacher als das Alleluja in der Osternacht.
Jesus und sein Wirken sind nicht totzukriegen
Bei allem Ungeheuerlichen, was Menschen durchstehen müssen, glauben wir unerschütterlich, dass sie dabei nicht alleingelassen sind. Das Leben ist stärker als der Tod, diese Wahrheit gilt auch und gerade in Situationen, in denen wir es kaum zu glauben wagen. Diesem Geheimnis Ausdruck zu verleihen, erachten wir als unseren Auftrag, zu jeder Zeit und genau dort, wo wir gerade sind.
Darum feiern wir auch in diesem Jahr, zum 28. Mal in Folge die Gottesdienste vom Hohen Donnerstag, Karfreitag und der Osternacht als priesterlose Hausgottesdienste.
Die unerhörte Botschaft, dass Jesus und sein Wirken nicht totzukriegen sind, ist aber nicht unser privater Glaube. Diese Botschaft darf nicht hinter unserer verschlossenen Klosterpforte bleiben, gerade nicht in dieser Zeit, wo auch unsere Gemeinschaft nur halb so gross ist wie sie wäre, wenn alle Gäste da sein könnten, die gerne mit uns diese Tage gefeiert hätten. Darum werden wir trotz allem und erst recht in der Frühe des Ostersonntags in die Stille dieser unsicheren Zeit hinein unsere Glocke läuten, die allen das Leben in Fülle verkündet.
Bedeutungsvolle Vielfalt
Bei diesem Feiern fühlen wir uns verbunden mit vielen Menschen, die in dieser Zeit der Not gehorchend ebenfalls Zuhause aktiv beten und feiern. Hilfreiche Materialien dazu findet man auch in offiziellen Quellen, unter anderem beim liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz[5] oder bei der Diözese Wien[6].
Lukas Fries-Schmid. Theologe. Verheiratet und Vater von zwei Kindern. Lebt im Sonnenhügel – Haus der Gastfreundschaft in Schüpfheim LU, einem Ort wo Menschen mitleben können, die vorübergehend den Rhythmus der Gemeinschaft teilen möchten, darunter ausdrücklich auch Menschen in akuten Krisensituationen. Mehr unter www.sonnenhuegel.org.
Bildquelle: Pixabay
[1] «Decree of the Congregation for Divine Worship and the Discipline of the Sacraments», zugegriffen 30. März 2020, https://press.vatican.va/content/salastampa/en/bollettino/pubblico/2020/03/25/200325d.html.
[2] Diese Weisung gilt für das Bistum Basel, in dessen Teritorium ich lebe, es wird aber in den meisten deutschsprachigen Bistümern sinngemäss umgesetzt, vgl. «2020-03-17_Coronavirus_verschärfte_Massnahmen.pdf», zugegriffen 2. April 2020, http://bilder.bistum-basel.ch/gallery/090610135454451347/2020-03-17_Coronavirus_versch%C3%A4rfte_Massnahmen.pdf.
[3] «2020-04-02_FAQ_Praezisierungen_zu_Massnahmen_Update.pdf», zugegriffen 6. April 2020, http://www.bistum-basel.ch/Htdocs/Files/v/12100.pdf/News/2020-04-02_FAQ_Praezisierungen_zu_Massnahmen_Update.pdf.
[4] vgl. «Die Kirchentradition sollte in der Krise helfen statt zu verbieten», katholisch.de, zugegriffen 3. April 2020, https://www.katholisch.de/artikel/25052-die-kirchentradition-sollte-in-der-krise-helfen-statt-zu-verbieten.
[5] «Liturgisches Institut der deutschsprachigen Schweiz – Die heilige Woche», zugegriffen 3. April 2020, https://www.liturgie.ch/praxis/gottesdienst-waehrend-des-corona-virus/die-heilige-woche.
[6] «Gottesdienst zuhause feiern», zugegriffen 3. April 2020, https://www.netzwerk-gottesdienst.at/pages/inst/999999991/gottesdienstzuhause.