Debatte um die Analytische Theologie (Teil 4): Feinschwarz.net veröffentlicht die Beiträge einer Onlinediskussion der AG Dogmatik und Fundamentaltheologie. Heute zum Abschluss: Das Statement von Margit Wasmaier-Sailer.
Ich bedanke mich bei meiner Vorrednerin und meinen Vorrednern für die erhellenden Beiträge und die offenen Worte. Den Kollegen Christian Bauer und Thomas Schärtl danke ich für ihre Bereitschaft, dass sie sich in einem öffentlichen Forum der Diskussion stellen. Dies ist in der angespannten Situation keineswegs eine Selbstverständlichkeit und verdient Respekt. Es trägt zur Meinungsbildung und hoffentlich auch zur Aufarbeitung bei.
Eindrücke aus Gesprächen
Wenn mir nun die Aufgabe zukommt, Diskursperspektiven zu skizzieren, so kann ich weder meinen eigenen Blickwinkel hinter mir lassen noch die ganze Palette möglicher Gesprächsthemen präsentieren. Die folgenden Überlegungen speisen sich aus den Eindrücken, die ich in den letzten beiden Jahrzehnten von der Analytischen Religionsphilosophie und seit einigen Jahren auch von der Analytischen Theologie gewinnen konnte. In meine Ausführungen gehen aber auch Eindrücke aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen ein, in denen es vor allem um Fragen der Gesprächsfähigkeit und Berufungspolitik deutschsprachiger Theologie ging.
Debattenkultur, Vernunftbegriff und Diskursvielfalt
Drei Punkte sollten meines Erachtens auf jeden Fall besprochen werden. 1. Wie steht es um die Debattenkultur deutschsprachiger Theologie? In diesem Zusammenhang wird auch das Thema Berufungsverfahren mitzuverhandeln sein. 2. Wie weit trägt die von Aristoteles herkommende Aufteilung der einen Vernunft in einen praktischen und einen theoretischen Teil in einem transdisziplinären Unternehmen namens Theologie? 3. Wie kann Diskursvielfalt theologisch fruchtbar gemacht werden?
Ich komme zum ersten Punkt:
In dem Artikel „Kaiserschmarrn-Dilemma“, der im dritten Quartal 2022 in der Münchener Theologischen Zeitschrift erschienen ist, spricht Thomas Schärtl die Verwundungen an, die Berufungsverfahren und Nihil-obstat-Verfahren bei Kolleginnen und Kollegen in den letzten Jahrzehnten hinterlassen haben. Besonders hebt er hier die Jahrgänge 1965 bis 1985 hervor.[1] Im Hintergrund der laufenden Debatte stehen auch derartige Verwundungen, und zwar – dies kann nicht genug betont werden – auf verschiedenen Seiten.
Generationenübergreifendes und systemisches Problem
Eine Tabuisierung scheint mir nicht hilfreich. So möchte ich nicht verschweigen, dass ich das Verhalten einzelner Vertreterinnen und Vertreter der analytischen Szene in den letzten Jahren durchaus als selbstsicher und dominant erlebt habe und diesen Eindruck mit einigen Kolleginnen und Kollegen teile. Ebenso wenig möchte ich verschweigen, dass mich die Diffamierung und Ausgrenzung der Analytischen Theologie irritiert. Nun möchte ich hier nicht über bestimmte Berufungsverfahren sprechen.
Vielmehr möchte ich den Blick darauf lenken, dass wir es womöglich mit einem generationenübergreifenden und systemischen Problem zu tun haben. Die Gespräche der letzten Monate zeigen mir, dass Freiheitstheoretikerinnen und Freiheitstheoretikern dieselbe Selbstsicherheit und Dominanz vorgehalten wird, die man in letzter Zeit Analytikern und Analytikerinnen vorgehalten hat. Offensichtlich gab es hier in den ausgehenden 1990er und beginnenden 2000er Jahren erhebliche Verwerfungen, die bis heute nachwirken. Es geht hierbei um Überlegenheitsansprüche, die in Debatten, aber eben auch in Berufungsverfahren geltend gemacht wurden und werden.
Mangelnde Wertschätzung vergiftet das Klima
Nun kann man einen Dissens sportlich austragen – dagegen ist nichts einzuwenden, denn Konkurrenz belebt das Geschäft und Abgrenzungen sind zuweilen nötig. Mangelnde Wertschätzung anderen Strömungen gegenüber aber vergiftet das Klima. Hierzu zählen abfällige Bemerkungen, das Ignorieren von Wortmeldungen, das Zerreißen von Vorträgen, öffentliche Diffamierung, die Ausgrenzung in Berufungsverfahren. Ins Positive gewendet: Wie sähe eine Wissenschaftskultur aus, die sich stärker am principle of charity, der wohlwollenden Interpretation des und der anderen, orientierte?
Zu meinem zweiten Punkt:
Unsere Wissenschaftslandschaft, zumal die Fächer Theologie und Philosophie, ist sehr stark von einer Unterscheidung geprägt, die Aristoteles eingeführt hat. Ich meine die Unterscheidung von theoretischer und praktischer Vernunft. Ich möchte mich hier nicht mit Aristoteles anlegen, aber angesichts des transdisziplinären Unternehmens, das die Theologie nun einmal darstellt, doch ein Fragezeichen hinter diese Unterscheidung setzen.
Mir fällt auf, dass die Analytische Theologie sich sehr stark auf ontologische, epistemologische und metaphysische Fragen konzentriert, während die Freiheitstheorie in der Gefolgschaft des Deutschen Idealismus oder der Frankfurter Schule ethische und politische Themen in den Vordergrund stellt. Die postmoderne Theologie rückt demgegenüber die Pluralität der Lebenswelten und Machtkonstellationen von wissenschaftlichen Diskursen in den Mittelpunkt – sie hat vor allem einen pragmatischen Fokus und achtet auf das Performative.
Kompetenzscheidung leuchtet nicht ein
Nun ist einerseits klar, dass Theologie ein arbeitsteiliges Unternehmen ist, und dass es die Aufteilung in die einzelnen Disziplinen braucht. Andererseits aber leuchtet mir die Kompetenzscheidung zwischen den Fächern schlicht nicht ein. Metaphysische Theorien können auf ihre lebensweltliche Basis hin befragt werden, aus lebensweltlichen Zusammenhängen können sich metaphysische Theorien entwickeln. Welt- und Menschenbilder haben ethische und politische Implikationen, wie umgekehrt ethische und politische Ansätze ontologische und anthropologische Implikationen haben.
In der Sache scheinen die Dinge sehr viel verzahnter zu sein, als es die Disziplingrenzen nahelegen. Von daher reicht es nicht, Fragen der praktischen Vernunft an die Moraltheologie und Sozialethik zu delegieren.[2] Wenn Christian Bauer die Analytische Theologie auffordert, ihre Argumente lebensweltlich zu unterfüttern, dann sollte sie diesen Impuls aufgreifen – es würde sie schlicht weiterbringen.[3] Umgekehrt kann eine praktische Theologie auch von der logischen und spekulativen Arbeit Analytischer Theologie profitieren, insofern diese Denkangebote macht, wie der Glaube in einer naturwissenschaftlichen Welt konsistent gedacht werden kann.
Diskursübergreifende Gesprächsfähigkeit
Es geht also um eine diskursübergreifende Gesprächsfähigkeit – womit ich bei meinem dritten Punkt bin.
Statt die theologische Landschaft daraufhin abzuscannen, wo die Verbündeten und wo die Feinde sind, könnte man fragen, wie Diskursvielfalt theologisch fruchtbar gemacht werden kann. In den letzten Jahren sind in der Tat zahlreiche Bände zu theologischen Stilen erschienen, und es ist ernüchternd, dass das wechselseitige Verständnis nicht unbedingt zugenommen hat.
Erkenntnisse zusammenführen
Vielleicht müsste man es anders angehen, nämlich so, wie Michael Schüßler dies vorgeschlagen hat: ein gemeinsames Thema transdisziplinär und diskursübergreifend bearbeiten.[4] Dies würde zwar den Übersetzungsdruck erhöhen und die Reibungsflächen deutlich machen, aber es würde die Erkenntnisse der verschiedenen theologischen Fächer und Diskurse auch zusammenführen. Einen Versuch wäre es jedenfalls wert.
Margit Wasmaier-Sailer ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Luzern.
[1] Vgl. Thomas Schärtl/Benedikt Paul Göcke: Kaiserschmarrn-Dilemma. Vor wem muss sich die Analytische Theologie rechtfertigen? In: MThZ 73 (2022). 331-335. Hier: 333f.
[2] Vgl. Thomas Schärtl/Benedikt Paul Göcke: Unter Verdacht. Zum Streit um die Analytische Theologie. In: Herder Korrespondenz 10 (2022). 47-50. Hier: 47.
[3] Vgl. Christian Bauer: Allianzen im Widerstreit? Zur Internationalität deutschsprachiger Theologie zwischen analytischen und kontinentalen Diskurswelten. In: Theologische Revue Bd. 118 (2022). 1-22. Hier: 10-17.
[4] Vgl. Michael Schüßler: Essay zur Kontroverse Bauer-Schärtl/Remenyi um die analytische Theologie. 1-5. Hier: 4. https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/katholisch-theologische-fakultaet/lehrstuehle/praktische-theologie/lehrstuhl-fuer-praktische-theologie/aktuelles/
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