Zum heutigen Fest fragte feinschwarz.net die Muslimin Elham Manea: Was bedeutet Weihnachten für Dich?
Hier ihre Antwort:
Meine Kindheit.
Das ist für mich die Bedeutung von Weihnachten.
Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass dies für Sie überraschend sein kann. Als jemenitisch-schweizerische Doppelbürgerin mit islamischer Tradition mag das Feiern von Weihnachten kaum als der Brauch erscheinen, den man von mir erwartet. Es ist aber so.
Einige würden sagen, aus religiöser Sicht ist es erlaubt, die Geburt des Jesu zu feiern. Und ja, es ist erlaubt. Jesus hat eine besondere Stellung in den Versen des Koran; Jesus wird respektiert und geschätzt. Abgesehen davon sollen die Muslime an alle Propheten glauben, einschließlich Jesus, die dem Propheten des Islam, Mohammed, vorausgegangen sind.
Doch mein Handeln wird selten davon bestimmt, was aus religiöser Sicht erlaubt oder verboten ist. Ich neige dazu, das zu tun, was ich tun will, geführt von meinem eigenen Humanismus, meiner Vernunft und menschlichem Willen.
Das Fest bringt mich zurück in meine Kindheit.
Nein. Weihnachten hat für mich eine andere besondere Bedeutung. Und diese ist nicht religiös, auch wenn ich Jesus sehr schätze.
Das Fest bringt mich zurück in meine Kindheit – in eine glücklichere Zeit in meiner Familie, vor der psychischen Krankheit meiner Mutter.
Meine Eltern haben diese Tradition seit meiner frühen Kindheit in unseren Haushalt eingeführt. Insbesondere in Deutschland. Damals arbeitete mein Vater als junger Diplomat in der Botschaft in Bonn. Er und meine Mutter genossen die Weihnachtstradition New Yorks während seiner Amtszeit bei den Vereinten Nationen und später als Generalkonsul.
Das war vor meiner Geburt.
Diese neue Tradition war nicht bedrohend.
Als er in Bonn stationiert war, war ich drei und mein Bruder sechs Jahre alt.
Ich wundere mich darüber, wie er nicht gezögert hat, diese Tradition anzunehmen. Ohne Angst. Der Weihnachtsbaum mit seinen Ornamenten, den roten Socken voller Süßigkeiten und den Geschenken, die uns, meinen Bruder und mich, erwarteten. Es war eine schöne, farbenfrohe Tradition, die Wunder und Lächeln in unseren Haushalt brachte.
Diese neue Tradition war nicht bedrohend. Es war nur eine Ergänzung zu den anderen Traditionen, die wir in unserer Familie feierten.
Mein Vater war ein stolzer Jemenit. Im positiven Sinne. Mit seiner eigenen Kultur und ihrem Erbe vertraut, war er ein Humanist, gleichzeitig weltoffen und kultiviert. Die Kombination machte ihn zu dem Menschen, der er war. Und das hinterließ seine Spuren bei uns, meinem Bruder und mir.
Wenn man sich selbst nicht kennt, kann man sich auch nicht auf andere einlassen.
Er bestand darauf, dass mein Bruder und ich Schulen besuchten, in denen Arabisch als Hauptsprache unterrichtet wurde. Er machte es nicht wie seine besten Freunde, die ihre Kinder auf amerikanische Schulen schickten – aber nicht etwa, weil er etwas gegen die englische Sprache oder gegen die USA hatte. Jedenfalls nicht grundsätzlich. Nachdem er in seiner Jugend mit dem Kommunismus geflirtet hatte, lernte er während seines Studiums in der DDR den realen Sozialismus kennen. Diese Erfahrung brachte ihn dazu, derartige Ideologien kategorisch abzulehnen; stattdessen war er überzeugt von der Notwendigkeit eines aufgeklärten Humanismus. Seine Motivation war also nicht die Ablehnung der angelsächsischen Kultur. Er vertrat einfach nur die Meinung: Wenn man sich selbst nicht kennt, kann man sich auch nicht auf andere einlassen. «Lernt eure Sprache, beherrscht sie, und danach könnt ihr andere Sprachen lernen – aber kennt zuerst euch selbst. Eure Sprache ist euer Tor zu eurem eigenen kulturellen Erbe.» So erklärte er es uns. Er war ein stolzer jemenitischer Humanist, und diesen Stolz gab er an uns weiter.
Es war dieses Selbstvertrauen, das es ihm und meiner Mutter ermöglichte, Weihnachten als eine schöne Tradition anzunehmen, die ihre Kinder glücklich machte. Er glaubte nicht an Mauern zwischen den Kulturen. «Wenn du in einem Land lebst, öffne dich und umarme es, aber vergiss deine Wurzeln nicht.»
Wir haben diese Tradition im Laufe der Jahre immer wieder gefeiert, egal wo wir lebten. Meine Mutter, die perfekte Diplomatengattin, bewahrte die Weihnachtsornamente in einer speziellen Box auf, die mit uns die Welt bereiste. Auch als sie ab meinem 12. Geburtstag psychisch krank wurde, feierten wir immer wieder Weihnachten.
«Wenn du in einem Land lebst, öffne dich und umarme es, aber vergiss deine Wurzeln nicht.»
Vor 26 Jahren traf ich meinen Mann, einen Schweizer Protestanten, in Washington DC. Er erklärte mir, dass seine Eltern aus irgendeinem Grund aufgehört haben, Weihnachten zu feiern. Sein Vater arbeitete früher in der Notaufnahme am Universitätsspital Zürich. Zu Weihnachten musste er sich in seinem Beruf mit vielen Selbstmordversuchen auseinandersetzen. Es war eine Zeit der Verzweiflung für einige Menschen.
Ich hörte respektvoll zu und antwortete, «jetzt werden sie es wieder feiern müssen». Seltsamerweise schien es ihnen nichts auszumachen.
Und so kam es, dass mein schweizerischer christlicher Mann und seine Eltern dank seiner jemenitischen Frau mit islamischer Tradition wieder Weihnachten feierten!
Weshalb mir diese Tradition, Weihnachten zu feiern, immer wichtig geblieben ist?
Sie fragen sich vielleicht, weshalb mir diese Tradition, Weihnachten zu feiern, immer wichtig geblieben ist? Warum gerade Weihnachten? Die Fragen sind berechtigt.
Ich bin mir natürlich bewusst, dass Weihnachten für die einen eine sehr anstrengende Zeit und für andere schmerzhaft einsam sein kann. Und leider machen es einige sogar zu einem Konsumfest. Diese Seite ignoriere ich lieber. Bewusst!
Die Antwort jedoch liegt in der Person, deren Geburt wir feiern. Abgesehen von den Kindheitserinnerungen schätze ich die Botschaft von Liebe, Erbarmen und Frieden, die von Jesus gezeigt wird. So wie ich den Monat Ramadan nutze, um den Essenskonsum zu reduzieren, bewusst zu leben, und mich für die Spiritualität in mich zurückzuziehen, ist die Adventszeit für mich eine Zeit der Reflexion. Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Es gibt viel zu tun auf dieser Welt. Aber Veränderung ist möglich. Und die Güte sollte sich durchsetzen, auch wenn sie mit Opfern einhergeht. Das ist für mich die eigentliche Bedeutung von Weihnachten. Es begann als Kindheitstradition und wurde zu einem festen Bestandteil der jährlichen Feste.
Frohe Weihnachten Euch allen.
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Elham Manea, PD Dr., ist Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Sie ist Autorin und Menschenrechtaktivistin.
Fotos: Elham Manea