Dürfen Paare, die in einer nicht von der Kirche anerkannten Beziehung leben, einen kirchlichen Segen erhalten? Ein klares, sehr zartes „Ja, aber“ aus Rom (die Erklärung Fiducia Supplicans) schlägt Wellen. Ingrid Fischer (Wien) verweist auf das eigentliche Problem: das dahinterstehende Menschenbild.
Wasch mich, aber mach mich nicht nass! Eine solche Bitte verrät ein echtes Dilemma – und signalisiert zugleich, dass die widersprüchliche Botschaft nicht aufgedeckt werden darf. Die Erklärung Fiducia supplicans[1] sollte ein vorweihnachtliches Geschenk an die Gläubigen – näherhin an die in „irregulären“, darunter gleichgeschlechtlichen Beziehungen lebenden Paare – werden. Victor Kardinal Fernandez, seit Juli 2023 Präfekt des Dikasteriums für Glaubensfragen, versucht darin nach dem 2021 nochmals kategorischen „Nein“ der Glaubensbehörde zur Segnung homosexuell Liebender die (Kirchen-)Türe einen Spalt weit zu öffnen. Die zuvor von einigen wachsamen Kardinälen eingebrachten Dubia[2] – u. a. bezweifeln sie die Reinterpretation der göttlichen Offenbarung „gemäß den kulturellen Veränderungen unserer Zeit und gemäß der neuen anthropologischen Sichtweise, die diese Veränderungen fördern“[3] – sollten Franziskus auf den rechten Weg zwingen, ihn andernfalls aber dem Vorwurf der Häresie aussetzen. Darauf hat Fiducia supplicans lehramtlich verbindlich geantwortet, indem es zugleich wortreich die geltende Ehelehre beschwört und „eine so simple Sache“[4] wie den (längst praktizierten) pastoralen Segen als „das eigentlich Neue“[5] auf 26 Seiten erläutert.
Das kirchliche Menschenbild steht auf dem Prüfstand.
Wie die besorgten Hüter der katholischen Lehre richtig erkannt haben, geht es in Wahrheit freilich nicht um eine angeblich neue Segenstheologie. Vielmehr steht das kirchliche Menschenbild auf dem Prüfstand. Und damit auch der Wert des pastoralen Vorstoßes aus dem Vatikan. Denn die eigentlichen Herausforderungen bleiben programmatisch unangetastet: eine Anthropologie, die schöpfungsgemäße Diversität anerkennt, und eine als „Christliche Beziehungsethik“[6] reformulierte katholische Sexualmoral.
Was der Schöpfung eingeschrieben ist …
Das Schreiben unterscheidet indes mehrere Arten von Segen: „Gottes großer Segen ist Jesus Christus“ (FS 1); eine liturgische Segnung erfordere, „dass das, was gesegnet wird, dem Willen Gottes entspricht, wie dies in der Kirche zum Ausdruck kommt“ (FS 9), und „den in die Schöpfung eingeschriebenen und von Christus, dem Herrn, vollständig geoffenbarten Plänen Gottes entsprechen muss“ (FS 11) – wie es für die Ehe gelte; ein pastoraler „einfacher Segen“ hingegen dürfe nicht „allzu vielen Voraussetzungen moralischer Art unterworfen“ sein. (FS 11)
Dieser Kontrollverzicht mag „neu“ sein, die Sache selbst ist alt und wird gemäß „klassischer Theologie“ als eine Form des (von Gott her) absteigenden Segens beschrieben: als Bitte um „helfende Gnaden“ (hier für „irregulär“ liebende Paare), damit „alles, was in ihrem Leben und ihren Beziehungen wahr, gut und menschlich gültig ist, durch die Gegenwart des Heiligen Geistes bereichert, geheilt und erhöht wird.“ (FS 31) Weniger Segen zwar als ein wohlwollendes „Gebet der Fürbitte“ (FS 33) in allen Lebenslagen – mit dem Subtext, dass die „in sich ungeordneten schlimmen Abirrung“[7] geschlechtlich ausgelebter Homosexualität geheilt werden möge, und es (bis dahin?) keinesfalls erlaubt sei, eine solche Beziehung „offiziell zu konvalidieren“ (aus der Präsentation von FS).
Das Schöpfungswerk dehnt sich in all seinen Schattierungen aus … und wird von Gott für „sehr gut“ befunden
Warum aber sollte einer an Diversität überreichen Schöpfung (für die der Schöpfer gepriesen wird) nicht „eingeschrieben“ sein, dass jeder Mensch – beziehungsfähig geschaffen – nach seinem „natürlichen, angemessenen und humanen“ (vgl. FS 4) sexuellen Ausdruck und Vollzug strebt und streben darf? Ist der Mensch (jeder trägt „weibliche“ und „männliche“ Anteile in sich) Bild Gottes, so doch in der je eigenen genetischen, hormonellen und phänotypischen Ausprägung, welche auch die sexuelle Orientierung und Identität mitbestimmt. Was heute aus den Natur- und Humanwissenschaften bekannt ist, steht nicht im Widerspruch zu den bildhaften biblischen Schöpfungserzählungen: Sie kontrastieren jene Pole, zwischen denen sich das Schöpfungswerk, der Mensch nicht ausgenommen, in all seinen Schattierungen ausdehnt: Dieses wird von Gott für „sehr gut“ befunden und gesegnet.[8]
Segen spenden? Segen feiern!
Das Zweite Vatikanische Konzil hat die seit dem Mittelalter überaus beliebten außerliturgischen Segnungen wieder gottesdienstlich kontextualisiert und u. a. mit einem obligatorischen Schriftwort verbunden. Zudem hält die Liturgiekonstitution im Artikel über die Sakramente und Sakramentalien (Segnungen zählen dazu) fest, dass recht bereiteten Gläubigen „nahezu jedes Ereignis ihres Lebens geheiligt“ wird und „daß es kaum einen rechten Gebrauch der materiellen Dinge gibt, der nicht auf das Ziel ausgerichtet werden kann, den Menschen zu heiligen und Gott zu loben.“[9]
So haben sich bereits vielerorts Segensgottesdienste für „irregulär“ lebende Paare selbstverständlich in ritueller Form entwickelt, d. h. ausgestattet mit Wortverkündigung, Gebet und Zeichenhandlungen. Die jetzige Anordnung, keinesfalls in der Kirche, sondern unterwegs, en passant und möglichst unauffällig zu „segnen“, bemüht ein trügerischen Motto: „(liturgisch) weniger ist (pastoral) mehr“.
(Falsch) Konstruierte Gegensätze
Während sich nämlich eine starre Grenzziehung zwischen Liturgie und sogenannter Breitenreligiosität als Anachronismus herausstellt, wird sie in der Erklärung – verfeinert durch die Kategorien „liturgisch oder halbliturgisch“ (?) und „pastoral“, „rituell“ und „spontan“ – durch das eingeschärfte Verbot der Ritualisierung einer „irregulären“ Paar-Segnung erneut bekräftigt,
„… auf dass diese nicht ritualisierten Segnungen nicht aufhören, eine einfache Geste zu sein, die ein wirksames Mittel ist, …und dass sie dennoch nicht zu einem liturgischen oder halbliturgischen Akt werden, der einem Sakrament ähnelt. Eine solche Ritualisierung würde eine schwerwiegende Verarmung darstellen … und die Seelsorger der Freiheit und Spontaneität in ihrer seelsorgerischen Begleitung des Lebens der Menschen berauben.“ (FS 36)
Einfach und wirksam, frei und spontan – so soll Seelsorge und könnte mancher Gottesdienst sein. Doch Glaube und Frömmigkeit verarmen nicht durch liturgische Riten, sondern empfangen durch sie Formung und Prägung! Sie vorzuenthalten schwächt den Glauben (und die Kirche in einer ihr eigenen Kernkompetenz), denn gerade in jenen heilsamen – sakramentalen – rituellen Handlungen bringen Menschen sich und ihr Leben in allen Höhen und Tiefen vor Gott, unterstellen sich seinem Heilswillen und werden zur Nachfolge Jesu gestärkt.
Pastoral und Liturgie derart gegeneinander auszuspielen, verrät ein fragwürdiges Verständnis beider.
Für verantwortungsvoll lebende, aber nicht liturgiewürdige „große Sünder“[10] sollte indes eine Sekunden-Pastoral genügen? Pastoral und Liturgie derart gegeneinander auszuspielen, verrät ein fragwürdiges Verständnis beider: Wer auf der Straße Segen „spendet“ statt in der Kirche Segen zu feiern, ist nicht „an die Ränder“ gegangen, sondern will die „inakzeptable“ Lebenswirklichkeit vieler Menschen möglichst unsichtbar machen – vorgeblich, um Gläubige vor „Skandal“, Verwechslung und Verwirrung zu schützen. Steht es aber wirklich so schlecht um deren Unterscheidungsgabe und Fassungskraft? Und selbst der großherzige moralische Kontrollverzicht ist so groß nun auch wieder nicht, denn die homosexuellen Paaren (buchstäblich) fraglos unterstellte „Unmoral“, hat ihre kontrollierte Abweisung am Eingang zum Heiligtum zur Folge – unterliegt doch auch der pastorale Segen „als Geste der Gnade, des Schutzes und der Güte“ der „Segensvollmacht“ der Kirche, die zu ordnen versteht, wer welchen Segen für sich und andere erbitten, wünschen, zusprechen darf.
Zugestandene Ungleichzeitigkeit
Rom hat ein Entgegenkommen und Ankommen in der Gegenwart versucht – und (vorerst?) eine blinde Tür statt der Kirchentür geöffnet: Sie versagt die Teilhabe an einer liturgischen Segensfeier (die diesen Namen auch verdient) und speist Betroffene mit einer klerikalen Geste „von wenigen Sekunden“ und angeblich „großem Wert für die Volksfrömmigkeit“ ab. Man darf freilich hoffen, dass diese theologisch rückschrittliche Vorgabe durch die schon bisher bessere Praxis überholt wird. Wenn überdies den klar ablehnenden (nicht nur afrikanischen) Bischofskonferenzen zugestanden wird, die nun geltende Lehre von der Möglichkeit einer Segnung „irregulär“ verbundener Paare zwar anerkennen zu müssen, aber in je eigener Weise für ihre (allmähliche) Umsetzung sorgen zu dürfen, könnte diese erstmalig signalisierte) Ungleichzeitigkeit auch in anderen umstrittenen Fragen fruchtbar gemacht werden.
Zumindest hierzulande schätzen sich viele der in Fiducia supplicans auf ihre Sündennot festgelegten „vertrauensvoll Flehenden“ schon heute glücklich, dankbar annehmen und leben zu dürfen, wozu sie geschaffen und von Gott gesegnet sind. Und hoffen als gläubige Christ*innen weiterhin auf die Anerkennung sowohl ihrer wahren Nöte als auch ihres Lebensglücks durch ihre Kirche. Ihr gilt deshalb die Bitte: Segnet uns und lasst es uns spüren! Wascht uns und macht uns ordentlich nass!
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Ingrid Fischer, Dr. phil. Mag. Dr. theol., ist Liturgiewissenschaftlerin im Wissenschaftlichen Team der THEOLOGISCHEN KURSE https://www.theologischekurse.at/ und Programmleiterin der dortigen AKADEMIE am DOM https://www.theologischekurse.at/site/kursangebot/akademieamdom.
Beitragsbild: YES-Bild v. Gerd Altmann (Pixabay)
Anmerkungen:
[1] Erklärung Fiducia supplicans über die pastorale Sinngebung von Segnungen (18. Dezember 2023) (vatican.va) (2.1.24)
[2] Eingebracht von den Kardinälen Walter Brandmüller, Raymond Burke, Joseph Zen, Juan Sandoval Íñiguez und Robert Sarah.
[3] 1. Dubium bezüglich der Behauptung, dass die göttliche Offenbarung angesichts der aktuellen kulturellen und anthropologischen Veränderungen neu interpretiert werden müsse; veröffentlicht auf: https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_risposta-dubia-2023_ge.html
[4] Cardinal Fernández: Same-sex blessing ‘does not validate or justify anything’ (pillarcatholic.com) (2.1.2024)
[5] Presseerklärung über die Rezipierung der Erklärung Fiducia supplicans https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_ddf_doc_20240104_comunicato-fiducia-supplicans_ge.html (14.1.2024)
[6] Wiewohl eine solche Rundumerneuerung bestens begründet und argumentiert seit Oktober 2023 vorliegt: Martin Lintner, Christliche Beziehungsethik. Historische Entwicklungen – Biblische Grundlagen – Gegenwärtige Perspektiven, Freiburg i.Br. u. a.: Herder 2023.
[7] Vgl. KKK 2357.
[8] Vgl. Juliane Link auf: https://www.feinschwarz.net/maennlich-und-weiblich-und-alles-dazwischen/ (3.1.2024)
[9] Sacrosanctum Concilium 61.
[10] Presseerklärung Nr. 6 Katechese; wie Anm. 5.