von Jan-Hendrik Herbst, Christoph Holbein, Judith Wüllhorst, Fana Schiefen, Philipp Geitzhaus, Stefanie Großguth, Florian Jäckel und Gregor Taxacher.
Wie gehen wir mit der rassistischen, menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Politik der Partei AfD um? Um diese Frage dreht sich eine Diskussion innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche. Sie reagiert auf die Münsteraner Erklärung für eine mutige Kirche, in der die Ausladung des AfD-Politikers Münz, der dem rechten Flügel seiner Partei angehört, vom Katholikentag gefordert wird.
Viele Menschen erkennen an, dass die AfD rassistisch und menschenverachtend ist, halten aber einen anderen Umgang mit ihren öffentlichen Hetzer*innen für klüger und finden eine Ausladung kontraproduktiv. Die AfD wird von vielen, wie beispielsweise dem ZdK-Präsidenten Thomas Sternberg, als höchst problematisch angesehen, als eine Partei, die sich „[i]mmer weiter Richtung rechte[m] Rand“1 bewegt. Und doch wird eine Einladung für richtig gehalten, aus unterschiedlichen Gründen, häufig weil es als strategisch klüger erachtet wird. Als Verfasser*innen der Erklärung ist an uns in den letzten Tagen und Wochen Kritik von Personen herangetragen worden, die ähnlich argumentieren. Diese Kritik betrachten wir als solidarische Kritik, zeigt sie doch ein ernsthaftes Ringen darum, wie wir als Christ*innen dem Rassismus etwas entgegensetzen können. Genau um dieses Ringens willen ist es uns jedoch wichtig, nochmal dazu Stellung zu beziehen, da wir die zentralen vorgebrachten Argumente als nicht plausibel erachten.
1. Viktimisierungsargument: Ein erstes Argument besagt, die AfD könne eine Opferrolle konstruieren, wenn wir sie ausladen. Es ist gut möglich, dass die AfD eine Ausladung für sich zu nutzen versucht. Aber ist es möglich, dieses Dilemma zu umgehen? Immer wieder konnten wir in den vergangenen zwei Jahren beobachten, wie die AfD, auch wenn sie ein Podium bekommt, eine Opferrolle für sich zu nutzen versucht. (Man erinnere sich an den Auftritt von Alice Weidel in der ZDF-Talkshow „Wie geht‘s, Deutschland?“: Nach einigen kritischen Rückfragen verließ sie verärgert das Studio.)
Größer jedoch als die Sorge, dass sich die AfD als Opfer inszenieren kann, ist für uns die Sorge, dass sie ihre Position als angeblich normal innerhalb eines christlichen Meinungsspektrums positionieren kann, indem ihr ein Podium gegeben wird. Es handelt sich um eine No-Win-Situation. Ein Ausweg kann sein, ihre Lügenkonstrukte zu durchbrechen sowie zu benennen, was AfD-Politiker*innen sind: Täter*innen eines menschenverachtenden Kulturwandels. Und diese Botschaft wollen wir authentisch und überzeugend artikulieren: Indem wir sie mit einer Ausladung verbinden. Es ist ein performativer Widerspruch, der AfD einerseits Rassismus vorzuwerfen und ihr gleichzeitig ein Podium zu geben, auf dem diese Positionen verkündet werden können. Wir sehen nicht, wie mit dieser widersprüchlichen Botschaft eine Selbstinszenierung der AfD durchbrochen werden kann.
2. Dialogargument: „Wer auf den demokratischen Diskurs setzt, auf Dialog und Kontroverse, braucht keine Angst vor der AfD zu haben.“2
Dieses Argument verkennt Folgendes: Die AfD ist nicht am Dialog interessiert, sondern am Kampf gegen die offene Gesellschaft. Bedingungen der Möglichkeit von Dialog, z.B. Wahrhaftigkeit, werden durch Fake News und einen postfaktischen Umgang mit Inhalten unterminiert. Die AfD ist Teil einer organisierten und strukturierten Kraft, die versucht, gesellschaftlich Hegemonie zu gewinnen – wie an ihren Kontakten zum Zentrum für Staatspolitik, zu PEGIDA und zur Identitäten Bewegung deutlich wird. Durch konzertierte Aktionen, wie zum Beispiel das geplante Platzieren von Redebeiträgen auf dem Katholikentag in Leipzig, wird versucht, die Deutungsmacht über eine gesellschaftliche Konfliktsituation zu gewinnen.
Eine öffentliche Debatte mit Vertreter*innen der AfD folgt also einer anderen Logik als der persönliche Dialog im Freund*innenkreis oder in der Pfarrei, in dem wir natürlich mit unserem Gegenüber in ein Gespräch treten und argumentativ überzeugen möchten. Das spielt im öffentlichen Diskurs mit der AfD weniger eine Rolle, denn nicht wir sind die Adressat*innen ihrer Botschaften, sondern das öffentliche Publikum. Ihr geht es nicht um Argumentation, sondern um Aufmerksamkeitsökonomie. Die AfD zielt darauf, kulturelle Hegemonie zu erlangen. Das schafft sie einerseits mit gezielten Provokationen, etwa von den Hetzern Höcke und Poggenburg. Die Provokation ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Sie wäre nicht wirksam, wenn nicht andere Partei-Funktionäre der Partei den Anstrich der Normalität und der Bürgerlichkeit gäben. Angenommen, Münz sagt auf dem Podium nur völlig langweilige Dinge, selbst, ja gerade dann hat er zur Normalisierung seiner Partei beigetragen, und mit ihr auch den rassistischen und menschenfeindlichen Positionen. Provoziert er andererseits, dann wird die Provokation in der breiten Öffentlichkeit ankommen und nicht die kunstvoll vorgetragene Gegenargumentation.
Aus diesem Dilemma kommen unsere Bundestagsabgeordneten momentan nicht heraus: Sie müssen mit der AfD öffentlich diskutieren. Wir aber haben auf dem Katholikentag die Möglichkeit, dieses Dilemma zu umgehen: Wir brauchen ihnen kein öffentliches Podium zu geben. Und können auf diese Weise öffentlichkeitswirksam benennen, dass die AfD rassistisch ist, ohne diese Position gleichzeitig zu normalisieren.
3. Inhaltsargument: Ein drittes Argument besagt, man müsse auch auf dem Katholikentag diskutieren, was gesellschaftlich diskutiert werde. Dieses Argument ist insofern richtig und wichtig, als dass bestimmte Inhalte thematisiert werden müssen, zu denen auch die AfD eine klare Position vertritt: Flüchtlings- und Migrationspolitik, EU-Politik oder Klimawandel sind gesellschaftliche Schlüsselthemen, bei denen auch die Frage gestellt werden muss, warum die AfD-Positionen dazu derzeit so anschlussfähig sind. Natürlich ist es so, dass wir auch über Rassismus, menschenverachtende Politik und über Populismus sprechen müssen.
Doch es ist nicht ersichtlich, warum diese Diskussion ausgerechnet dann besonders fruchtbar sein soll, wenn Täter*innen selbst mitdiskutieren, während die Opfer rassistischer Gewalt nicht zu Wort kommen können.3 Warum werden die Verhältnisse des Bundestags reproduziert, und nicht denen ein Podium geboten, die die Parteien im Bundestag nicht repräsentieren? Entspräche dies nicht vielmehr der christlichen Tradition einer Option für die Armen und Ausgeschlossenen? Warum gibt es nicht ein großes öffentliches Podium, wie wir als Christ*innen mit Rassismus umgehen und dabei auch die Frage thematisieren, wie christliche Traditionen für einen solchen vereinnahmt werden können? Das Inhaltsargument spricht unseres Erachtens also nicht für die Einladung der AfD, sondern für eine andere inhaltliche Ausrichtung des Katholikentags.
4. Reflexivitätsargument: Zudem wird das Argument vorgebracht, dass durch eine AfD-Ausladung eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Rassismus im Christentum verhindert werden könnte – nach dem Motto: „Wenn der Katholizismus die AfD auslädt, dann hält sich der Katholizismus für rein, also nicht in Rassismus und Sexismus verwickelt.“ Dieses Argument wird zwar weniger in der breiten Öffentlichkeit als im Fachdiskurs thematisiert. Nichtsdestoweniger halten wir es für relevant und nehmen es daher hier auf. Wir halten dem entgegen, dass die Auseinandersetzung mit versteckten und offenen rassistischen und sexistischen Traditionen im Katholizismus gerade durch eine Ausladung begünstigt wird. Natürlich gilt es die Kritik weiter zu forcieren und sich nicht mit einer Ausladung zu begnügen. Dass es jedoch die vertiefte Reflexion auf rassistische Verstrickungen der christlichen Tradition befördern soll, wenn die AfD zum Katholikentag eingeladen wird, halten wir für unplausibel. Die Ausladung einer Partei, die offensichtlich Rassismus propagiert, erachten wir als eine Bedingung dafür, auch subtilere Formen kritisch in den Blick zu nehmen. Die Ausladung der AfD ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um Rassismus und Sexismus im Katholizismus zu thematisieren und zu bearbeiten.
Das Reflexivitätsargument ist also insofern wertvoll, als darauf hingewiesen wird, dass es natürlich mit einer Ausladung der AfD nicht getan ist, sondern es einer tiefgreifenderen Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bedarf. Die christliche Tradition scheint problematische Anschlussmöglichkeiten für Rassist*innen zu bieten. Zugleich jedoch stellen ihre progressiven Gehalte auch ein Bollwerk gegen Rassismus und Faschismus dar – wie beispielsweise auch der Vordenker der rechtsextremen Identitären Bewegung Alain de Benoist bereits erkannt hat; er fordert daher eine Hinwendung zu heidnischen Traditionen.4
5. Parlamentarismusargument: Häufig wird auch angemerkt, dass sich die Situation mit dem Bundestageinzug der AfD verändert hätte: Eine gewählte Partei dürfte nicht von öffentlichen Diskursen ausgeschlossen werden. Zugegeben, eine Ausladung der AfD von parteiunabhängigen Veranstaltungen, z.B. von der Bundeszentrale für politische Bildung, wird dadurch in der Tat schwieriger. Ein Katholikentag stellt jedoch keine wertneutrale, positionsunabhängige Veranstaltung dar, er wird aus einer spezifischen und partikularen Wertetradition organisiert. Daher muss auch nicht das gesamte gesellschaftliche Spektrum eingeladen werden und formale Argumente gilt es immer auch mit inhaltlichen Überlegungen zu flankieren. Um eine Einschätzung der AfD kommt man daher einfach nicht herum. Ohne hier (erneut) eine analytische Einschätzung der Partei vorzunehmen,5 sei nur auf vier Beispiele hingewiesen, die eine „Häutung zum Rechtsextremismus“6 der Partei exemplifizieren:
a.) Die AfD-Politikerin Anette Schultner, die auf dem evangelischen Kirchentag die Partei vertrat, ist aufgrund der Radikalisierung aus der Partei ausgetreten.
b.) Nicht der Hetzer Björn Höcke muss die Partei verlassen, sondern die keineswegs harmlose Frauke Petry.
c.) Die ZEIT und die taz weisen nach, dass es viele Mitarbeiter*innen von AfD-Bundestagsmitgliedern gibt, die Bezüge ins Spektrum der Neuen Rechten und des Rechtsextremismus besitzen. Eine Partei, die das Recht auf Religionsfreiheit desavouiert und für eine Abwertung nicht-christlicher Religionen instrumentalisieren möchte – wie an den jüngsten Bundestagsdebatten zur Religionsfreiheit deutlich wird –, darf nicht zum Katholikentag eingeladen werden – auch wenn sie derzeit leider gesellschaftliche Zusprache erhält.
d.) Mit der kleinen Anfrage zum Zusammenhang von Behinderung, Inzest und Migration hat die AfD erneut gezeigt, welch Geistes Kind sie ist. Die fundamentale Kritik von 18 Sozialverbänden an dieser Anfrage enthält eine Warnung, die – gerade auch in Münster – auf Gehör treffen sollte: „Die Anfrage der AfD-Fraktion erinnert damit an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte, in denen Menschen mit Behinderung das Lebensrecht aberkannt wurde und sie zu Hunderttausenden Opfer des Nationalsozialismus wurden.“7
6. Konzeptionsargument: Ein Argument, das an das Parlamentarismusargument anschließt und in letzter Zeit vermehrt vertreten wird, ist auf die Konzeption der Podiumsdiskussion bezogen. Gerade von Vertreter*innen des ZdK wird angeführt, dass das Staat-Kirche-Verhältnis ein wichtiges Thema sei, das auf einem Katholikentag diskutiert werden müsse. Hierzu gehörten dann zwangsläufig alle im Bundestag vertretenen Parteien. Diese wirkten schließlich auf das Staat-Kirche-Verhältnis ein und gestalteten es mit.
An dieser Stelle ist unserer Meinung nach eine Güterabwägung von Nöten. Sicher ist es wichtig und interessant, über das Staat-Kirche-Verhältnis in einer sich verändernden Gesellschaft zu diskutieren, allerdings muss unserer Meinung nach angefragt werden, ob die AfD dabei automatisch die Chance bekommen sollte, wie eine Akteurin unter anderen auftreten zu dürfen. Hier mit einem simplen Sachzwangargument zu argumentieren, halten wir für gefährlich. Für uns steht das Anliegen, ein Podium mit allen im Bundestag vertretenen Parteien zu veranstalten, gegen die Notwendigkeit, einer Partei wie der AfD kein Podium zu bieten. Hier muss es zu einer Abwägung kommen, die auch als solche gekennzeichnet und transparent gemacht wird.
Unsere Position haben wir bereits in der Münsteraner Erklärung deutlich gemacht. Gerade wenn es bei diesem Podium nicht um Fragen der weltweiten Solidarität, des Umgangs mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geht, sondern um strukturelle Fragen der Zusammenarbeit von Staat und Kirche, besteht die Gefahr, dass eine Einladung der AfD suggeriere, dass diese von der katholischen Kirche als Mitgestalterin von Politik akzeptiert und ernstgenommen wird. Wenn dem Thema des Podiums Rechnung getragen werden soll, wird es keinen Raum geben, über die problematischen Aspekte dieser Partei zu sprechen, sondern lediglich ihrer Normalisierung Vorschub geleistet.
Als Christ*innen benötigen wir nicht nur ein theologisch geschultes Bewusstsein darüber, wem wir im Angesicht der Autorität der Leidenden ein öffentliches Podium geben und wem nicht. Wir brauchen auch eine strategische Reflexion darüber, wie Rassist*innen den öffentlichen Diskurs nutzen und wie wir damit umgehen. Von einer nur auf vernünftigen Argumenten beruhenden Öffentlichkeit auszugehen, funktioniert nicht. Der Dialog mit der AfD führte in den letzten zwei Jahren unserer Meinung nach eher zu einer gesamtgesellschaftlichen Verschiebung nach rechts und einer mit Sorge zu betrachtenden Veränderung des politischen Jargons, als dass ihr wirklich wirksam Einhalt geboten worden wäre.
Mit der AfD kann und muss gerungen werden – und eine kontroverse Debatte darüber, wie dies getan werden sollte, ist wichtig. Es ist notwendig, darüber zu reflektieren, welche Wirkung erzielt wird, wenn Politiker*innen wie Münz zu einem Podium eingeladen werden und welche, wenn sie ausgeladen, oder am besten gar nicht erst eingeladen werden. Und es ist wichtig, klar zu markieren, innerhalb welcher Grenzen ein Dialog überhaupt erst möglich ist. Für uns gibt es rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen; diese haben wir mit unserer Erklärung deutlich gemacht. Uns ist wichtig, dass klar ist: Wir Katholik*innen zeigen eine klare Haltung gegenüber der AfD, weil ihre Politik rassistisch und menschenverachtend ist.
- Sternberg, Thomas (2018) im Zeitinterview: https://www.zeit.de/2018/08/thomas-sternberg-katholikentag-afd/seite-2 (zuletzt geprüft am 6. Mai 2018). ↩
- Söding, Thomas (2018): Ausgrenzen hilft nicht. Warum der Katholikentag keine Angst vor einem AfD-Mann hat. Online auf Feinschwarz: https://www.feinschwarz.net/replik-zum-leserbrief-von-thomas-soeding-ausgrenzen-hilft-nicht-warum-der-katholikentag-keine-angst-vor-einem-afd-mann-hat/ (zuletzt geprüft am 6. Mai 2018). ↩
- Dieser Überlegung liegt die Vorstellung zugrunde, dass Gewalt und Diskriminierung auch strukturell ausgeübt werden können. Insofern müssen AfD-Politiker*innen nicht selbst physisch Gewalt anwenden, um als Täter*innen rassistischer oder sexistischer Gewalt zu gelten, weil sie eine Politik der Diskriminierung mittragen, unterstützen und aktiv befördern. ↩
- Vgl. Schelkshorn, Hans (2018): Neue Rechte, Demokratie und Christentum. Online verfügbar unter https://medienportal.univie.ac.at/uniview/semesterfrage/ws-201718/detailansicht/artikel/neue-rechte-demokratie-und-christentum/(zuletzt geprüft am 06. Mai 2018) ↩
- Vgl. beispielsweise Heimbach-Steins, Marianne et al. 2017: Grundpositionen der Partei „Alternative für Deutschland“ und der katholischen Soziallehre im Vergleich – Eine sozialethische Expertise. (zuletzt geprüft am 6. Mai 2018) ↩
- Sternberg, Thomas, zitiert in Kirche und Leben: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/zdk-praesident-sternberg-fuer-abgrenzungsbeschluss-zur-afd/ (zuletzt geprüft am 6. Mai 2018) ↩
- Diese Anzeige schalteten 18 Wohlfahrtsverbände am 22. April 2018 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeiten. Sie ist online unter http://www.der-paritaetische.de/schwerpunkte/vielfalt-ohne-alternative/es-geht-uns-alle-an-wachsam-sein-fuer-menschlichkeit/ (zuletzt geprüft am 6. Mai 2018) nachzulesen. ↩