Spare, spare, Häusle baue – Sparen ist angesagter denn je, aber ganz jenseits bürgerlicher Aufstiegshoffnungen. Dies theologisch zu würdigen, unternimmt Rudolf B. Hein.
Sie kennen das härteste Radioquiz der Welt? Mein westdeutscher Lieblingssender bringt es manchmal. Ich selbst scheitere meist dabei, aus völlig zusammenhanglos wirkenden Vokabeln eine Assoziations- oder Bedeutungsbrücke zu basteln, die einen nicht gleich nach wenigen prüfenden Schritten in die Abgründe der Ahnungslosigkeit stürzen lässt.
Nein, es wäre jetzt unfair und gemein, Sie gleich zu Beginn ohne jede Chance über ein solch verbales Hängekonstrukt wanken zu lassen. Assoziationskette… phh. Von daher machen wir’s trittfest und anspruchsvoll zugleich: 19 Grad. Punkt. Mehr Assoziationskette braucht es nicht, denn der Rest entspinnt sich im Kopf: Raumtemperatur, Gaskrise, Ukrainekrieg, Anordnungen der Bundesregierung – und (vor allem?): Sparen.
Du Bausparer!
Da ist es plötzlich wieder, dieses totgeglaubte, in schmuddelige Billigprospekte verbannte Schlüsselwort einer verblichenen Generation, die Wirtschaftsminister Ehrhardt noch mit „Zigarre“ und „Maßhalten“ assoziiert hatte. Sparen, das klingt nach Spießbürgermuff, nach abgeblätterter Wohlstandsgläubigkeit und Schimpfwort („Du Bausparer!“ als Äquivok zu „Warmduscher“). Ist es tatsächlich dieses Wort, das man uns nach all den Jahren der Geiz-ist-geil- Schnäppchenjagd, der Billigzinsen mit ungebremster Kreditaufnahme und schließlich der Post-Corona-Unternehmungslust als Rettungsstrategie aus der Energiepreismisere präsentieren will? Ernsthaft? Heizung runterdrehen, einen Pulli mehr anziehen, öfter mal kalt duschen (da ist es wieder, das alte Schimpfwort…)? Um gute (genauer: gut gemeinte) Ratschläge zum „Sparen“ scheinen besonders die nicht verlegen zu sein, die mit Photovoltaikanlage auf dem Eigenheimdach ihrem Elektro-SUV jeden Morgen wieder neues Leben einhauchen. Doch genug der Klischees.
Wir alle müssen jetzt sparen!
Die Wiederkehr einer in die semantische Schmuddelecke gedrängten Vokabel wird sicherlich keinen messbaren Erfolg bei der Absenkung von fossilem Energieverbrauch bringen, wenn sie nicht von einem Konzept, einer Idee, einer Verhaltensstrategie begleitet wird, die über den bloßen Appell („Wir alle müssen jetzt sparen“) hinausgeht. Eines bleibt dabei festzuhalten: Wer nicht über die Mittel verfügt, seine eigenen Grundbedürfnisse in ausreichender Weise sicher zu stellen (Nahrung, Wohnung, Kleidung), wird wohl kaum zu großen Sparanstrengungen fähig sein und jegliches Philosophieren über Sparsamkeit als blanken Hohn empfinden.
Von den Griechen Sparen lernen
Doch wo ist ein solches Konzept zu finden? Wenn ich jetzt behaupte, ausgerechnet bei den Griechen, würden Sie vielleicht schmunzeln. Es dürfte zu weit führen, Sie jetzt mit Odysseus als dem idealen Hausvater, König und Gutsherren zu konfrontieren oder die Erga des Hesiod zu zitieren, die bereits im ausgehenden 8. Jh. v.Chr. nicht nur den Großgrundbesitzern, sondern vor allem den kleinen Bauern Ratschläge für einen sorg-samen Umgang mit dem (Grund)Besitz erteilen wollten. Immer ging es darum, den oikos, die Hausgemeinschaft, wirtschaftlich und sozial zu stabilisieren, ihr eine Ordnung einzuprägen, die nicht von den Göttern her bestimmt, sondern am gelingenden Zusammenleben aller orientiert war.
Der pensionierte Feldherr Xenophon schließlich gießt diese Gedanken gegen Ende des 4. Jh. v.Chr. in die Form eines Tugendmodells einer idealen Haushaltung, in der es nicht in erster Linie um Effizienz, sondern um das Glück, das Gute Leben aller im oikos geht. Es stellt uns im Buch vom Oikonomikos einen (sittlich) guten und ehrenwerten Menschen vor, der in seiner Art, den Haushalt zu gestalten, ein Lebensmodell entwirft und eben dabei konkrete Hinweise gibt, die wir heute vielleicht als „Spartipps“ bezeichnen würden, die für ihn aber viel mehr sind, nämlich Handlungsprinzipien, die einen tugendhaften Menschen kennzeichnen. Würden wir das, was Xenophon in seinem sokratischen Dialog oikonomika nennt, mit einem deutschen Wort bezeichnen wollen, so kämen wir zu einer Art „Haushaltungstugend“. Sie ist, wie gesagt, mehr als eine Verfahrensanweisung zur Profitmaximierung, sie ist eine sittliche Haltung in Bezug auf das Zusammenleben im Haus und den Umgang mit den dort vorhandenen bzw. erwirtschafteten Gütern.
Sechs Sparprinzipien: mehr als Immer-schön-sparsam-Sein
Aus diesen (tugendethischen) Überlegungen heraus lassen sich sechs Prinzipien extrahieren, die die Haushaltungstugend beschreiben und damit auch normativ-ethisch greifbar machen, sie also über ein bloßes „Immer-schön-sparsam-Sein“ hinausheben.
1) Das Effizienzprinzip, zusammengefasst in der „Orientierung am Zweckgemäßen“ – und zwar im Hinblick auf das gesamte Hauswesen. Den größtmöglichen Effekt mit den geringstmöglichen Mitteln zu erzielen – so ließe sich Effizienz allgemein beschreiben – das wird dann erst zum Leitprinzip, wenn dabei das Wohl aller immer im Blick bleibt.
2) Das Genügsamkeitsprinzip: Der persönliche Verbrauch an ‚Konsumgütern’ ist vernunftgemäß einzuschränken, wobei die Orientierung am Nützlichen (für das Gute Leben) der Vernunft das Maß vorgibt.
3) Als Methode des rationalen Handelns dient das (häusliche und finanzielle) Ordnungsprinzip dem Effizienzprinzip. Die Ordnung schafft Übersicht, inneren Freiraum und Sicherheit.
4) Vorsorgeprinzip: Das Anlegen und die genaue Kontrolle der Vorräte geschehen zwar im Rahmen jenes Ordnungsprinzips, dienen allerdings der Zukunftsabsicherung des gesamten oikos.
5) Fürsorgeprinzip: Die Rollen der Glieder des Haushaltes sind wesentlich durch die Fürsorge (soziale Dimension) und die Vorsorge (temporale Dimension) für den gesamten oikos beschrieben.
6) Kooperationsprinzip: Das Rollenmodell innerhalb des Haushaltes bestimmt sich grundlegend von der Motivation und damit dem Zusammenwirken für das Gute Leben aller her. Daher ist die Kooperation mit dem Ordnungs- und dem Effizienzprinzip verknüpft und schließt eine gute Kommunikation ein.
Aus diesen Bausteinen ist sie also zusammengesetzt, jene Tugend, die weder eine staatlich verordnete Zwangsmaßnahme sein will noch ein privates Minimaxprinzip des profitorientierten Wirtschaftens, sondern eine ethische Hilfe zum Guten Leben, Ausdrucksform eines kooperativen Gelingens von häuslichem, sozialem Leben.
Häusliches Leben = Bürgermuff?
Ich kann mir vorstellen, dass Sie jetzt beim Ausdruck „häusliches Leben“ innerlich zusammenzucken und erneut diesen spießigen Bürgermuff in der Nase haben. Aristoteles macht es ganz klar und deutlich: Im Haus allein wird kein Glück zu finden sein, sich in die eigenen vier Wände zu verkriechen, alles hübsch und sauber anzuordnen und dann dem Untergang der (restlichen Welt) gelassen entgegen zu sehen, ist alles andere als eine schöne oder glücklichmachende Perspektive. Oder anders ausgedrückt: Im Keller der Prepper funzelt allenfalls die Kerzenflamme der Hoffnung, aber nicht das Licht der Lebensfreude.
Die aus dem antiken Erbe verstandene Sparsamkeit, sie führt hinter die spießig wirkende Fassade wohlgeordneter, kurzsichtiger Bürgerlichkeit, indem sowohl die Vernetzung zur polis als auch die zum Individuum hin immer im Blick bleibt.
So hat die Sparsamkeit das Würdepotential einer Tugend, die bis zum Grund des kulturgeschichtlichen Erbes des Abendlandes zurückreicht – und von dort aus übrigens auch den Weg in die islamische Welt angetreten hat.
Gemeinsam geteilte Verantwortung für das Haus der Erde
Sie wäre allerdings unvollständig ohne einen weiteren kultur- und ideengeschichtlichen Impuls, der wahrscheinlich vom Judentum ausgegangen und schließlich im christlichen Gedankengut fest verwurzelt worden ist, nämlich die Idee von einem Gott, der uns als sorgender Vater in seinem Haus, der Erde, begegnet. Man könnte dies aus der Schöpfungsgeschichte herauslesen oder aus Jes 66,1, wo die kosmische Dimension der Wohnung Gottes in den Blick genommen wird.
Erst durch die Interpretationsversuche der Kirchenväter, allen voran Augustinus (in seiner Auslegung von Ps 104), wird das Bild vom „göttlichen Hausvater“ und der gesamten Schöpfung als gemeinsamem Haus der Menschheit manifest. Dies greift die mittelalterliche Yconomica des Konrad von Megenberg auf und spricht vom „Weltenhaus“, in das die Menschen auf unterschiedliche Weise als Verwalter hineingestellt werden. Für ihn steht fest: nicht nur das Gute Leben, sondern das Überleben des Menschen als sozial verfasstes, gottebenbildliches Wesen hängt vom Gelingen der Yconomica ab – sowohl auf der persönlichen Ebene (Hauswirtschaft) als auch auf der politisch-sozialen und damit auch auf der globalen. Sicherlich, das starre und hierarchische mittelalterliche Modell ist noch weit entfernt von einer Position, wie sie die päpstliche Umweltenzyklika „Laudato Si‘“ entfaltet, die den Untertitel trägt „Sorge für unser gemeinsames Haus“. Doch die Perspektive ist geweitet, der Blick für eine gemeinsam geteilte Verantwortung für das Haus der Erde ist frei. Sparsamkeit als Für- und Vorsorgemodell in diesem Rahmen ist nichts anderes als das, was die Oikonomik des beginnenden 18. Jahrhunderts im Hinblick auf die Forstwirtschaft als „Nachhaltigkeit“ modelliert hat (Hans Carl von Carlowitz – „Sylviacultura oeconomica“ 1713).
Raus aus der Schmuddelecke!
Genau dies erfahren wir in unserer bewegten Zeit: eine zunächst aufgezwungen wirkende Sparsamkeit durch hohe Lebenshaltungskosten, die sich aber dann zu einem positiven Modell wenden kann, wenn sie weiter blickt und denkt als bis an die Grenzen der eigenen vier Wände, des eigenen Staates. Die Ansätze dafür machen Mut: Offenkundig hat sich in Deutschland der private Energieverbrauch im September 2022 nicht nur wegen der warmen Witterung deutlicher nach unten entwickelt als erwartet. Die berühmten 19 Grad – sie sind mehr als nur eine Solidaritätsaktion für die und mit der Ukraine – sie können auch als Zeichen gedeutet werden für ein neues Nachdenken über globale Verantwortung im Rahmen eines längst obsolet geglaubten Sparsamkeitsdiskurses. Wir merken, was es heißt, für jene anderen zu sorgen, ihnen eine gute Zukunft zu ermöglichen, die nicht in unserer Nachbarschaft wohnen, die wir aber dennoch nicht aus dem Blick verlieren können und wollen, weil sie das gleiche Haus mit uns bewohnen.
Und übrigens: Dort, wo der Mensch Vorsorge trifft, die Zukunft (und auch die zukünftigen Lebensbedingungen auf diesem Planeten) vernünftig planend und fürsorgend in den Blick nimmt, handelt er oder sie aus der spezifisch menschlichen Fähigkeit heraus, die ihn oder sie als autonomes Wesen qualifiziert.
Es wird Zeit, die Sparsamkeit aus ihrer Klage-, Jammer- und Schmuddelecke zu befreien – auch wenn dabei noch weitere Assoziationsketten benötigt werden.
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Rudolf B. Hein O.Praem ist Professor für Moraltheologie an der PTh Münster.
Bild: Klaus-Uwe Gerhardt – pixelio.de