Heute findet der globale „Weltgebetstag der Frauen“ statt. Ulrike Bechmann ist seit Jahrzehnten in der Basisbewegung aktiv und stellt die im spannungsreichen Taiwan ausgewählten biblischen Texte vor.
Am ersten Freitag im März, diesmal also am 3. März, feiern Frauen in der ganzen Welt den Weltgebetstag der Frauen. Die Kollekte ist für Frauenprojekte weltweit bestimmt. Das jeweilige Thema beschließt das Internationale Weltgebetstagskomitee (WDPIC) bei seinen weltweiten Konferenzen. Aus den vielen Vorschlägen, die von allen Komitees eingereicht werden können, kondensieren sich in einem umfassenden Prozess in der Konferenz zentrale Anliegen heraus, die dann in Themen gegossen werden. Erst danach werden die Länder und die Jahre dazu bestimmt. In Brasilien 2017 entschied man sich, Bibelzitate als Thema zu verwenden. So kam es zu „Ich habe von eurem Glauben gehört“ (Eph 1,15-19), das Frauen aus Taiwan für sich auslegten.
Taiwan steht zwar immer wieder, aber in letzter Zeit vermehrt, im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit. Hintergrund sind die Bemühungen Chinas, Taiwan als eigenes Gebiet zu reklamieren, während Taiwan um seine Unabhängigkeit ringt. Den Inselstaat treiben aber auch Umwelt- und Klimaprobleme um, wie viele andere Inseln auch. Die Ausbeutung der Teeplantagen, die Verluste in der Covid-Pandemie mangels adäquater medizinischer Versorgung, die Gefährdungen für Frauen – all diese Sorgen kommen ins Wort. Sie greifen Probleme auf, die nicht nur Taiwan, sondern auch andere Länder haben. Alle Inselstaaten fürchten den Meeresanstieg und leiden jetzt schon unter den Folgen. Ähnliches ließe sich für viele angesprochenen Hoffnungen und Befürchtungen sagen.
„Ich habe von eurem Glauben gehört“
Im Englischen heißt das Motto: „I Have Heard About Your Faith“ (Eph 1,15), das in Deutschland mit „Glaube bewegt“ interpretiert ist. Der in der paulinischen Tradition geschriebene Epheserbrief wendet sich an die Gemeinde in Ephesus, die in einer der damals bedeutendsten Hafenstädte des Römischen Reichs mit dem Weltwunder des Artemis-Tempels eine verschwindend geringe Minderheit war. Offensichtlich gab es zudem verschiedene „Christentümer“ in Ephesus: die Gruppe um Apollos, die um Johannes den Seher, eine Nikolaitische Gruppe – und die Paulusleute, die nur eine von mehreren Gruppen waren.
Dies kann die christliche Minderheit in Taiwan nachfühlen, die wiederum viele christliche Denominationen mit unterschiedlichen theologischen und vor allem politischen Einstellungen umfasst. In Ephesus entstand eine Auseinandersetzung darüber, wie man mit der eigenen und fremden religiösen Pluralität umgehen sollte. Neben der Auseinandersetzung um die Taufe (Johannes oder Jesus) gab es weitere strittige Punkte, die man schon in den echten Paulusbriefen verfolgen kann: Wie geht man mit einer Gemeinde um, die aus verschiedenen Traditionen stammt? Wie soll man es mit der städtischen Kultur halten? Soll man Teil der pluralen Stadtgesellschaft werden oder soll man sich abschotten? Diese Fragen beantworten auch die christlichen Denominationen in Taiwan unterschiedlich. Weitere gesellschaftliche Ausdifferenzierungen kommen hinzu. Mit etwa 24 Mio. EinwohnerInnen ist Taiwan ein stark bevölkertes und multi-ethnisches Land mit 16 anerkannten Sprachen, in 13 davon wird jeweils der Gottesdienst zum Weltgebetstag übersetzt.
Lob als Einstieg
Angesichts der Vielfalt in Ephesus beginnt der Epheserbrief im Präskript mit der Vorstellung des Absenders und einem Gruß (Eph 1,1-2), um dann ein Lob Gottes (Eph 1,3-14) anzuschließen. Das Lob Gottes formuliert schon wichtige theologische Themen. Die Verse 1,15-19 enthalten Dank und Fürbitte für die Gemeinde. Ein einziger atemloser Satz prasselt da auf die Gemeinde nieder. Ohne wirklich Luft zu holen, zählt der Satz die Segnungen Gottes auf, damit der unendliche Segen offenbar wird. Als müsste alles auf einmal untergebracht werden – und es werden tatsächlich viele theologisch gefüllte Worte „untergebracht“. Zugesprochen wird der Gemeinde (V.15) ihr Glaube, ihr Vertrauen, ihre Liebe zu kyrios Jesus, zu allen Heiligen (gemeint sind die anderen an Jesus Glaubenden).
Der Verfasser schreibt ja aufgrund eines Streifalls. Aber er fällt nicht gleich mit der Tür ins Haus – „was ist denn los bei euch?“ Vielmehr verpackt er im Dank und Lob das Problem: Letztlich geht um die Erinnerung an Jesus, die Mahlgemeinschaft und die Frage, wie diese aussieht und was diese neue Glaubensgemeinschaft eigentlich bekennt. Im Lob und Dank verpackt wird vermittelt, was wichtig ist. Um dem auch folgen zu können, wünscht der Brief Weisheit, Erkenntnis und „erleuchtete Augen des Herzens“. Der Verfasser überschüttet geradezu die Angesprochenen mit seinen guten Unterstellungen und Wünschen, damit der Weg für seine danach entfalteten Vorstellungen bereitet ist.
Epheser als Herausforderung für Frauen
Der Epheserbrief ist aus feministischer Sicht eine Crux. Zu seiner Zeit war die Hoffnung auf die baldige Ankunft des Messias geschwunden. Die wachsenden Gemeinden mussten sich also arrangieren. Hatten in den ersten Jahrzehnten noch Frauen als Apostolinnen gewirkt, Leitungsämter innegehabt, ihre Häuser für die Versammlungen zu Verfügung gestellt und diese auch geleitet, so machte sich langsam aber sicher der gesellschaftliche Einfluss breit, der diese Gleichheit nicht lebte. Einheit ist ein zentrales Thema: Ein Leib, ein Geist, ein Körper, eine Hoffnung, eine Taufe …“ (Eph 4,4-6). Den Menschen der Zeit war dieses Bild nicht fremd. Das Römische Reich, Zeus und die Welt, der Logos und die Welt … all das konnte in dem Bild von dem einen Körper mit einem Haupt beschrieben sein. Gleichheit war damit nicht verbunden. Das Bild erhielt die römische Ordnung des Staates aufrecht und sorgte für die Anerkennung des regierenden Kaisers. Das schloss die Aufrechterhaltung der Klassen und der ökonomischen Unterschiede ein.
Die Entwicklung hin zu einer verstärkt patriarchalen Gesellschaft schlug ab Ende des 1. Jh. auch auf die christlichen Gemeinden durch. Das Bild des „einen Leibes“ wurde auf das familiäre Miteinander übertragen, das sich am oikos, der Hausgemeinschaft orientiert. Vor allem die nachpaulinischen Schriften benutzen das Bild entsprechend. Der Mann ist damit das Haupt der Familie. Die letzten Kapitel des Epheserbriefs schränken die Rolle der Frauen ein, der Mann erhält die alte Rolle zurück. Und allen Beteuerungen zum Trotz: Diese „Hauptrolle“ wird nicht wieder abgelegt
Zuspruch für Taiwan
Doch die Frauen aus Taiwan nehmen zunächst den Zuspruch auf und hören ihn auch für sich. Vom Aufbau her entspricht ihr Gottesdienst dem Epheserbrief: Zunächst das Positive, das Lob, die guten Seiten nennen, dann aber das benennen, was wirklich bedrohlich ist.
Wenn Menschen von ihrem Glauben hören, dann fühlen sie sich mit Christen und Christinnen in aller Welt verbunden. Eine solche Zusicherung heißt: „Ihr seid nicht allein!“ Dies stärkt auch die Frauen aus Taiwan. Der Weltgebetstag gibt ihnen die Chance, vielen von den Schwierigkeiten als Frauen in ihrer Gesellschaft zu erzählen und von Frauen, die im Vertrauen auf Gott etwas für sich und andere bewegen konnten. So binden sie sich in die weltweite ökumenische Gemeinschaft und Solidarität ein. Solche Verbindungen sind gerade für Menschen auf einer Insel, deren politischer Status umstritten ist, sehr wichtig, noch wichtiger aber für Frauen, die mit verschiedenen Problemen in der Gesellschaft kämpfen.
Wir sind kein Konfetti …
„In den Augen Gottes sind wir kein Konfetti, das vom Wind hin und her getrieben wird, sondern Teile eines großen Puzzles“, heißt es in der Meditation aus Taiwan.
„Wir sind kein Konfetti …“ Das ist vielfach das Lebensgefühl: Konfetti im Wind zu sein, haltlos den Strömungen ausgeliefert zu sein. Wer sich als Land als „Spielball der Supermächte“ wiederfindet, braucht viel Energie und Kraft, um mit der ungewissen Zukunft zu leben und sich nicht als „Konfetti“ zu fühlen. Gottes Schutz und Unterstützung ist dringend nötig, um für Taiwan eine gute Zukunft in Selbstbestimmung zu sichern.
Die Erfahrungen von Umweltzerstörung, Klimawandel oder Migration machen ohnmächtig. Dieses Gefühl dürften inzwischen viele Menschen weltweit haben. Man kann zwar das eine oder andere tun, aber gegen die großen Krisen scheint das alles nichtig. Dagegen führen die Frauen die Zusagen aus dem Epheserbrief an. Sie – und alle Menschen – brauchen „erleuchtete Augen des Herzens“, im Sinne des Epheserbriefs: Es braucht Menschen, die erfassen, dass es Chancen gibt. Die Geistkraft, die Dynamik, die Bewegung schaffen die Kraft, diese Energie kraftvoll, phantasievoll und tatkräftig einzusetzen, im Vertrauen darauf, dass diese Kraft von Gott schon geschenkt ist. In dieser Überzeugung finden sich im Gottesdienst nun Botschaften an Frauen, die aus ihrer Lage heraus aktiv geworden sind. Darum geht es letztlich: Möglichkeiten, Chancen, den Reichtum, die Zusagen Gottes überhaupt erst wahrzunehmen und darauf zu vertrauen, so Lösungen und Solidarität zu kreieren. Der Weltgebetstag ist eine Chance. Denn weltweit können Frauen mit dem Gottesdienst zum Weltgebetstag 2023 den Frauen aus Taiwan zusichern: „Wir haben von eurem Glauben gehört!“
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Dr.in Ulrike Bechmann, Professorin für Religionswissenschaft i.R., Universität Graz.
Bild: https://weltgebetstag.de/
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Mehr Informationen und Literaturhinweis:
Kontakt zum deutschen Weltgebetstagskomitee www.weltgebetstag.de; dort auch die Angaben zur Materialbestellung; Internationales Weltgebetstagskomitee: www.worlddayofprayer.net
Bechmann, Ulrike, „Ich habe von eurem Glauben gehört“. Die Anrede des Epheserbriefs und ihre Kraft (Eph 1,15-19), Stuttgart 2022.