An unterschiedlichen Orten stellt Sebastian Schmid, Theologe, Künstler, Playing Artist, schon seit mehreren Jahren ganz unterschiedlichen Menschen die Frage „Was ist gut?“. Er bittet sie, ihre Antworten auf seiner Schreibmaschine für ihn aufzuschreiben, veröffentlicht sie in einem eigenen Blog und wird darin von Birgit Mattausch hier begleitet.
Eine Frage. Und ein Ding.
Ein aus der Zeit und aus der Welt gefallenes Ding.
Wer reist noch mit einer Schreibmaschine? Man stelle sie sich vor im Großraumabteil des ICE, abgestellt auf das Klapptischchen vor dem Sitz, auf das sie kaum passt – auch wenn sie eher klein ist, schließlich ist sie eine Reiseschreibmaschine.
Die Reiseschreibmaschine würde alles übertönen.
Man stelle sich ihre Geräusche vor (oder höre sie hier an) – Tasten, die auf das Papier schlagenden Buchstabenhebel, der Klingelton, wenn die Zeile zu Ende ist (dann ist das, von dem ich nicht weiß, wie es heißt, dieser obere Teil mit dem Papier, so weit nach rechts verschoben, dass er droht, den Coffee-to-go-Becher der Nebensitzerin umzustoßen, oh, grade noch mal gut gegangen), das Surren beim Zurückschieben in die Ausgangsposition und von vorn. Die Reiseschreibmaschine würde einfach alles übertönen: die Telefonate der Männer im Anzug („Ich hör dich ganz schlecht, aber wir müssen noch…“), die Tastentöne des Handys der Frau, die es offensichtlich neu hat und nicht weiß, wo man sie abstellt, die Gespräche. Und die Schreibmaschine und der, der auf ihr schreibt, würde sicher verbannt werden aus dem Abteil in den zugigen Vorraum.
Umringt von Leuten, die sich erinnern.
Er würde sich dort auf den Boden knien, vor sich die Schreibmaschine und weiterschreiben und vermutlich wäre er dann doch bald wieder umringt von Leuten, die sich erinnern an ihre Schreibmaschine damals und die Schreibmaschine ihres Vaters, der mit ihr tatsächlich im Zug reiste, sich erinnern an auf einer Schreibmaschine geschriebene, diktierte Doktorarbeiten – und umringt von welchen, die so ein Ding noch nie benutzt haben und nun sagen: „Darf ich auch mal? Bitte!“
Kein Tipp-Ex zur Hand
Die nun ihre sehr jungen Finger auf die Tasten legen, noch nicht wissen, wieviel Kraft sie brauchen zum Hinunterdrücken, so dass die ersten Buchstaben ganz hell werden auf dem weißen Papier – wie verblassende Sterne an einem Morgenhimmel. Bis die jungen Finger sich an die alte Mechanik gewöhnt haben und die Zeichen klarer werden und schwärzer und „oh nein, ich hab mich vertippt“ und sich das im Moment nicht ändern lässt (kein Tippex zur Hand und noch keine Löschtaste erfunden, kein Display, auf dem die Buchstaben in einer virtuellen Welt flimmern, die sich jederzeit zuklappen lässt, und kein nach links springender alles entfernender Cursor). „Oh nein, ich habe mich vertippt“ und das macht nichts, im Gegenteil – denn auf dem Papier in der Schreibmaschine auf dem Boden des Vorraums des ICEs singt jetzt ein heilmiches Rotkehlchen.
Ein Ding. Und eine Frage.
Eine einfache Frage aus drei einfachen Wörtern: Was ist gut?
Die Bibelleserin denkt gleich an Und-sah-an-alles-was-er-gemacht-hatte-und-siehe (Genesis 1). Und sie denkt an Was-nennst-du-mich-gut (Lukas 18,18ff par).
Bei Gott sind auch die Würmer tov, gut.
Die einfachen Fragen aus den einfachen Wörtern haben nicht selten viele Antworten: Gott sieht an, was er gemacht hat und siehe: es ist tov (hebräisch: gut), am Ende sogar sehr. Tov sind die Würmer ebenso wie der Wechsel von Tag und Nacht, die Pflanzen sind tov und das, was sie wachsen lässt. Die Tiere des Feldes sind es. Die Sterne. Und die Diversity („jedes nach seiner Art“). Die Menschen sind dagegen nicht explizit tov, wohl aber die ganze Welt: alles Geschaffene, Atmende, Wachsende, Kreisende, womit wir verbunden sind, was uns nährt, was uns trägt, anschaut, fürchtet, liebt, was anders ist und uns doch gleich und wir mitten darin, wir nur ein Teil und Teilchen, werdend, vergehend – vielleicht, hoffentlich mitgemeint: es ist tov me’od, sehr gut.
Allenfalls Gott ist gut, oder?
Ein paar hundert Jahre nach der Entstehung dieses Textes nennt einer, der ihn sicher kennt, Jesus „Guter Meister“ – vermutlich auf Aramäisch, vielleicht auf Hebräisch – in mein Jetzt gelangt es auf Griechisch: agathos, 3 Silben, nicht mehr nur eine. Nennt ihn also agathos und Jesus weist ihn ab: agathos ist Gott allein. Und selig wird, der sich ihm anvertraut, weg gibt, fort geht, nachfolgt. Selig wird die, die glaubt, dass die Welt tov me’od ist und Gott agathos in ihr wirkt – so dass sie nicht sich selbst halten muss und nicht erhalten, sondern gehalten ist im Wind, unter den Wolken, im Gehen und Folgen, im Ungewissen ist sie gewiss.
Eine einfache Frage also. Ein aus der Zeit gefallenes Ding. Und Ander-Orte.
Sebastian Schmid trägt die Schreibmaschine an Orte, an denen man keine Schreibmaschinen erwartet (wobei: wo erwartet man überhaupt noch welche, siehe oben): in eine Kapelle, eine Grundschule, die Fußgängerzone.
Im Schreiben entstehende Antworten
Und er trägt die Frage zu denen, die manche in der Kirche so fern finden, dass sie sie „die Menschen“ nennen, denen sie „nah“ sein wollen: „nah bei den Menschen“, als seien Christ*innen selber keine – aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls bedarf es keiner Ausbildung, keines Studiums, keines Assessment-Centers, um Antworten zu haben auf diese Frage. Es braucht auch keine Kirchenmitgliedschaft. Kinder, Jugendliche, Alte. Hiesige. Dortige. Kopfleute. Herzmenschen. Alle schreiben sie ihre Antworten. Lange und ganz kurze. Vorher überlegte und im Schreiben entstehende.
Während sie schreiben, sind sie im unsichtbaren Raum.
Über dieses fremde Ding gebeugt, die Hände auf die Tasten gelegt, suchend nach dem richtigen Buchstaben, der richtigen Kraft, die Hebel drücken die Schwärze aufs Papier, die Zeile geht mit einem Klingelton zu Ende, die Leertasten werden vergessen, das Tipp-Ex ist nicht zur Hand – so schreiben sie. Und während sie schreiben, sind sie in einem unsichtbaren Raum, umgeben von einer Aureole aus Geräuschen und Licht – gemacht aus dem Geklapper der Schreibmaschine und aus all den Gedanken über diese Frage „Was ist gut?“.
Tippfehler erlaubt
Sind in diesem Moment verbunden mit allem, was gut ist. Vielleicht sogar verbunden mit diesem Anfang von allem, woher wir kommen, wohin wir gehen. Mit den ersten Buchstaben, die jemand schrieb und jemand abschrieb, übersetzte, abschrieb, übersetzte – mit jenem tov me’od vom Anfang der Welt. Und mit diesem agathos, das bedeutet: Vertrau. Empfange. Alles ist da. Heilmiches Rotkehlchen. Tippfehler erlaubt.
Jesus. Käsekuchen.
Und auf den vielen Seiten aus weißem Papier steht dann hell wie verblassende Sterne oder dunkel wie noch warmer Ruß:
Wenn Trump keine Dummheiten macht. nwenn meine Schwe s t mich nicht ärgert. wenn wir superkräfte häten und es superschurken gäbe. wen esin der welt ni ch mehr so viel Alkohol gibt. wenn ich im Stadion beim VFB Stuttgart bin und der VFB gewinn. wenn alle Menschen glücklich sind.
einaufgeweckteskin dmitplatzwunde kein leerzeichensetzen
Gut ist, wenn die Menschen friedlich und gerecht miteinander umgehen und jeden einzelnen gewähren lassen!
Ausschlafen.
Liebe ist gut.
Liebe ist gut.
Jesus. Käsekuchen.
Laugenpfefferstange. Sonne.
Was ist gut?
Schreibmaschinen, Rotkehlchen, die Neugier und der Anfang. Tov me’od.
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Sebastian Schmid ist Pastoralreferent und Bildungsreferent für Jugendspiritualität im Bischöflichen Jungendamt der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Er leitet außerdem die atelier:kirche in Wernau bei Stuttgart.
Autorin: Birgit Mattausch ist Pastorin und Referentin für Sprache und Predigt im Michaeliskloster Hildesheim, dem Gottesdienstinstitut der Landeskirche Hannovers.
Foto: Sebastian Schmid