Es geht nicht um ein Leben ohne Männer, aber um entscheidende Korrekturen. Für die kann ihr zeitweiser Abschied wichtig sein. Dieser Idee des Romans „Die Republik der Frauen“ geht die Theologin Elisabeth Quarch nach und begibt sich damit an einen utopischen Ort.
„Ein lauter Weckruf war nötig, etwas, das die Verschwendung von Talent beendete, die es bedeutet, als Frau geboren zu werden“. Aus: „Die Republik der Frauen“ von Gioconda Belli.
Ein fiktives Land in Südamerika, das von Korruption zerfressen ist. In leitenden Funktionen befinden sich kaum FLINTA (Frauen, Lesben, Inter, Trans, Agender) Personen, sondern nur cis-Männer. Diese schützen und unterstützen sich gegenseitig, egal was sie tun: sie sind käuflich, begehen organisierten Missbrauch, das einzige was ihnen passieren kann, ist eine Versetzung. Das Land ist arm, die Machthabenden sind reich, die FLINTA Personen werden durchgehend diskriminiert. In diesem Land gründet sich eine neue Partei, die PIE, die Partei der erotischen Linken.
Frauen wollen ein neues Land erschaffen.
Diese Partei macht alles anders. Sie besteht nur aus Frauen, ihr höchstes Ziel ist nicht ein möglichst hohes Bruttosozialprodukt (das sowieso nie besonders hoch war), sondern möglichst viel Glück für alle. Die Frauen wollen ein neues Land erschaffen, ein Land, das eine weibliche Perspektive nicht nur in ihren Reihen duldet, sondern tatsächlich auch in die Regeln des Landes einschreibt. Denn die Gründerinnen der PIE stellen fest, dass Frauen zwar inzwischen auch arbeiten dürfen, dass sich aber an der Arbeitswelt nichts geändert hat. Um wahre Gleichberechtigung zu erreichen, wäre das aber nötig gewesen. Nicht nur das Gesetz muss sich ändern, sondern auch die Grundeinstellung.
Jenseits toxischer Männlichkeit
werden andere Dinge belohnt
Die Arbeitswelt in ihrem Land ist voll von toxischer Männlichkeit und basiert auf Männerbündnissen, gegen die es kein Durchkommen gibt. In der Arbeitswelt wird davon ausgegangen, dass Zuhause eine Frau ist, die sich um die Kinder kümmert und den Haushalt schmeißt, während der Mann die bezahlte Arbeit verrichtet. Dass dies nicht mehr der Fall ist, stellt vor allem Frauen vor einen nicht endenden Balanceakt zwischen Lohnarbeit und Carearbeit. Gleichzeitig werden in der Arbeitswelt Eigenschaften, die Frauen zugesprochen und in die sie vom Patriarchat gedrängt werden, als unprofessionell und in der Karriere eher hinderlich dargestellt. Dies sind Verhaltensweise wie Emotionalität ausleben und Rücksichtnahme und Vorsorge zeigen. Belohnt werden im Gegensatz dazu Dinge, die Männern zugesprochen werden: Härte, Rücksichtslosigkeit, Arbeiten ohne Pause zu machen, Gefühllosigkeit, Aggression…
Nicht nur mitspielen,
sondern die Regeln ändern
Die PIE beschließt: So kann es in unserem Land nicht mehr weiter gehen. Die Menschen sind unglücklich und das Land verfällt immer mehr in Armut. So entwickelt die PIE ihre Ziele. Grob zusammengefasst zeigt sich in diesen Zielen eine Grundhaltung:
Frauen wollen nicht einfach nur mitspielen, sie wollen grundsätzlich die Regeln des Spiels ändern, vielleicht sogar einfach ein ganz neues Spiel entwickeln.
Und genau das macht die PIE. Sie wird auch tatsächlich gewählt, die Partei kommt an die Macht, sie entlässt alle Männer für 6 Monate (bezahlt) aus dem Staatsdienst und gibt ihnen Zeit, die eigenen Wohnviertel zu renovieren, Gemeinschaftsküchen zu erstellen, Kitas zu bauen und zu erfahren wie es ist, den Haushalt schmeißen zu müssen. Und vor allem gibt die kurzzeitige (nicht dauerhafte!) Abwesenheit der Männer in Regierung, Polizei und Beamt*innendienst der PIE endlich die Möglichkeit zu gestalten und neu zu denken. Denn die Männerbünde sind ihnen nicht mehr im Weg.
Schluss damit!
Um es mit Worten des Manifestes der PIE zu sagen: „Wir haben Männer ertragen, die gut reden können; dicke und dünne Männer, alte und junge, sympathische und hässliche, Männer aus einfachen und Männer aus reichen Verhältnissen, Technokraten, Doktoren, Advokaten, Unternehmer, Bankiers, Intellektuelle . Keiner von ihnen hat etwas Vernünftiges geschaffen und wir, die Frauen, sind es leid, für all die unfähigen, korrupten, betrügerischen Regierungen zu bezahlen, die ihr Amt missbrauchen und die Verfassung missachten. Deshalb sagen wir Frauen SCHLUSS DAMIT.“
Eine weibliche Utopie?
Und Schluss damit machen sie, es ist kein einfacher Weg, aber das Land erstrahlt in neuem Glanz, die Menschen werden glücklicher, haben mehr Geld, die Kriminalität sinkt, der Export steigt, die Gesundheit der Bevölkerung wird besser. Dieser Zustand einer Gesellschaft und der Weg dahin wird in dem fiktiven Roman „Republik der Frauen“ von Gioconda Belli beschrieben. Dieser Roman ist für die folgenden Gedanken impulsgebend.
Gioconda Belli ist Schriftstellerin und Lyrikerin, die in Nicaragua aufwuchs. Sie ist bereits ihr ganzes Leben lang politisch aktiv und lässt ihre politischen Überzeugungen in ihren Werke einfließen.
Ein Moratorium der Männer
Der Gesellschaftlichen Wandel, den Gioconda Belli in ihrem Roman beschreibt, klingt für mich als Feministin wie ein Traum. Wie eine erstrebenswerte Utopie. Mit dieser Utopie meine ich nicht, dass Männer nicht mehr gesellschaftliche Teilhabe haben. Darauf zielt meiner Meinung nach auch der Roman nicht ab. Nach sechs Monaten kommen die Männer wieder. Der kurzzeitige Ausschluss ist ein vorübergehendes Mittel, nicht das Ziel. Das Ziel, also die Utopie, die mich begeistert, ist eine Welt zu erschaffen, in der die Gesellschaft ein Safespace, also ein sicherer Ort für alle Menschen ist.
Auch an fiktiven Orten Theologie entdecken
Ich als Theologin bin davon überzeugt, dass jede Geschichte, die Begeisterung in mir weckt, es wert ist, auch als ein möglicher Lernort für die Theologie betrachtet zu werden. Denn ich glaube, dass sich an jedem Ort der Welt, auch an fiktiven Orten, etwas über Gott lernen und damit auch für die Theologie lernen lässt. Das Buch „Die Republik der Frauen“ dreht sich um eine Gemeinschaft und deren Regeln, deswegen scheint es mir naheliegend, den Roman als einen Lernort für die Gemeinschaft all derer zu nehmen, die sich Christ*innen nennen: die Kirche.
Was sind das also für mögliche Learnings, die die Kirche in diesem Buch finden kann? Ich stelle hier drei kurz vor:
- Um an einem eingefahrenen System wirklich etwas zu ändern, müssen sich die Regeln des Systems grundlegend verschieben sie müssen neu geschrieben werden. Diese Erkenntnis ist gerade im Kontext von vielen Bestrebungen der verschiedenen Formen von Kirchenentwicklung interessant. Wann geht es tatsächlich um eine Veränderung des Systems und wann geht es doch eher darum, es etwas angenehmer zu gestalten und ein paar mehr Spieler*innen an den Tisch zu setzen, also nur ein bisschen Schönheitskosmetik zu betreiben, aber nicht wirklich etwas Grundlegendes zu ändern?
- Es reicht nicht, wenn einzelne Positionen in einem System, z.B. der Kirche, auch von FLINTA Personen besetzt werden. Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtern in allen Ämtern ist zwar notwendige Bedingung für Veränderung, aber keine hinreichende. Es muss so viel mehr geschehen, damit tatsächlich Veränderung geschehen kann. Damit tatsächlich toxische Männerbündnisse und all das, was die Kirche zu einem statischen, unbeweglichen Klotz macht, aufgebrochen werden und eine neue, andere Kirche entstehen kann. Diese andere Kirche könnte möglicherweise irgendwann die Utopie Wirklichkeit werden lassen, dass sie ein sicherer Ort, ein Safespace für alle ist. Eben die Vorbotin des Reiches Gottes.
- Das, was in einem Staat das Bruttosozialprodukt ist, ist in einer Kirche vielleicht die Mitgliederzahl, was dann natürlich auch wieder mit finanziellen Fakten zusammenhängt. Hier kann die Kirche von der fiktiven PIE lernen: Weniger darüber reden, wer alles austritt, als darüber, wie das Glück, die spirituelle Erfüllung und die spirituelle Sättigung ihrer Mitglieder erhöht werden kann.
Die Chance zur Veränderung wahrnehmen
Vor allem vereint die Kirche mit dem fiktiven Staat, in dem die PIE der Regierung übernimmt, aber sicherlich die Feststellung: So wie es ist, kann es nicht bleiben. Viele kath. Christ:innen leiden. Sie leiden unter spirituellem Missbrauch, der ihnen versucht einzureden, ihre Identität sei nicht gottgewollt. Sie leiden unter Angst vor ihrem Arbeitgeber, unter Diskriminierung und unter Hunger nach unterschiedlichen Formen der Spiritualität. Dabei machen sie immer wieder die Erfahrung, dass diese leidvollen Anfragen viel zu oft mit einem herablassendem „das haben wir aber noch nie gemacht“ oder „wie soll das denn funktionieren?“ abgespeist werden. Die Erkenntnis bleibt: Wenn die Regeln sich nicht ändern, wird es vielleicht irgendwann gar keine Spieler:innen mehr geben oder nur unglückliche und unterdrückte Gläubige, die von der frohen, freimachenden Botschaft Jesu nichts mehr spüren. Aber eine Chance zur Veränderung ist da, ganz egal wie aussichtslos alles erscheint. Hier kann ein Buch wie „Die Republik der Frauen“ Hoffnung machen und Mut schaffen zum Träumen. Es kann Gedanken anregen, die echten Wandel suchen und dann auch finden.
___
Autorin: Lisa Quarch ist katholische Theologin und Pastoralassistentin im Bistum Limburg. Außerdem berichtet sie auf ihrem Instagram Kanal über die Chancen und Grenzen des Zusammenspiels aus Feminismus und Katholizismus.
Foto: Ravi N Jha / unsplash.com