Barbara Staudigl wehrt sich gegen die Ausgrenzung derer, die angesichts der Hartnäckigkeit klerikaler Strukturen jede Hoffnung auf Veränderung verloren haben.
Vor Kurzem wurde ich Zeugin eines Gesprächs, das mich nachdenklich gemacht hat:
Im Rahmen einer Fortbildung aus verschiedenen Bistümern kam beim Austausch über die Tätigkeitsbereiche der Einzelnen viel Frust zur Sprache. Und Trauer über die Entwicklung von Kirche. Und Hoffnungslosigkeit angesichts der Hartnäckigkeit der klerikalen Strukturen und Haltungen. Eine Frau – wohl in den Fünfzigern – berichtete, sie wisse nicht, wie sie noch zehn Jahre bis zur Rente durchhalten solle. Wenn man Theologie und damit sozusagen in die Kirche hinein studiert habe, dann gäbe es mit Mitte 50 kaum noch eine Alternative. Aber Hoffnung habe sie keine mehr. Und Kraft auch nicht.
Warum gehen Sie nicht?
Eine Teilnehmerin fragte sie, warum sie dann nicht gehe? Es wäre doch ehrlicher zu gehen, wenn man nicht mehr daran glaube und nicht mehr hoffe.
Der Augenblick hat mich überfordert – und war vorbei, ehe ich begriff, was geschehen war.
Eine Frau, die ihre Hoffnung, ihre Kraft, ihre Berufstätigkeit, ihr Leben in den Dienst der Kirche gestellt hat und die nun nach fünf Jahren Studium, 30 Berufsjahren und 55 Jahren Zugehörigkeit sagt, sie sei frustriert und könne nicht mehr hoffen, wird gefragt, warum sie nicht gehe.
Ich bin fassungslos. Haben wir uns im katholischen Milieu die DNA des Ausgrenzens und Ausschließens so sehr zu eigen gemacht, dass wir Menschen auffordern zu gehen, weil sie angesichts der eklatanten Missstände in der verfassten katholischen Kirche keine Kraft mehr haben und nicht mehr hoffen können?
Ich habe großes Verständnis für die Frustrierten und Kraftlosen.
Die Frau hat zu einer Zeit studiert, in der wir alle hofften und uns sicher waren, dass Veränderung möglich ist. 30 Jahre im Dienst der Kirche haben sie eventuell gelehrt, dass Veränderung nicht möglich ist, dass sie als Frau immer subaltern arbeiten wird, dass sie in einem System arbeitet, in dem nicht die Kompetenz zählt, sondern das Amt. Gewiss, es gibt Menschen, bei denen Kompetenz und Amt zusammenfallen. Wer aber nicht das Glück hat, in der Kirche solchen Priestern zu begegnen, macht Erfahrungen, die frustrierend und unendlich kräftezehrend sind. Es ist unwürdig, wenn man vom Gnadenakt eines geweihten Vorgesetzten abhängig ist, ob man entsprechend der eigenen Kompetenzen arbeiten darf oder nicht. Wem kann man verdenken, dass Kraft und Hoffnung schwinden, wenn man ankämpft gegen ein Amtsverständnis, das sich erhebt über Laien, sie in Grenzen weist und klein macht?
Manchmal und phasenweise sind es nicht die negativen Erlebnisse, die einem zusetzen, sondern schlicht das Fehlen der positiven. Man kann kaum ein Leben lang von den schönen Communio-Erfahrungen der Jugendarbeit leben und träumen, wenn man im Anschluss jahrzehntelang hierarchische Dürre erlebt. Und das oft vorgehaltene Argument, dass man doch als hauptamtliche Mitarbeiterin, als hauptamtlicher Mitarbeiter selbst gestalten könne, dass man doch selbst mitverantwortlich sei für das, was in den Pfarreien geschieht – was zählt es in einer Amtskirche, in der nur Priester einer Gemeinde vorstehen können, in der die Eucharistie als Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens gesehen wird, aber nur Priester Gottesdienste feiern können?
Woher also Communio-Erfahrungen nehmen in einer Kirche, die sich selbst der Vielfalt ihrer Ausdrucksformen in der Liturgie und Pastoral beraubt hat und vielfach nur – und vielfach nur schlechte – Inszenierungen des Amts bietet?
Ich habe Sympathie für alle Ratlosen.
Ich weiß nicht, wie oft ich beruflich das Gefühl hatte, vor einer Wand zu stehen, nicht durch ein Nadelöhr zu gelangen, weil meine Kompetenz auf der einen und die klerikale Entscheidungsmacht auf der anderen Seite standen – und der Weg in beide Richtungen versperrt schien. Ich durfte nicht entscheiden und sie hatten nicht die Kompetenz in den anstehenden Entscheidungspunkten.
Ich habe vieles ausprobiert: das Vorbringen von evidenten Sachargumenten, das Arbeiten mit psychologischen Tricks, das Einhalten der Hierarchie und das Bypassen derselben. Was am Ende bleibt, ist tatsächlich oft nur eine große Ratlosigkeit, weil man angesichts von klerikalen Hierarchien und mitunter nicht ordentlich definierten Entscheidungsstrukturen abhängig ist von Einzelpersönlichkeiten. Und selbst wenn diese verstehen und bereit sind zu Gespräch und Entscheidung, sind sie selbst wiederum oft gefangen in Systemzwängen. Das macht dann endgültig ratlos, wenn man nicht weiß, wer den gordischen Knoten durchschlagen soll, weil alle im System gefangen sind.
Ich bin solidarisch mit den Wütenden.
Ich verstehe es so gut, wenn Menschen wütend sind auf die klerikalen Strukturen. Ich verstehe die Wut angesichts einer klerikalen „Elite-Anthropologie“, die Priestern zuschreibt, durch die Weihe „Christus gleichförmiger“1 geworden zu sein. Sind wir nicht durch die Taufe alle Christen geworden? Muss es ein Mehr, ein Höher, ein Weiter, ein Christus Gleichförmiger geben? Warum das Bedürfnis, sich über andere zu erheben?
Und ich bin mitunter wütend auf mich selbst, dass ich so lange mitgespielt, mir Nischen gesucht habe und ähnlich denkende Mitstreiterinnen und Mitstreiter, dass ich es gut sein habe lassen, mich mit „vernünftigen“ befreundeten Priestern zu arrangieren anstatt zu streiken und mich zu verweigern.
Auch ich bin frustriert, hoffnungslos, ratlos und wütend. Aber ich will mir nicht sagen lassen, dass ich deshalb gehen und mir eine andere Arbeit suchen soll. Ausgrenzung war und ist eine der schlimmsten Sackgassen von Kirche. Und ich möchte nicht, dass Menschen gehen, weil sie etwas Richtiges empfinden, weil sie völlig zurecht an Missständen leiden, die des Evangeliums unwürdig sind.
Ich möchte, dass sie bleiben. Und ich möchte ihnen diesen einen Satz zusprechen, den ich vor vielen Jahren bei der Ausbildung zur Mediatorin gelernt habe:
Was brauchst du, um weiterzumachen? Was brauchst du, um zu bleiben?
Ein Satz, der mir selbst viel Nachdenken abverlangt.
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Text: Prof. Dr. Barbara Staudigl, Stiftungsdirektorin der Trägerstiftung der Katholischen Stiftungshochschule (KSH), einer Fachakademie und Fachoberschule in München.
Bild: Cover des Kartensets „BLEIBEN ODER GEHEN? Hat Deine Beziehung eine Zukunft? von The School of Life.
- Presbyterium Ordinis, Dekret über Dienst und Leben der Priester, 1965, 1. Kapitel, 11: „Dieses zeichnet die Priester durch die Salbung des Heiligen Geistes mit einem besonderen Prägemal und macht sie auf diese Weise dem Priester Christus gleichförmig, so dass sie in der Person des Hauptes Christus handeln können.“ ↩