Beten über alle Grenzen hinweg in ökumenischer Verbundenheit und weiblicher Solidarität: Der Weltgebetstag der Frauen zwischen Tradition und Erneueurng. Von Irene Tokarski
„Odi sisa“ – Hallo Schwester, begrüßen sich Frauen der verschiedensten christlichen Kirchen am 2. März in Gottesdiensten in ganz Deutschland und in über 120 Ländern der Erde. Diese Sprache heißt Sranan Tongo und wird in Surinam gesprochen, das einstmals niederländische der drei Guyanas, im Norden von Südamerika. Das Gebet der Frauen geht buchstäblich um die Welt: Jeden ersten Freitag im März beten sie durch alle Zeitzonen hindurch, 24 Stunden lang, und leihen ihre Stimme den Frauen, die den Gottesdienst vorbereitet haben – jedes Jahr aus einem anderen Land – und das seit rund 100 Jahren.
Weltgebetstag als ökumenische Initiative
Entstanden ist der Weltgebetstag (WGT) in den USA als Initiative methodistischer und presbyterianischer Frauen, als man ihnen nicht erlauben wollte, allein, also ohne Ehemann, in die Mission zu gehen. Daraufhin taten die Frauen das, was ihnen niemand verbieten konnte: Sie fingen an zu beten. Heute beteiligen sich neun Konfessionen an den Gottesdiensten in Deutschland. Was so spannend klingt und manchem theologischen Diskurs im vergangenen Reformationsjahr weit vorauseilt, ist in der Praxis ein engagiert-zähes Ringen um das christlich Verbindende in einer durch alle Schichten, Erdteile und Konfessionen gespaltenen Welt.
Höhepunkt für Frauen im Kirchenjahr
Für viele Frauen in Deutschland ist der Weltgebetstag ein herausragender Höhepunkt im Jahr, den sie mit ansteckendem Engagement und Liebe zum Detail vorbereiten. Vor kurzem kam die Anfrage, ob er nicht in der Diskussion in Niedersachsen um einen neuen Feiertag vorgeschlagen werden könnte. Das zeigt sehr treffend, wie wertvoll vielen dieses Gebet ist –mit gutem Recht. Darin spiegelt sich auch die zentrale Zukunftsfrage, die in der Basisbewegung des WGT auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert und beantwortet werden muss: Wie gelingt uns die Bewahrung und Weitergabe unserer Bewegung? Dies betrifft natürlich nicht nur den WGT, sondern auch unsere Kirchen. Dabei sind – wie wir immer mehr merken – die dogmatischen Handbücher eher von untergeordneter Bedeutung.
Mit dem Motto „Informiert beten – betend handeln“ stellt der Weltgebetstag das Gebet ins Zentrum. Gemeinsam beten über Grenzen der Sprache, der Kultur, der Hautfarbe, der Schulbildung, des Alters und der sozialen Herkunft und natürlich der Konfession hinweg. Dies ist wichtiger als spirituelle Unterschiede, konfessionelle Eigenheiten und dogmatische Vorstellungen. Wenn das Verbindende und Grenzüberschreitende zentrales Kennzeichen dieses Gebetes ist, heißt das, dass möglichst viele unterschiedliche Menschen Zugang dazu haben müssen, denn sonst wird die Grenze einfach vor die Kirchentür verlegt (wo sie meist nicht so sehr stört, aber ausgeschlossen wird da genauso): Dafür gibt es spezielle Gottesdienste für Kinder und in leichter Sprache, aber auch für „unerfahrene“ Kirchgänger muss es „Einfallschneisen“ geben, sowohl was die Auswahl der Orte und der Musik, aber auch die Gestaltung und die Länge der Gebete betrifft. Dabei geht es nicht um die Rekrutierung neuer Mitarbeiterinnen oder das Hinterherlaufen hinter dem Zeitgeist, sondern darum den jeweils „anderen“ Mut und Lust zu machen, in das Gebet einzustimmen – denn das ist ein Wesenskern des WGT, der ihn immer wieder von innen heraus erneuern muss.
Wie leben Frauen in Surinam?
Beten mit Hirn und Herz
„Informiert“ hat für die Mehrheit der WGT-Frauen entscheidende Bedeutung. Die intensive Beschäftigung mit dem jeweiligen Land und dem thematischen Schwerpunkt – in diesem Jahr: Bewahrung der Schöpfung – gehört zum Pflichtprogramm der Vorbereitung. Da werden Länderinformationen recherchiert und zahlreiche Materialien erstellt, Karten gezeichnet und fremde Lieder mit deutschem Text versehen, Musik-CDs und Bildpräsentationen produziert und natürlich Rezepte ausprobiert. Insgesamt hat das Informationsmaterial zu jedem WGT eine Auflage von 1,7 Mio. Exemplaren. In den langen Jahren der Praxis ist es immer mehr ausgeweitet worden, wird aber auch zunehmend zugespitzt auf frauenspezifische Themen und Herausforderungen, die eine andere Perspektive eröffnen für Land und Leute als ein Reiseführer oder die Internetseiten der Deutschen Botschaften. Wie leben Frauen in Surinam? Wie bedroht sie der illegale Goldabbau, der die Flüsse vergiftet? Die Abwertung ihrer Währung um 50% oder der steigende Meeresspiegel, wenn 90% der Bevölkerung an der Küste wohnen? Wie verändert sich in diesem Umfeld die Sorgearbeit, die zu über 80% von Frauen geleistet wird?
Oft merkt man an den Fragen der deutschen Frauen, wie unterschiedlich die Lebenswelten sind, die im Dialog stehen: In Surinam konnte keine feministische Theologin gefunden werden – was viele in Deutschland interessiert hätte. Frauen aus dem WGT-Komitee in Surinam bewegen ganz andere Fragen, etwa wie Umweltschutz geht, wenn es keine Recyclingfirmen vor Ort gibt.
Weltgebetstag heißt nicht für, sondern mit Surinamerinnen zu beten.
Solidarität leben vor Ort und weltweit
Wichtigstes Zeichen der weltweiten Solidarität ist das gemeinsame Gebet, dabei wird nicht in erster Linie für die („armen“) Surinamerinnen, sondern mit ihnen gebetet. Sie bereiten für alle weltweit Themen, Inhalte und Texte vor, wir versuchen sie mit vielen Frauen in Deutschland zu teilen und zu unterstützen. Trotzdem würde ohne (finanzkräftige) Taten alles leicht in frommen Sprüchen stecken bleiben. Die Kollekte von 2,8 Mio. Euro (am Weltgebetstag 2017) unterstützt weltweit Partnerorganisationen, die sich in über 30 Ländern für konkrete und strukturelle Veränderungen zugunsten von Frauen einsetzen, sei es für mehr gesellschaftliche Teilhabe, Ernährungssouveränität, Bildung oder die wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen. Dabei geht es immer auch darum, den eigenen Lebensstil durch die Frauen rund um den Globus in Frage stellen zu lassen.
Stein des Anstoßes
In einer Welt, die Frauen immer noch und manchmal sogar wieder zunehmend unsichtbar macht (wie zum Beispiel im neu gewählten Bundestag), stellt der Weltgebetstag „das andere Geschlecht“ einmal im Jahr in den Mittelpunkt seiner Informationen, des Gebetes und des solidarischen Handelns. Es ist erschreckend, wie sehr sich daran jedes Jahr neu die patriarchalen Geister aller Kirchen reiben. Das zeigt, dass das Weltgebet der Frauen immer noch einem bestimmten Nagel genau auf den Kopf trifft.
Der Weltgebetstag ist eine schwierige Mission, mit vielen interkulturellen Stolpersteinen, und steht oft zwischen den Fronten aktueller Konflikte in der Welt, wie etwa beim Gebet mit Frauen aus Palästina (1994 und 2024) oder mit Vanuatu (2021), das zu den „sinking islands“, den vom Meeresanstieg bedrohten Inseln, gehört. Dafür erntet die Weltgebetstagsbewegung oft auch harsche Kritik. Aber WGT-Frauen können sich politisch nicht raushalten, sie beziehen Stellung und geben ihre Stimme buchstäblich denen, die im lauten Geschrei der Stärksten nicht zum Zug kommen und für die am Tisch der Satten und Mächtigen kein Platz ist.
Das Ringen um die Bewahrung und Weitergabe dieser unpopulären Aufgabe ist Ausdruck der Begeisterung und Identifizierung vieler Frauen mit dem WGT. Es kann gelingen, je mehr wir uns von den Wesenszügen dieses Weltgebetes – grenzüberschreitend, informiert und solidarisch – immer wieder erneuern lassen. Am Freitag, den 2.März, ist dazu in tausenden von Gottesdiensten Gelegenheit.
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Dr. Irene Tokarski ist römisch-katholische Theologin und
Journalistin. Seit Sommer 2016 leitet sie die
Geschäftsstelle des Weltgebetstag der Frauen – Deutsches Komitee e.
V. in Stein bei Nürnberg, die die deutschlandweite Arbeit für die
internationale ökumenische Basisbewegung des Weltgebetstags
koordiniert.
Bild: © WGT e.V, „Gran tangi gi Mama Aisa“– In Dankbarkeit für Mutter Erde. Das Bild wurde von der surinamischen Künstlerin Sri Irodikromo gemalt.