Weihepredigten sind ämtertheologische Ortsbestimmungen. Und manchmal haben sie auch einen problematisch klerikalen Subtext. Richard Hartmann hat für Feinschwarz.net einige neuere Weihepredigten deutscher Bischöfe gelesen.
Der „synodale Weg“ befasst sich intensiv mit der Rolle und der Ausgestaltung des priesterlichen Dienstes: Fragen der Zulassung werden ebenso diskutiert wie die Formen der Machtausübung, die Bedeutung der Leitungsverantwortung. Nicht zuletzt ist der Vertrauensverlust aufgrund der sexuellen und geistlichen Übergriffe und der Versuche, diese zu vertuschen, nicht mehr aufzufangen. Was kann der Priester heute verantwortet sein? Was erwarten Bischöfe, was das Volk Gottes von Männern, die sich heute darauf einlassen?
Die Feier der Priesterweihe ist in den Diözesen und Ordensgemeinschaften ein sehr hoch geschätztes Ereignis. Die Gewichtung dieser Feier ist vor dem Hintergrund der niedrigen Zahlen der Weihekandidaten noch höher. Im Jahr 2020 wurden 26 Weihegottesdienste durchweg von den Diözesanbischöfen gefeiert, ferner war eine weitere Predigt der Piusbruderschaft zu recherchieren. Bis auf eine Ausnahme konnten alle Predigten der Bischöfe dokumentiert werden. Manche der Gottesdienste waren auch – aufgrund der Beschränkungen währende der Corona-Pandemie – längere Zeit als Online-Dokumente abrufbar.
Ernüchternde Ergebnisse
Die Analyse der Predigten erhoffte Antworten auf die Ausgangsfrage. Vielleicht zeigen die Predigten auch auf, was für das Gottesvolk wichtig ist im Miteinander mit den Gliedern des hierarchischen Amtes und welche Themen in der Krisenzeit der Kirche bearbeitet werden sollten.
Die Ergebnisse ernüchtern. Die meisten Predigten bleiben sehr allgemein, fast zeitlos. Sie entfalten allgemeine Funktionsbeschreibungen des priesterlichen Dienstes:
Spirituelle Menschen mit einer persönlichen Christusbeziehung sollen sie sein, um wirklich „in persona Christi“ handeln zu können. Besonders zum Ausdruck kommt dies in der würdigen Feier der Eucharistie. Priester sollen Männer des Gebetes sein und so die Nähe zu Christus pflegen. Besonders hervorgehoben wir die Berufung der einzelnen Menschen zum Priesteramt. Dabei changieren die Bischöfe zwischen einem – in den meisten Fällen sehr individuellen – Berufungsereignis und der notwendigen Annahme der Berufung durch sie für die Kirche.
Die Anderen kommen nicht vor
Die Rolle des Priestertums aller Gläubigen wird angesprochen, ohne genauer auf die Zuordnung zwischen hierarchischem Priestertum und gemeinsamen Priestertum zu reflektieren. Freilich sind die geweihten Priester für das Volk da, aber wie genau? Kaum wird die gemeinsame Berufung beschrieben. Die anderen hauptberuflichen Dienste kommen in der Rede über die Priester so gut wie gar nicht vor.
Die diakonische Sendung wird in allgemeinen biblischen und konziliaren Verweisen angesprochen, nicht jedoch konkretisiert und für die Gegenwart entfaltet. Die missionarische Relevanz der Kirche für alle Menschen ist ebenfalls nicht im Blick.
Natürlich kann im Jahr 2020 nicht die Besonderheit der Pandemie verschwiegen werden. Auch hier fehlen in der Regel präzise weiterführende theologische Antworten.
Predigten zeigen das Profil ihrer Verfasser
Dieses ernüchternde Summarium gilt natürlich auch im Blick auf die Persönlichkeit und theologische Profilierung der Bischöfe sehr unterschiedlich. Etliche Predigten zeigen mehr und minder deutlich das Profil ihrer Verfasser, besonders auch die Unterschiede in der Bindung an dogmatisch-scholastische Lehre oder die Deutung der „Zeichen der Zeit“. Ausführlich wird dies auch mit Zitaten dokumentiert in der Online-Veröffentlichung „Richard Hartmann: Predigt zur Priesterweihe – Impuls für die Gegenwart: Analyse der Weihe-Predigten 2020. Fulda: kidocs 2021 (Predigt zur Priesterweihe (bsz-bw.de) / urn:nbn:de:0295-opus4-21275).
Leider muss festgehalten werden: die Weihekandidaten und erst recht das mitfeiernde Gottesvolk werden bei der Beantwortung der Grundfragen des priesterlichen Dienstes und seiner Praxis allein gelassen. Sie erfahren nichts genaues über das, was den Priester ausmacht.
Was könnten zentralere Themen eines solchen Ereignisses sein? Es sind Themen, die in den Predigten gar nicht vorkommen:
- Wie wird sich das Selbstverständnis und die Praxis des priesterlichen Dienstes ändern unter neuen strukturellen Profilen der Pfarrei und der fluider werdenden kirchlichen Praxis? Wie zeigt sich dies im Miteinander der freiwillig engagierten Christ*innen und der Hauptberuflichen?
- Wie ändern sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Priester? Sie sind nicht mehr die nahen und anerkannten Autoritäten. Kann die Gemeinschaft des Presbyteriums tragen oder können neue geistliche Gemeinschaften gefördert werden?
- Das Zusammenleben mit verschiedensten Menschen der Gegenwart wird auch für die Priester wichtig werden. Wie sind Priester glücklich als solche, die in heilsamen Beziehungen leben?
- Das Gehorsamsversprechen des Priesters gegenüber dem Bischof und über ihn zu Christus wird angesprochen. Die „väterlichen Verantwortung“ gegenüber den Priestern, die der Bischof übernimmt, könnte konkretisiert werden.
- Die Pluralität der gesellschaftlichen und kirchlichen Wirklichkeit ist zum Teil angedeutet, auch dass die Weihekandidaten verschiedene Biografien in ihren Dienst eintragen. Wie jedoch diese Pluralität auf Zukunft in der Kirche im Miteinander gestaltet werden kann und wie Konflikte in einer weiten Toleranz zu leben sind, könnte ausgeführt werden. Dass das Jahr 2020 auch kirchlich bestimmt ist durch den „synodalen Weg“, wäre ein aktuelles und relevantes Thema.
- Priester müssen mehr denn je sich der Herausforderung des lebenslangen Lernens stellen. Dass dabei auch für die Priester eine verantwortliche und weiter vertiefende Auseinandersetzung mit der Theologie und mit anderen Wissenschaften wichtig wäre, könnte herausgearbeitet werden. Auch die Bedeutung der Lerngemeinschaft aller in der Kirche könnte betont werden. Die Bedeutung des Theologiestudiums könnte in ihrer Relevanz beworben werden.
- Dass die Kirche ihre Rolle als Meinungsführerin in der Gesellschaft verloren hat, dass sie sich mehr und mehr in der Minderheitensituation befindet und selbst die Identifikation etlicher Mitglieder mit den lehramtlichen Positionen verloren geht, wäre zu reflektieren. Auch die daraus erwachsende Chance des ökumenischen Zusammenarbeitens könnte bedacht werden. Die Predigten dürften nicht so erscheinen, als hätte die katholische Kirche eine unbefragte, sichere Position. Der kritische Zuhörer ist zwar dankbar, keine ausdrückliche Negativdeutung dieser Wirklichkeit zu hören. Allein in den Predigten von Erzbischof Koch und Bischof Feige klingt die Minderheitensituation etwas an.
Die Liste interessanter Themen, die anlässlich einer Priesterweihe in der Predigt bearbeitet werden könnten, um die Schwestern und Brüder im Glauben zu stärken, ist sicher noch um Etliches zu erweitern.
Unscharfe Orientierungspunkte
Wie lässt sich dieser Befund deuten? Vielleicht wagen die Bischöfe tatsächlich nicht, eine Perspektive für den priesterlichen Dienst zu formulieren. Bestenfalls sind ihnen selbst die Orientierungspunkte so unscharf geworden, dass nur das Andocken an klassischen allgemeinen Formulierungen bleibt. Dass dies nicht der Profilierung dient, ist nachzuvollziehen. Vielleicht sind jedoch die Bischöfe auch nicht mutig genug, die Profilierungen öffentlich zu benennen, die ihnen längst als pastorale Konsequenzen durch den Sinn gehen.
Die Positionierungen der Bischöfe in Deutschland auch zu den Bedingungen zur Weihezulassung differieren immer mehr. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Themen dann aber in den Weihepredigten als zu sehr politisierend vermieden werden. Doch, wann, wenn nicht zu diesem Zeitpunkt, könnte dem Gottesvolk und den Neupriestern noch ein Orientierung schenkendes und ermutigendes Wort gesagt werden…
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Prof. Dr. Richard Hartmann ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Theologischen Fakultät in Fulda.
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