Ein Urlaubsbesuch in einer Kirche wird Andree Burke zum Auslöser einer Frage: Gehört die Kirche eigentlich nur denen, die sich hier zuhause fühlen?
Es ist Sommer. Ich habe Urlaub und setze mich tagsüber in eine Kirche in einer Stadt in Deutschland, einfach so. Mit schmatzenden Schlappen spazieren zwei Füße durch den Mittelgang. Dass diese den örtlichen Pfarrer tragen, erfahre ich in dem Moment, in dem jemand (ein Gemeindemitglied?) ganz aufgescheucht von der Seite durch die Kirche brüllt. Irgendetwas muss offensichtlich vorbereitet werden. Der Pfarrer tönt dröhnend zurück. Die beiden treffen sich in der Mitte der Kirche. Eine lautstarke Begegnung im sonst stillen, hallenden Raum. Ein Beter weiter vorne steht auf und geht schweigend. Es dauert, bis die beiden ihr Gespräch beenden und auseinander gehen. Ich bin fremd, sage nichts. Ich frage mich: Wem gehört die Kirche?
Ein solches Geschehen mitzuerleben, ist vielleicht ein kleiner Glücksfall für einen Pastoraltheologen. Eine scheinbar selbstverständliche Umgangsform konfligiert mit einer anderen Nutzungspraktik und verursacht eine kritische Störung – eine interessante Beobachtung.
„Wer nimmt sich heraus, den Raum zu dominieren?“.
So wird die Frage „Wem gehört die Kirche?“ dadurch ausgelöst, dass zwei Personen in der Episode ihrem Umgang mit dem Kirchenraum Vorzug geben. Die Erwartungen der anderen, denen wohl an einem ruhigen Ort liegt, entpuppen sich als Täuschung. Und die Enttäuschten gehen. „Wem gehört die Kirche?“ könnte in diesem Sinne auch übersetzt werden in die Frage „Wer findet mit seinen Anliegen Gehör?“, „Wer ist zugehörig?“ oder „Wer nimmt sich heraus, den Raum zu dominieren?“.
Wer sich initiativ Gehör verschafft, ist hier eindeutig: Derjenige, der den durch den Mittelgang schlurfenden Pfarrer kennt. Durch das Gespräch der beiden über die Vorbereitung von etwas, wird offensichtlich, dass es sich bei diesem um eine Person aus dem kirchlichen Nahbereich handelt. Es handelt sich um einen kirchlich identifizierten Menschen – jemanden, der sich im Kirchenraum zuhause fühlt. Man kennt sich und schenkt sich selbstverständlich Aufmerksamkeit.
Kirchenraum – eine Art Eigenheim mit Hausrecht der Identifizierten ?
Spannend ist nun die Reaktion des Pfarrers. Er könnte ja auch ein Zeichen geben, um das Gespräch an einen anderen Ort zu verlagern. Stattdessen führt er das Gespräch vor Ort. Spätestens damit beginnt die praktizierte Dominanz jener „Identifizierten“ – also derer, die sich kennen und die insofern eine eigene Geschichte verbindet – über den Kirchenraum. Die anderen Personen im Raum kommen nicht vor. Sie werden sich kaum zugehörig fühlen, sondern eher fehl am Platze. Sie werden eher toleriert als akzeptiert und bleiben fremd.
Daher die Frage nach dem ‚Eigentum‘ über die Kirche: Die beiden Identifizierten gebärden sich so, als gehöre der Kirchenraum ihnen. Ihr Stil im Umgang mit dem Ort deutet an, dass es hier primär um sie ginge. Aber ist das wirklich Sinn und Zweck des Kirchenraums – eine Art Eigenheim mit Hausrecht der Identifizierten zu sein?
Es geht darum, im Anderen die eigene Dienstbarkeit zu entdecken.
Aus der Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils heraus, ergibt sich demgegenüber ein ex-zentrischer Anspruch daran, was kirchliche Identifikation im eigentlichen Sinne bedeuten sollte: Es geht weniger um die Konzentration auf das Eigene, als vielmehr darum, im Anderen die eigene Dienstbarkeit zu entdecken, die wiederum im Kern das eigentlich Eigene ausmacht. Das Volk Gottes ist nicht ein exklusiver Club der bessergestellten Menschen, sondern als Kirche „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1).
Das Nennenswerte der geschilderten Episode ergibt sich demnach nicht daraus, dass es sich hier im Konkreten um das ungeschickte Verhalten von Einzelpersonen handelt, sondern um ein Beispiel für ein gravierendes Problem, das womöglich auch an anderen Stellen zu Tage tritt: Die Identifizierten und Zugehörigen dominieren den Raum, ungeachtet der Interessen der Anderen. Fragt man danach, wem die Kirche gehört, so sind sie es – scheinbar selbstverständlich.
„Klerikalismus“ im Großen und Kleinen
Auch wenn dieser Anspruch gar nicht zur Sprache kommt und selbst wenn er von den handelnden Personen explizit abgelehnt werden würde, bliebe doch der Eindruck eines eigentümlichen Verhältnisses bei fremden Besucher_innen haften.
Die geschilderte Episode veranschaulicht im Kleinen einen Missstand, den Papst Franziskus regelmäßig anprangert. Er benutzt das Wort „Klerikalismus“, um auf jene depravierten kirchlichen Sozialformen hinzuweisen, die vor allem anderen die Exklusivität ihrer Eigentümlichkeiten hervorheben: „Der Klerikalismus vergisst, dass die Sichtbarkeit und die Sakramentalität der Kirche zum ganzen Gottesvolk gehören (vgl. Lumen gentium, 9-14) und nicht zu einigen wenigen Auserwählten und Erleuchteten.“ (Schreiben von Papst Franziskus an den Präsidenten der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika, Kardinal Marc Ouellet, 2016).
Eine klerikalistische Struktur zu vermuten bedeutet keineswegs, Geweihte allein als Schuldige für Missstände darzustellen.
Konsequenz des Klerikalismus sei „eine Spaltung im Leib der Kirche, die dazu anstiftet und beiträgt, viele der Übel, die wir heute beklagen, weiterlaufen zu lassen.“ (Schreiben von Papst Franziskus an das Volk Gottes, 2018). Von daher wird verständlich, warum sich dort, wo sich klerikalistische Strukturen vorfinden, das Engagement von Laien „nicht im Eindringen christlicher Werte in die soziale, politische und wirtschaftliche Welt aus[wirkt].“ (Evangelii gaudium, 2013, 102) – sondern sich vor allem in einen binnenkirchlichen Bereich zurückzieht, „ohne ein wirkliches Engagement für die Anwendung des Evangeliums zur Verwandlung der Gesellschaft“ (ebd.) zu sein.
Die Episode oben fasst das konzentriert zusammen: Der Priester und der Laie, die sich im Kirchenraum ausbreiten, fördern gemeinsam eine Spaltung zwischen ihnen und den Anderen im Raum. Sie stellen sich durch diese Missachtung auf den Sockel der „Auserwählten“, die es sich herausnehmen, den Raum zu dominieren. Damit verunmöglichen sie die Freigabe des Kirchenraums als für die (insbesondere städtische) soziale Welt offener Ort, der zur Verwandlung der Gesellschaft beitragen kann. Eine klerikalistische Struktur zu vermuten bedeutet demnach keineswegs, den Geweihten allein als Schuldigen für Missstände darzustellen. Er ist vielmehr Akteur innerhalb eines Gefüges von Personen, die Dominanz qua Identität ausüben und fördern.
Das Problem dürfte nur sein, dass die bloße abwertende Thematisierung klerikalistischer Struktur wahrscheinlich nichts lösen wird. Zumindest soweit es um Identitäten geht. Denn solche werden sich nicht allein durch Instruktionen und Zurechtweisungen anpassen lassen. Sie hängen eher von Haltungen und weniger von irgendeiner erwartbaren Folgsamkeit ab.
Kleine Entscheidungen für ein nachhaltig gelingendes Miteinander in der Kirche.
Genauso wenig sinnvoll erscheint es, die problematische Dominanz durch Gegen-Dominanz zu erwidern – also bloß normativ entgegenzuhalten: „Die Kirche gehört den Anderen!“ Denn gegenüber jenen, die in solcher Weise identifiziert sind, dass sie sich in der Kirche beheimatet fühlen, stellt dies eher eine aggressive Eskalation dar. Und es kann keine Gewinnerseite geben, wenn es eigentlich gilt, am Ende gemeinsam auf einer Seite zu stehen.
Vielleicht ist es eher eine Frage der kleinen Entscheidungen, zum Beispiel im eigenen Sprachgebrauch, die die Möglichkeiten eines gelingenden Miteinanders in der Kirche nachhaltig absichern könnten. Natürlich ist schon die singularisierende und eingrenzende Frage nach Eigentümer_innen des Kirchenraums prätentiös und aggressiv. Eine ex-zentrische Ekklesiologie sollte solche dichotomen Spannungen eher meiden, auch wenn Erlebnisse wie das oben geschilderte sie gerade erst provozieren.
Was geschieht in dem Raum, in dem wir alle Fremde, Besucher und Gäste sind?
Im Hinblick auf die konkret geschilderte Episode also nur eine kleine Anregung zur Einübung eines solchen sensiblen Sprachgebrauchs. Man stelle sich vor, man spräche weniger von „unserer Kirche“ und häufiger von „der Kirche, in der wir uns versammeln“; man stelle sich vor, man sähe sich selbst weniger als Eigentümer_in und vielmehr als Mieter_in an: Wäre der Kirchenraum dann ein Ort, an dem man sich von der Anwesenheit von Anderen unbeeindruckt zeigen kann? An dem man ein Hausrecht beansprucht, Schlappen trägt und brüllt? Was geschieht dann in dem Raum, in dem wir alle Fremde, Besucher und Gäste sind? Ich bin mir sicher: Man kann in einem solchen Raum dann die Gastfreundschaft Gottes erleben.
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Andree Burke verantwortet die Fort- und Weiterbildung im Erzbistum Hamburg. Von ihm zuletzt auf feinschwarz.net:
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