Ein Saunabesuch mündet in einem spontanen (liturgischen) Aufguss mit Gesang und Weihrauch. Frank Walz (Salzburg) mit einem Erfahrungsbericht mit liturgiewissenschaftlicher Einordnung.
Samstag, 6. Jänner 2024, 11:00-Aufguss in einem österreichischen Spa-Hotel
Der Saunameister H. begrüßt die aus ca. 50 Personen bestehende Saunarunde und kündigt launig anlässlich des Dreikönigstages einen speziellen „Weihrauch-Aufguss“ an. Und nach der ersten Runde motiviert er spontan die ihm offensichtlich bekannte Sängerin M., doch dem heutigen Fest-Anlass entsprechend ein Halleluja anzustimmen. Sie atmet einmal tief durch und stimmt tatsächlich die erste Strophe – die kann sie auswendig – des Cohen/Buckley-Halleluja an. Der Großteil der Saunarunde singt beim Halleluja-Refrain mehrstimmig mit. Spontaner Applaus. Übliche Saunastille bei den restlichen zwei Aufgüssen…
Ich sitze schwitzend in der dritten Reihe und bin im wörtlichen Sinne des Wortes „geflasht“: Im Tun des Saunameisters war für mich etwas „aufgeblitzt“, das ich noch nicht exakt deuten konnte. Ich stelle mich nach dem Aufguss dem Saunameister als Diakon und Liturgiewissenschaftler vor und sage ihm in meiner (liturgischen) Begeisterung, dass nur noch der Segen gefehlt hätte, um das Ganze zu einer Liturgie zu machen – und nach wenigen Sätzen, uns gegenseitig in unserer Begeisterung aufschaukelnd, fällen wir beide gemeinsam mit der Sängerin M. die Entscheidung, den 12:00-Aufguss mit dem Segen abzuschließen. Wow!
Der liturgische Flashmob beginnt
12:00-Aufguss: Liturgischer Flashmob
Aus dem Saunameister wird nun der Zeremoniär, aus der Sängerin die Kantorin (die, wie sich im späteren Gespräch herausstellt, tatsächlich Kantorin in ihrer heimatlichen Pfarrgemeinde ist), ich werde als Diakon F. begrüßt, mit dem sich H. und M. „für diese Runde etwas Spezielles ausgemacht haben“, aus der Saunarunde wird die Gemeinde – der liturgische Flashmob beginnt.
Eröffnung
Der Zeremoniär begrüßt die Gemeinde und kündigt anlässlich des Dreikönigstages nach dem vorigen „Weihrauch-Aufguss“ nun einen „Winter-Zauber“ an, einen Zauber also, man könnte auch sagen etwas Magisches, etwas Heiliges – „…und Diakon F. wird das Ganze mit dem Segen abschließen. Lasst’s euch einfach d‘rauf ein…!“.
Einführung
„Ein Segen zur Mittagsstunde scheint mir für diese Runde in der Tat gut zu passen…“ schließe ich ein wenig spitzbübisch aus der dritten Reihe der, sich langsam auf die 90 Grad aufheizenden, Sauna an, „…sind doch die meisten von uns – zumindest grob über den Daumen gepeilt – in der Mittagsstunde ihres Lebens angekommen…“. Einige, die bereits jenseits der Lebensmitte angekommen sind, bedanken sich lachend, eine junge Dame pocht darauf, dass sie noch 9 Jahre Zeit bis dorthin hat – ich beschwichtige, dass wohl die durchschnittliche Mittagsstunde gemeint war. Die (liturgische) Beziehung zueinander ist mit diesen wenigen Sätzen geknüpft, die (liturgische) Gemeinschaft konstituiert, der (liturgische) Kontext hergestellt.
Stille
Es folgt der 1. Aufguss: Stille.
„Wort Gottes“: 2 Sam 11
Der Zeremoniär gibt der Kantorin ein Zeichen. Sie stimmt das Cohen/Buckley-Hallelujah an und singt zwei Strophen – sie hat diesmal das Smartphone dabei um dort den Text der zweiten Strophe abzulesen – die Gemeinde singt andächtig und voll bei der Sache – participatio actuosa – den Kehrvers mehrstimmig mit.
- I heard there was a secret chord
that David played and it pleased the Lord
but you don’t really care for music, do you?
Well it goes like this the fourth, the fifth
the minor fall and the major lift
the baffled king composing Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah, Hallelujah, Hallelujah
2. Well your faith was strong but you needed proof
you saw her bathing on the roof
her beauty and the moonlight overthrew you
She tied you to her kitchen chair
she broke your throne and she cut your hair
and from your lips, she drew the Hallelujah
Hallelujah, Hallelujah, Hallelujah, Hallelujah
„Gebet/ Antwort der Gemeinde“
Applaus. 2. Aufguss: Stille.
Segenszuspruch
Der Zeremoniär gibt dem Diakon ein Zeichen. Der Diakon beginnt:
„Dann machen wir es doch ganz offiziell: Der Herr sei mit euch!”
Ein Großteil der Saunarunde antwortet: “Und mit deinem Geiste!”
Und in Anlehnung an einen irischen Segen[1] – der zuerst eingefallene aaronitische Segen erschien in diesem Kontext dann doch “zu offiziell“:
“Der Gott des Lebens, der Gott des Anfangs und des Endes, der Gott der Freude und der Zuversicht – an welchen Gott auch immer ihr glaubt oder auch nicht glaubt – er segne und behüte euch. Er sei hinter euch um euch den Rücken zu stärken, er sei vor euch um euch euren Weg zu zeigen, er sei unter euch, damit ihr stets auf festem Boden steht, er sei über euch um euch zu beschützen, er sei um euch herum damit ihr euch geborgen fühlt. Dazu segne euch der in seiner Liebe allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.“
Der Großteil der Gemeinde bekreuzigt sich zum Segensgestus. Applaus.
Marianische Antiphon
- Aufguss: Stille
Die Kantorin singt das Ave Maria von Schubert. Applaus.
Dank und Abschluss
Der Zeremonienmeister bedankt sich bei der Kantorin und dem Diakon – und stellt fest, dass ihm dieser, in seiner bisherigen 16-jährigen Dienstzeit einmalige, Aufguss in besonderer Erinnerung bleiben wird. Zustimmender Applaus – die nonverbale Übersetzung des aramäischen Amen? – von der Saunarunde.
Der liturgische Flashmob in der Sauna ermöglichte für einige den Zugang zum Heiligen in unserem ganz konkreten Leben.
Auf dem Weg ins Tauchbecken und an den liturgietheologischen Schreibtisch
Vor der Sauna ergeben sich spontane Gesprächskreise: „So muss es sein: Liturgie ins Leben holen…!“, „Das war schon sehr besonders…“, „Sowas hab ich auch noch nie erlebt…“ – „…und wirst du wahrscheinlich auch so nie mehr erleben…“ antworte ich spontan. Kontakte werden hergestellt: „Wo kommst du her? Wie lange bist du schon da? Wie lange bleibst du? Was machst du beruflich?…“ Und einer fragt, als sich die Runde so langsam auflöst, augenzwinkernd: „Und wo findet dann die 15:00-Andacht statt…?“ M., H. und ich, wir sind uns einig, dass das dann wohl doch zuviel des Guten wäre, vielleicht ja auch zuviel der Pro-vokation, die diese Performance für manche(n) durchaus hätte sein können und vielleicht ja auch war, zuviel Zu-mut-ung, womöglich ja für manche(n) auch eine gewisse Vereinnahmung.
Und gleichzeitig waren wir ein wenig stolz auf unser christliches Selbstbewusstsein, das in dieser Liturgie zu einer Art von Bekenntnis wurde, einer confessio im Sinn des Begriffes aus der Kirchenarchitektur. Dort bezeichnet „confessio“ eine spezifische Altaranlage, die den Gläubigen den Zugang zu den unter dem Altar aufbewahrten Märtyrerreliquien ermöglichen soll. Der beschriebene liturgische Flashmob in der Sauna ermöglichte vielleicht in der Tat für einige (wieder neu) den Zugang zum Heiligen in unserem ganz konkreten Leben, den Zugang zu einem Leben in Fülle, wie es bei Johannes heisst (vgl. Joh 10,10). Und vielleicht ist es gerade dieses „gebrochene“ Hallelujah, das die Lebenswirklichkeit so vieler GottsucherInnen im 21. Jahrhundert wiedergibt:
Maybe there’s a God above
but, all I’ve ever learned from love
was how to shoot somebody who outdrew you?
And it’s not a cry, that you hear at night
it’s not somebody, who’s seen the light
it’s a cold and it’s a broken Hallelujah.
Hier geht es um einen bittenden, ‚aufsteigenden‘ Segen, der das Gute festigen und mehren soll.
Grundnahrungsmittel Segen
Der Erzbischof von Salzburg, Dr. Franz Lackner, bezeichnet den Segen gerne als „Grundnahrungsmittel“: „Wir sollten Segen als ein Grundnahrungsmittel wie Brot wahrnehmen…“. In Bezug auf „Fiducia supplicans“ differenziert er: „…wobei hier nicht von einem sakramentalen, ‚bestätigenden‘ Segen die Rede ist. Die Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau steht nicht zur Disposition. Hier geht es um einen bittenden, ‚aufsteigenden‘ Segen, der das Gute festigen und mehren soll.“ (CNA, 5.1.2024)
Ob es die Unterscheidung zwischen „absteigendem“ und „aufsteigendem“, „sakramentalem“ und „nicht-sakramentalem“, „liturgischem“ und „außerliturgischem“ Segen wirklich braucht, sei dahingestellt. Aber selbst, wenn man sie vornimmt, sie muss nicht automatisch als restriktiv bzw. als Einengung verstanden werden. Liturgietheologisch fallen Segnungen unter die Kategorie „Sakramentalien“, also sakramentenähnliche und zu den Sakramenten hinführende Feiern und je nach Kontext fallen sie unter die Zuständigkeit des Priestertums aller Getauften – v.a. wenn es sich um so intime und prekäre Kontexte handelt wie unsere Sauna-Szenerie als Beispiel, das sich leicht übertragen lässt.
Ein Segen in der Sauna mag zwar unüblich sein … er hat aber stattgefunden, er ist also Wirklichkeit und zieht als solche seine Kreise.
Die Liturgiekonstitution unterscheidet in SC 13 zwischen sacra liturgia, der heiligen Liturgie als von der Universalkirche geordnetem Gottesdienst, und pia exercitia, den „Andachtsübungen des christlichen Volkes“ (darüber hinaus kennt sie auch noch den Begriff sacra exercitia als die „gottesdienstliche(n) Feiern der Teilkirchen“). Das gottesdienstliche Format „Segensfeier“ findet sich auf allen drei Ebenen und daran könnten uns die jüngsten römischen Verlautbarungen erinnern: „Ich will dich segnen und ein Segen sollst du sein!“ (Gen 12,2). Dies gilt es in allen Grundvollzügen der Kirche erfahrbar zu machen. Mit Abraham sind auch wir, das ganze Volk Gottes, von Gott gesegnet und dazu berufen, füreinander Segen zu sein. Die Kompetenz dazu erwächst uns aus der Taufgnade. Eltern segnen ihre Kinder, Kinder ihre Eltern, der Freund die Freundin, die Partnerin den Partner, Jesus lädt dazu ein, selbst unsere Feinde zu segnen (Mt 5,44), wir segnen Gegenstände, Länder, Situationen, wir sprechen den Tischsegen – ein Segen in der Sauna mag zwar unüblich sein und er wird auch sicher nicht ins pastorale Standard-Repertoire geschweige denn ins offizielle liturgische Buch des Benediktionale aufgenommen, er hat aber stattgefunden, er ist also Wirklichkeit und zieht als solche seine Kreise.
Liturgie und Brauchtum vermischen sich.
Gratia supponit naturam oder „die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ (vgl. EG 231-233)
Der „Segen in der Sauna“ ist ein Beispiel für einen „Segen bei Gelegenheit“, einer Gelegenheit, die uns als Geschenk zufällt, als ein Ereignis, bei dem etwas sichtbar wird, bei dem etwas aufblitzt, sodass wir „geflasht“ sind. Ein Raum wird eröffnet, in dem sich der Segen Gottes entfalten will. Die Gnade, die bekanntlich die Natur voraussetzt – das seit Thomas von Aquin anerkannte theologische Axiom: gratia supponit naturam –, die Gnade dieses Augenblicks, der Kairos, lädt dazu ein, genutzt zu werden. Der Saunameister hat mit seiner Erinnerung – und Kirche ist ganz wesentlich eine Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft – an die christliche Bedeutung dieses 6. Jänner – im säkularen Kalender Österreichs immerhin als gesetzlicher Feiertag markiert – eine Initiative gesetzt: Wir Christen feiern heute Dreikönig. „Dreikönig“ ist die volkstümliche Bezeichnung dieses Tages. In der Saunarunde war nicht das liturgische Formular: „Epiphanie. Hochfest der Erscheinung des Herrn“ der Bezugspunkt, sondern das daneben existierende bzw. im Idealfall die Liturgie ergänzende Brauchtum. Das Sternsingen der Katholischen Jungschar, mit dem um den Dreikönigstag herum der Segen in die Häuser gebracht wird – 20-C+M+B-24 – wird längst als Brauchtumsangelegenheit wahrgenommen, die über den katholischen Raum hinausgeht, ebenso die Dreikönigs-Rauhnacht und andere regionale Bräuche. Liturgie und Brauchtum vermischen sich. Liturgie als heiliges Tun, Ausdruck des Glaubens in einer Feiergestalt, findet auch außerhalb des eng definierten liturgischen (Kirchen-)Raumes statt.
Gastgeber dieser Liturgie war der Saunameister.
Ein für mich nicht unwesentliches Detail am Rande: Gastgeber dieser Liturgie war der Saunameister. Von ihm haben die Kantorin und der Diakon den Einsatz bekommen. Er war, wenn man in liturgischen Begriffen reden will, „Vorsteher“ – und gleichzeitig war ihm und uns allen bewusst, dass wir hier Zeugen eines Ereignisses wurden, das nicht unser Mach-werk war, liturgietheologisch beschrieben, dass, wie „Christus seiner Kirche immerdar gegenwärtig“ ist, er auch hier gegenwärtig und der eigentliche Vorsteher dieser Feier war, dass Christus mit seiner Kraft nicht nur in den Sakramenten, sondern auch in den Sakramentalien, wie in dieser Segensfeier, gegenwärtig ist, sodass „wenn immer einer tauft, Christus selber tauft“ (SC 7), wenn immer einer segnet, Christus selber segnet! Hallelujah!
—
Dr. Frank Walz (*1966), verheiratet, Vater von zwei erwachsenen Söhnen, Diakon, Logotherapeut, Ass.-Prof. für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie am FB Praktische Theologie der Uni Salzburg (PLUS), Generalassistent der KA Salzburg.
Beitragsbild: Matthias Grießhammer auf Pixabay
[1] Der Herr sei vor dir, um dir den rechten Weg zu zeigen. Der Herr sei neben dir, um dich in die Arme zu schließen und dich zu schützen. Der Herr sei hinter dir, um dich zu bewahren vor der Heimtücke böser Menschen. Der Herr sei unter dir, um dich aufzufangen, wenn du fällst, und dich aus der Schlinge zu ziehen. Der Herr sei in dir, um dich zu trösten, wenn du traurig bist. Der Herr sei um dich herum, um dich zu verteidigen, wenn andere über dich herfallen. Der Herr sei über dir, um dich zu segnen. (Irischer Segen)