Manchmal gehen auch in der Kirche von lokalen Wahlen überregionale Signale aus. Paulina Pieper deutet die Pfarreiratswahlen in NRW-Bistümern. Es stellt sich die Frage nach der Offenheit von Kirche und nach der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern.
„Weil uns die Kirche nicht egal ist“ lautete der Slogan der Pfarrei- und Kirchenvorstandswahl, unter dem am vorvergangenen Wochenende Kirchengänger:innen und Gläubige in den nordrhein-westfälischen Bistümern zur Wahlurne schreiten konnten. Eine Wahl, die zeichenhaft für mindestens zwei Herausforderungen, mit denen die Amtskirche in der gegenwärtigen Kirchenkrise konfrontiert ist, zu sein scheint: Relevanzverlust (auch) im Innen und die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit.
„Weil uns die Kirche nicht egal ist“ – gegen den fortschreitenden Relevanzverlust nach Innen durch Abgrenzung nach außen
Seitens der Bistümer wurde für diese Wahl mehr Aufwand betrieben, als man es bisher gewohnt war. So richteten die nordrhein-westfälischen Bistümer gemeinsam eine eigene Website ein (www.kirche-waehlen.de), mit deren Hilfe Lai:innen in den Pfarreien befähigt werden sollten die Wahl eigenständig vorzubereiten, durchzuführen und auszuwerten. Obwohl die Seite vermutlich im Sinne von Transparenz und Informationsvermittlung eingerichtet wurde, ist ihr tatsächlicher Informationsgehalt fraglich.[1] Auf Unbeteiligte wirkt die Website eher wie der verzweifelte Versuch, den einzigen demokratisch organisierten katholischen Raum in die Nähe anderer Wahlereignisse zu rücken, um so den eigenen Relevanzverlust nach außen und innen im toten Winkel zu belassen. Das Scrollen und Klicken auf der Seite hinterlässt einen fahlen Beigeschmack, so als würde man einem Öltanker beim Sinken zuschauen.
Öltanker beim Sinken?
Der eingängige Wahlslogan findet sich überall. „Weil die Kirche uns nicht egal ist“ – ein Schlagsatz, der nicht unvertraut scheint; öffentlichkeitswirksam wurde er zuletzt 2017 in einem offenen Brief verwendet, der von Jubilar-Priestern des Bistums Köln verfasst wurde. Die Verfasser positionierten sich mit Blick auf alle kirchenpolitisch „heißen Eisen“, wie z.B. die Frage nach der Zulassung von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern: Sie plädierten für eine mutige Öffnung der Kirchentüren, weil ihnen die Kirche nicht egal war. Dass der Wahlslogan hier anschließt, lässt sich auch daran erkennen, dass der Münsteraner Bischof Felix Genn sich nach den Wahlen bei den Gewählten für ihren Mut und Willen zur Mitgestaltung in dieser „massiven Veränderungssituation der Kirche“[2] bedankt.
Schließung statt Öffnung?
Der Slogan klingt programmatisch, obwohl er nicht für eine Positionierung, nicht für eine Partei oder für Menschen, die gewählt werden können, wirbt. Er wirbt lediglich für die Wahl an sich. Er kaschiert, dass dort, wo es ein „wir“ gibt, in der Regel auch „die Anderen“[3] existieren. Der Wahlaufruf selbst wird zur öffentlich sichtbaren Abgrenzung gegenüber einem Außen, er grenzt „uns in der Kirche, denen die Kirche nicht egal ist“ von „den anderen in der Welt, denen die Kirche egal ist“ ab. Damit verschärft er die Trennungslinien zwischen Kirche und Welt und verstärkt Abschottungstendenzen, die der Kirche seit Jahrzehnten zum Verhängnis werden. Zieht man eine nicht-kirchliche Außenperspektive zu Rate, könnte man auch sagen: Anstelle einer Öffnungsbewegung suggeriert er Schließung.
Der Pfarreirat als Männergremium – antifeministische Reformresillienz an der demokratischen Basis
Die Tendenz zu rückwärtsgewandter Abgrenzung und Schließung legt sich nicht nur anhand des Wahlslogans nahe, sondern auch manche Wahlergebnisse lassen aufhorchen: In einer der großen Pfarreien des Bistums Münster, in St. Mauritz, wurden für den Pfarreirat ausschließlich Männer gewählt. Ein Gremium, das laut Website des Bistums die Aufgabe hat, „das pastorale Wirken […] zu gestalten, dass die Kirche in den Lebensräumen und Lebenswelten der Menschen wirksam präsent ist“,[4] wird nur mit Männern besetzt. Im Jahr 2021. Als wäre der „Kairos für eine geschlechtergerechte Kirche“[5] vorübergezogen.
Ich höre – wie immer, wenn man auf diesen blinden Flcek aufmerksam macht – schon das Säbelrasseln der Andersdenkenden: „Es haben sich kaum Frauen zur Wahl gestellt“, „Frauen hätten ja auch Frauen wählen können“ oder gar „Die Frauen waren einfach nicht qualifiziert genug“. Für eine ausführliche Analyse müsste man natürlich danach fragen, wer eigentlich gewählt hat, und welchen Einfluss die spezifischen Bedingungen in dieser konkreten Pfarrei gewirkt hatten, aber solche Argumente begegnen einem als Frau häufig. Dahinter steht oft eine antifeministische Haltung; eine Haltung, die das Männliche als Phänotyp betrachtet und suggeriert, „dass Frauen von einer Position der Exteriorität kommen und sich etwas nehmen [müssen], das ihnen eigentlich nicht zusteht“[6].
Systemisch bedingte Benachteiligung
Die Botschaft solcher Argumente lautet: Frauen zieht Euch doch selbst am Schopf aus dem Sumpf. Die Krux ist aber, dass strukturelle und systemisch bedingte Benachteiligung eine Veränderung des Systems erfordern und damit den vorauseilenden Einsatz derjenigen brauchen, die vom System profitieren und es erhalten. Frauen können ihre Ausgrenzung in der Kirche nicht selbst beenden. Hinzu kommt: Das Ergebnis könnte entweder Zeichen von Resignation oder sogar ein politisches Statement von den Frauen sein, ohne die die noch existierenden Strukturen zusammenbrechen werden. Frauen, die sich zurückziehen, die andere Orte für ihre Glaubenspraxis finden, weil sie sonst von nach wie vor patriarchal-hierarchischen Strukturen erdrückt werden.
Obwohl die paritätische Besetzung von Gremien kein alleiniges Problem des Bistums Münster, keine Frage meiner Wahrnehmung als in Münster verwurzelte Theologin, und noch nicht mal ein genuines Problem der katholischen Kirche[7] ist, stellt sich angesichts solcher Wahlergebnisse die Frage: Welches Zeichen setzen wir – als Kirche, als Pfarrei, als Gemeinde, als wählende Christ:innen – mit einer solchen Wahlentscheidung? Was bedeutet ein solches Ergebnis für diejenigen, die sich seit Jahren in Kirche und Theologie für ein Mehr an Gleichberechtigung einsetzen? Welches Zeichen wird an diejenigen gesendet, die sich dafür engagieren, dass Frauen in ihrer tragenden Rolle gesehen werden: als Gestalterinnen von Gemeindeleben, als Glaubensvermittlerinnen für die nachfolgenden Generationen, als „Ersatzfiguren“ in der Liturgie – überall dort, wo der Mangel an Priestern und Hauptamtlichen ihre Konsequenzen fordern?
Ein fahler Nachgeschmack
Slogan und Wahlergebnis hinterlassen einen fahlen Geschmack: was bleibt, ist der Eindruck, dass die dringlichen Diskussionen, die beim weltweiten sowie beim deutschen Synodalen Weg geführt werden, offenbar nicht alle erreichen; der Eindruck, dass das Engagement derjenigen hier nicht wahrgenommen wird, denen vor allem die Menschen in der Kirche nicht egal sind. Was bleibt, ist die Tatsache, dass die Stimmen der Frauen, die vielerorts das Glaubens- und Gemeinschaftsleben zum Klingen bringen, in Gremien wie dem zukünftigen Pfarreirat in St. Mauritz unterrepräsentiert bleiben. Was bleibt, ist auch der Wunsch, dass die gewählten Männer es schaffen, sich für die Interessen aller Menschen in ihrer Pfarrei, ihrem Pfarrverband oder Seelsorgeraum einzusetzen, denn ich spreche Ihnen ihre Kompetenzen keineswegs ab. Ich als Frau vertraue darauf, dass sie (Sie!) auch gegenüber der je höheren Ebene für die Anliegen von Frauen in der Kirche eintreten werden. Aber ich sage ihnen (Ihnen!) auch: Vielen Frauen reicht männliche Fürsprache nicht, denn es macht einen Unterschied, ob ein Mann für eine Frau spricht, oder ob eine Frau für sich selbst sprechen kann.
Paulina Pieper ist Stipendiatin des Cusanuswerks und Doktorandin an der Universität Innsbruck
[1] Zumindest im säkularen Kontext würde man den Informationsgehalt einer solchen Seite wohl in Frage stellen.
[2] „Wahlen im Bistum Münster: Höhere Beteiligung in Briefwahl-Pfarreien“, Kirche+Leben. Das Katholische Online-Magazin, Nachrichten vom 08.11.2021, (Online-Quelle ohne Seitenangabe) zu finden unter: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/wahlen-im-bistum-muenster-hoehere-beteiligung-in-briefwahl-pfarreien (zuletzt überprüft am 08.11.2021).
[3] Zur Verwendung der Gegenüberstellung von „Wir – die Anderen“ in populistischen Zusammenhängen vgl. z.B. Müller, Jan-Werner: Was ist Populismus?. Ein Essay, Berlin 2016.
[4] „Der Pfarreirat“, Website zur Pfarreiratswahl 2021, (Online-Quelle ohne Seitenangabe), zu finden unter: https://kirche-waehlen.de/bistum-muenster/wahl-der-pfarreiraete/der-pfarreirat/ (zuletzt überprüft: 08.11.2021).
[5] Qualbrink, Andrea: Kairos für eine geschlechtergerechte Kirche, in: Lebendige Seelsorge 3/2020, 155-161.
[6] Leimgruber, Ute / Werner, Gunda: GOTT.MACHT.ÖFFENTLICH – oder: Spinnen im Glas, in: dies. (Hrsgb*innen): GOTT.MACHT.ÖFFENTLICH. Frauen im Spannungsfeld von Kirche und Öffentlichkeit (Kommunikative Theologie Bd. 22), Ostfildern 2021, 19-38, 20.
[7] Die gesellschaftspolitische Debatte über Frauenquoten und geschlechtergerechte Beteiligung verläuft zwar in wellenförmigen Bewegungen, sie ist aber immer präsent – aktuell z.B. im Kontext der Neubesetzung des Parteivorsitzes in der CDU. Auch in den mit Blick auf Geschlechtergerechtigkeit vermeintlich anders aufgestellten Evangelischen Kirchen wurde noch längst keine abschließende Antwort gefunden, vgl. z.B. „Evangelische Frauen fordern Parität auf Wahllisten“, evangelisch.de, 16.01.2019 (Online-Quelle ohne Seitenangabe), zu finden unter: https://www.evangelisch.de/inhalte/154664/16-01-2019/evangelische-frauen-fordern-paritaet-auf-wahllisten (zuletzt überprüft: 08.11.21).
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